Folge der Pandemie: Studie deutet schnellere Hirnreifung bei Jugendlichen an

Zwei jugendliche Mädchen mit Maske.
Die pandemiebedingten Umstände könnten laut neuen Forschungen eine schnellere Gehirnreifung bei Jugendlichen verursacht haben. Experten kritisieren die Aussagekraft der Studie.

Während der Covid-19-Pandemie haben Regierungen auf der ganzen Welt restriktive Maßnahmen ergriffen – Lockdowns, Schulschließungen, die drastische Einschränkung sozialer Kontakte –, um die Ausbreitung der Atemwegserkrankung einzudämmen. 

Inzwischen ist gut dokumentiert, dass sich diese Störung der täglichen Routinen und sozialen Aktivitäten negativ auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen ausgewirkt hat. Angstzustände, Depressionen und Stress haben zugenommen, vor allem unter jungen Frauen (der KURIER berichtete).

Gehirnentwicklung offenbar beschleunigt

Eine kürzlich im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichte Studie sagt nun: Die pandemischen Einschnitte in das Leben Jugendlicher haben zu einer schnelleren Gehirnreifung geführt. Die Beschleunigung habe bei Mädchen im Schnitt 4,2, bei Jungen 1,4 Jahre betragen.

Mittels MRT-Scans (Magnetresonanztomographie, Anm.) wurde die Großhirnrinde von Probandinnen und Probanden vermessen. Das Forschungsteam hatte noch vor der Pandemie 160 Kinder und Jugendliche zwischen neun und 17 Jahren untersucht. Anhand der Scans entwickelten sie ein Modell für die Hirnentwicklung der Teenager. 

Neue MRT-Scans aus den Jahren 2021 und 2022 derselben Jugendlichen wurden dann mit dem Standardmodell verglichen. "Diese Ergebnisse deuten eine größere Anfälligkeit des weiblichen Gehirns im Vergleich zum männlichen in Bezug auf Lebensstilveränderungen durch Lockdowns an", kommentieren die Forschenden.

Jugend als entscheidende Phase

In der Phase des Heranwachsens kommt es zu einer deutlichen sozio-emotionalen Entwicklung, die mit erheblichen Veränderungen der Gehirnstruktur und -funktion einhergeht. Gemessen wird die Reifung des Gehirns normalerweise an der Dicke der Großhirnrinde, der äußeren Gewebeschicht im Hirn. Mit steigendem Alter wird sie von Natur aus dünner, auch im Teenageralter. 

Bekannt ist, dass durch chronischen Stress die Ausdünnung der Hirnrinde potenziell beschleunigt werden kann. Die Studienautorinnen und -autoren, darunter die Neurowissenschafterin Patricia Kuhl der University of Washington, betonen das höhere Risiko für neuropsychiatrische und verhaltensbezogene Störungen durch eine schnellere Reifung der Großhirnrinde. "Die Pandemie war ein Testfall für die Zerbrechlichkeit des Gehirns von Teenagern", wird Kuhl in Medienberichten zur Studie zitiert.

Zweifel an Aussagekraft

Unabhängige Fachleute kritisieren die methodische Umsetzung der Studie. "Berücksichtigt werden weder die individuelle Isolation während des Lockdowns noch spätere psychische Symptome, sodass der angenommene Zusammenhang zwischen beschleunigter Ausdünnung und möglicher Schädigung der psychischen Gesundheit nicht aus den Daten dieser Studie abgeleitet wird, sondern unter Bezugnahme auf andere Studien", sagt etwa Derek Hill vom University College London dem SCM (Science Media Center). Auch sei die Stichprobengröße wenig aussagekräftig.

Weiters sind die erhobenen geschlechtsspezifischen Unterschiede möglicherweise auf die Pubertät an sich zurückzuführen. Iroise Dumontheil, Psychologin an der University of Melbourne, sagt dazu gegenüber dem SCM: "Die Forschung am jugendlichen Gehirn hat uns gezeigt, dass es Unterschiede in Bezug auf die pubertäre Entwicklung gibt und dass Frauen eine frühere Reifung (Ausdünnung) der kortikalen Dicke zeigen."

Experten betonen außerdem, dass die MRT-Scans weder die Anzahl der Gehirnzellen noch ihre Verbindungen messen. Die Beobachtung der beschleunigten Ausdünnung der Hirnrinde sagt also auch nicht unbedingt etwas über einen langfristigen Schaden für die Jugendlichen aus.

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