Die Bereitschaft, sich nicht zu treffen, Abstand zu halten oder eine Maske zu tragen, sei geringer. Hinzu komme, dass mittlerweile bis zu 80 Prozent der Infektionen auf die infektiösere britische Variante B.1.1.7 zurückzuführen sind. „Trotz bisheriger Methoden ist das einer der Gründe, warum die Zahlen wieder steigen. Außerdem ist es bei täglichen Zahlen im vierstelligen Bereich nicht möglich, Contact Tracing zu betreiben. Es sind einfach zu viele, um sie nachzuverfolgen, obwohl Contact Tracing ein sehr mächtiges Tool zur Reduktion der Infektionszahlen ist“, sagt Burgmann.
Der derzeitige Anstieg der Infektionszahlen zeige sich auch bereits leicht in einem Anstieg auf den Intensivstationen. Allerdings sei das Alter der Patienten gesunken. „Die Impfung in den Risikogruppen dürfte etwas bewirken. Die Fälle in den Altenheimen sind zurückgegangen und das sind auch die Menschen, die besonders schwer krank werden. Es gibt aber auch Junge, die schwer krank werden können und vor allem die Altersgruppe der 20 bis 49-Jährigen ist ein starker Pandemietreiber, wie eine aktuelle Studie zeigt“, meint Burgmann.
Zwar geht der Infektiologe davon aus, dass die Todesfälle zurückgehen, da sich weniger über 85-Jährige und auch weniger über 65-Jährige infizieren. Dennoch: Je mehr Menschen sich infizieren, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass schwere Fälle darunter sind.
"Jüngere fühlen sich deutlich einsamer"
Dass sich Jüngere vermehrt infizieren, zeigt sich bereits in einer steigenden Inzidenz bei den 15- bis 24-Jährigen. Laut Soziologen Bernhard Kittel, der im Rahmen des Austrian Corona Panel Project (ACPP) zur Stimmungslage in der Bevölkerung forscht, ist die Gruppe der jungen Erwachsenen besonders relevant. Sie sei bisher schlicht übersehen worden. „„Man kann das an den Daten zu Einsamkeit sehen. Jüngere fühlen sich derzeit deutlich einsamer als ältere“, erklärt Kittel. Während in normalen Jahren in Befragungen wie dem European Social Survey etwa 80 Prozent angeben, dass sie nie einsam seien, beträgt dieser Wert laut Corona Panel bei den bis 25-Jährigen derzeit nur 32 Prozent. Bei den über 25-Jährigen sind es mehr als 60 Prozent.
Zwar seien junge Erwachsene laut Kittel motiviert, etwas zur Eindämmung der Pandemie beizutragen, gleichzeitig müssen sie aber mit der aktuellen Unterrichtssituation in der Schule zurechtkommen und sind an ihre Eltern „gefesselt“.
Eine gewisse Sättigung sei jedoch in allen Altersgruppen zu beobachten. „Wir sehen tatsächlich eine zunehmende Pandemiemüdigkeit, eine Ungeduld mit der Regierung und eine sinkende Bereitschaft, die Maßnahmen mitzutragen. Gleichzeitig haben viele nur eine geringe Hoffnung, dass es bald vorbei ist“, sagt Kittel. Einerseits seien die Menschen nicht mehr bereit, etwas zur Eindämmung des Virus beizutragen, andererseits fürchten sie, dass die Pandemie noch ewig dauert. Zu viele Menschen verhalten sich nicht entsprechend der Vorsichtsmaßnahmen, so Kittel.
Zum Beispiel sagten Ende März 2020 77% der 14- bis 25-Jährigen und 91% der Über-25-Jährigen, dass sie das Haus nie verlassen, um Freunde oder Verwandte zu treffen. Im Februar 2021 waren dies nur mehr 31% der Jüngeren und 42% der Älteren.
„Ich halte es für ganz dringend notwendig, dass eine gesamtgesellschaftliche Diskussion in Gang gesetzt wird. Mein Eindruck ist, dass sich sehr viele in der Bevölkerung nicht gehört fühlen, es gibt eine Menge aufgestauten Ärger, was man auch an der Teilnahme an nicht genehmigten Demos sieht“, meint der Soziologe.
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