Coronavirus: Warum erkranken manche Menschen so schwer?

Coronavirus: Warum erkranken manche Menschen so schwer?
Bei schwer erkrankten Patienten treibt das überreagierende Immunsystem die Zerstörung des Lungengewebes voran.

Die meisten Infektionen mit Sars-CoV-2 verlaufen harmlos: Viele Infizierte klagen lediglich über leichte bis schwere Erkältungssymptome oder merken gar nicht, dass sie infiziert sind. Andere Menschen erkranken dagegen so schwer an Covid-19, dass sie auf der Intensivstation versorgt werden müssen.

Woran liegt das? Wissenschafter vom Berlin Institute of Health (BIH), der Charité sowie Kollegen aus Leipzig und Heidelberg haben jetzt herausgefunden, dass das Immunsystem gelegentlich über das Ziel hinausschießt und mit seiner übersteigerten Reaktion teilweise größeren Schaden anrichtet als das Virus selbst.

Ihre Ergebnisse haben die Forscher in der Zeitschrift Nature Biotechnology beschrieben.

Die Wissenschafter setzten auf sogenannte Einzelzellanalysen, um jede einzelne Zelle, die aus den Atemwegen von Covid-19 Patienten gewonnen wurde, untersuchen zu können. Denn jede Zelle reagiert anders auf die Infektion und liefert Informationen zum Krankheitsgeschehen, abzulesen an der individuellen Antwort Tausender Gene in jeder Zelle.

Insgesamt wurden Proben von 19 Covid-19-Patienten und von fünf gesunden Kontrollprobanden untersucht. Acht der Covid-19 Patienten zeigten einen eher moderaten, elf einen kritischen Krankheitsverlauf.

"Die Proben stammten aus dem Nasen-Rachenraum, von zwei Patienten zusätzlich aus den Bronchien. Von fünf Patienten konnten wir mehrmals Proben gewinnen, sodass wir die Möglichkeit hatten, den Verlauf der Erkrankung im selben Patienten zu verfolgen", berichtet Leif-Erik Sander, der an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité arbeitet.

Aus dem Probenmaterial wurden mehr als 160.00 Zellen sequenziert.

Hilferuf an das Immunsystem kann gefährlich werden

Das SARS-CoV-2 gelangt in die Zellen, indem es sich an deren ACE2-Rezeptor heftet. "Wir haben gesehen, dass der ACE2-Rezeptor in den Epithelzellen der Covid-19-Patienten doppelt bis dreimal so stark exprimiert ist wie in den Epithelzellen der nicht-infizierten Kontroll-Probanden", erklärt Christian Conrad vom BIH.

Die infizierten Zellen senden einen "Hilferuf" und locken Immunzellen an, die helfen, die Infektion zu bekämpfen, indem sie die infizierten Epithelzellen gezielt abtöten und das Virus neutralisieren.

"Interessanterweise trägt ausgerechnet der Immunbotenstoff Interferon, der eigentlich eine zentrale Abwehrstrategie des Immunsystems gegen Virusinfektionen ist, im Fall von Covid-19 dazu bei, dass die Epithelzellen mehr ACE2 bilden und damit verwundbarer für eine Virusinfektion werden", berichtet Irina Lehmann vom BIH.

Die Immunologin fügt hinzu: "Im Fall von Covid-19 hilft das Immunsystem so dem Virus, weitere Zellen zu infizieren und verstärkt somit die Erkrankung."

Es braucht Medikamente, die das Immunsystem in die Schranken weist

Außerdem beobachteten die Wissenschafter, dass besonders bei schwer erkrankten Patienten die Immunzellen mit einer überschießenden Entzündung reagieren. Speziell bei schwer erkrankten Patienten treibt das überreagierende Immunsystem die Zerstörung des Lungengewebes voran.

Das könnte erklären, warum diese Patienten stärker von der Infektion betroffen sind als Patienten, bei denen das Immunsystem angemessen reagiert.

Sander: "Diese Ergebnisse legen nahe, unsere Behandlungen bei Covid-19-Patienten nicht nur gegen das Virus selbst zu richten, sondern auch Therapien in Betracht zu ziehen, die das Immunsystem in seine Schranken weisen, wie dies z.B. jetzt mit Dexamethason geschieht. Möglicherweise sogar bereits zu Beginn der Erkrankung, um ein Überschießen des Immunsystems zu verhindern."

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