Corona und Psyche: "Jetzt ist die Situation belastender als noch im Frühling"

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Rund ein Viertel der Bevölkerung wahrscheinlich stärker belastet als vor der Krise. Für voreilige Schlüsse ist es aber noch zu früh, sagen Experten der MedUni Innsbruck.

Es gibt erste Anzeichen, dass die psychische Belastung durch die Coronapandemie steigt. Darauf deuten längere Wartezeiten und mehr Anfragen an die Psychiatrie sowie erste Erkenntnisse aus unterschiedlichen Forschungsprojekte der Med-Uni Innsbruck hin. Rund ein Viertel der Bevölkerung könnte psychisch stärker belastet sein als vor der Krise. Experten der Med-Uni Innsbruck warnten jedenfalls vor voreiligen Schlüssen, erste Beobachtungen würden keinen Anlass zur Panik geben.

"Jetzt ist die Situation belastender als noch im Frühling", gab Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Universitätsklinik für Psychiatrie II bei einer Pressekonferenz am Dienstag zu Bedenken. Akute Krisen seien für den Menschen leichter bewältigbar als chronische Krisen. Psychischer Stress äußere sich unterschiedlich, etwa durch Anspannung, Unruhe, Schlafstörungen, Erschöpfung oder Antriebslosigkeit. "Das Wissen um psychische Reaktionen in der derzeitigen Krisensituation ist wertvoll für die Zukunft", sagte Sperner-Unterweger. Unterschiedliche Projekte der Med-Uni setzen sich jedenfalls derzeit mit der Frage nach den Auswirkungen der Pandemie auf die Psyche auseinander.

"Angst ist kein guter Motivator für den Umgang mit der Krise", hielt Sperner-Unterweger fest und verwies darauf, wie wichtig es sei, manchmal "Abstand von der Thematik zu nehmen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen". Der Anteil jener, die an einer ängstlich-depressiven Belastung leiden, würde zunehmen, stellte sie fest. Noch sei es aber zu früh für voreilige Schlüsse und Panik. "Erst in den nächsten Monaten und Jahren werden wir solide Erkenntnisse über die psychischen Folgen haben", pflichtete ihr Alex Hofer, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie I, bei.

Prävention und niederschwellige Hilfe seien wichtig. Aus diesem Grund wurde am 1. Mai eine Plattform geschaffen, die aus psychiatrisch-psychosomatischer Sicht Anregungen für einen besseren Umgang mit der Krise gibt. Auf der Website https://www.psychosomatik-innsbruck.at kann der User zwischen 19 Themenbereichen wählen. In der kürzlich finalisierten, zweiten Version kann man eine Selbstevaluierung durchführen, die aufzeigt, welche Bereiche am relevantesten sind. Seit Beginn verzeichnete die Plattform bereits über 30.000 Zugriffe auf die Videos, berichtete Sperner-Unterweger. An einer dritten Version werde bereits gearbeitet, zudem würden die Daten nun auch wissenschaftlich ausgearbeitet.

Ein weiteres Forschungsprojekt befasst sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf psychisch kranke Menschen. Befragt werden jene, die 2019 in Nord-, Ost- oder Südtirol in stationärer psychiatrischer Behandlung standen sowie die Allgemeinbevölkerung. Folgestudien nach jeweils sechs und 18 Monaten sind geplant. "Vor 2021 ist aber nicht mit klaren Ergebnissen zu rechnen", sagte Hofer. In Tirol habe man bereits rund 1.300 Probanden aus der Allgemeinbevölkerung und knapp 420 von einer psychischen Vorerkrankung Betroffene rekrutiert. "Es gibt, nach einer ersten Auswertung, Anzeichen, dass sich rund 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung aggressiver fühlen", berichtete Hofer. Zudem wies er darauf hin, dass Langeweile ein bedeutsamer Faktor ist, wenn es um psychischen Stress geht. Von Langeweile seien vor allem jüngere Menschen zwischen 18 und 30 Jahren betroffen, berichtete der Mediziner. Jene würden, so zeigt die Befragung bisher, jetzt auch häufiger zu Alkohol oder Drogen greifen, "um sich besser zu fühlen". "Einsamkeit und Langeweile bedingen einander, sind aber nicht dasselbe", erläuterte Hofer. Jüngere Menschen würden zudem Einsamkeit drei Mal so stark wahrnehmen wie andere Gruppen.

Studie zu Burn-out

Seit Anfang September läuft zudem die Rekrutierung für ein weiteres Forschungsvorhaben, bei dem die Belastung des Gesundheitspersonals im Fokus steht. In Kooperation mit der Ärztekammer werden niedergelassene Ärzte in ganz Österreich zu ihrer psychischen Belastung und einer eventuellen Burnout-Symtpomatik befragt. Auch hier ist nach einem Jahr eine Nachuntersuchung zur Abschätzung längerfristiger Folgen geplant, so Hofer.

Für ein weiteres Projekt, die digitale Studie "Gesundheit nach Covid-19 in Tirol", werden noch Probanden gesucht. In Frage kommen jene über 16 Jahren, die nach einer Covid-19 Erkrankung wieder für gesund befunden wurden. Aufrufbar ist die Studie unter: http://covid-19-tirol.at. Die Umfrage läuft seit sechs Wochen und bezieht "nicht nur internistische und neurologische, sondern besonders auch psychische Beeinträchtigungen nach einer Infektion" mit ein, erläuterte Katharina Hüfner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. So würden etwa auch psychosoziale Belastungen wie Jobverlust oder einer Verschlechterung von Beziehungen berücksichtigt. Mehrere hundert Freiwillige hätten den Fragebogen bereits ausgefüllt, Hüfner bat die Bevölkerung aber weiterhin um rege Teilnahme.

Intensivstation für Psyche belastend

"Bereits bekannt ist, dass Patienten nach einem längeren Aufenthalt auf der Intensivstation Angststörungen oder andere psychische Erkrankungen entwickeln", erklärte Hüfner, die in einer weiteren Untersuchung der Frage nachgeht, inwieweit die Infektion mit SARS-CoV-2 auch ein Stigma für die Betroffenen bedeutet. Stigmatisierung führt zu psychischem Stress, was wiederum eine Veränderung im Immunsystem bewirken kann.

Die ersten Erfahrungen mit der Pandemie geben "Anlass zur Beachtung aber nicht zur Panik", war der Tenor. Die drei anwesenden Experten zeigten sich jedenfalls überzeugt, dass die Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Forschungsprojekten auch über die Pandemie hinaus wertvolle psychosomatische Zusammenhänge aufzeigen werden.

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