Corona-Mutationen: "Delta ist ein echter Macho"

FILE PHOTO: FILE PHOTO: Illustration of a test tube labelled 'COVID-19 Test Positive' in front of displayed words 'COVID-19 Delta variant'
Der Wildtyp von SARS-CoV-2 spielt im Infektionsgeschehen kaum noch eine Rolle. Das Virus ist inzwischen tausendfach mutiert. Das macht vielen Menschen Angst.

Mμ aus Kolumbien, Zeta aus Brasilien, Kappa aus Indien: Wird Delta bald nun doch durch eine neue, noch bedrohlichere Mutation abgelöst? Und wie gut werden uns die Impfungen in Zukunft schützen?

Tobias Welte, Vorstand der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, kann die Sorgen der Menschen nachvollziehen. Er gibt jedoch Entwarnung: "Delta ist ein echter Macho und hat als solcher alle anderen Virusvarianten verdrängt", sagte der ehemalige Präsident der European Respiratory Society (ERS) im Rahmen einer Pressekonferenz der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie am Dienstag. "Es ist das hohe Übertragungspotenzial, das die Dominanz von Delta ausmacht."

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beobachte zwar laufend die Verbreitung diverser Varianten, "bisher konnte aber keine Delta in irgendeiner Weise angreifen oder gar verdrängen".

Vertrauter Gegner

Auch im kommenden Jahr wird Delta das Infektionsgeschehen bestimmen, ist sich der Pneumologe sicher. "Und das ist gar keine schlechte Nachricht. Wir kennen Delta inzwischen. Wir wissen, dass die Variante ziemlich sicher keine schwereren Krankheitsverläufe bedingt und die verfügbaren Impfstoffe gut davor schützen." In einigen Bereichen bestehe allerdings Aufholbedarf: "Der Schutz von immungeschwächten, vorerkankten und älteren Menschen sollte mit Booster-Impfungen aufgepolstert werden. Aber insgesamt können wir mit Delta gut umgehen."

Dass SARS-CoV-2 plötzlich von der Bildfläche verschwindet, hält Welte für unwahrscheinlich: "Der Erreger wird bleiben. Zum einen, weil wir keine Herdenimmunität erreichen werden. Es scheint so, als könnten die Impfraten kaum in entsprechende Höhen getrieben werden."

Zum anderen sei die Pandemie eine globale Herausforderung: "Die Impfraten sind in vielen anderen Ländern wesentlich schlechter als in Europa." Weltweit sind nur knapp 35 Prozent der Menschen vollimmunisiert, in vielen Ländern des globalen Südens mangelt es an verfügbaren Impfstoffen.

Als Anzeichen dafür, dass die Ausrottung von SARS-CoV-2 mittelbar nicht gelingen wird, sieht Welte auch die Tatsache, dass Länder wie Neuseeland oder Australien – bisher Verfechter einer strengen Zero-Covid-Strategie – ihre Corona-Maßnahmen nun langsam lockern. "Mit Delta wird diese Form der Infektionskontrolle schlicht nicht mehr gelingen. Deswegen müssen wir eine Einstellung dazu finden, die den täglichen Panik-Modus verlässt."

Kinder im Fokus

Neben Corona-Mutationen stand bei der Pressekonferenz anlässlich der bevorstehenden 45. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie auch das Thema "Kinder und Covid-19" im Zentrum.

Mit eineinhalb Jahren Pandemie-Erfahrung im Rücken könne man das Covid-Risiko für Kinder und Jugendliche nun weitaus besser einschätzen als noch zu Beginn der Gesundheitskrise, sagte Ernst Eber, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie. "Die Erkrankung ist in der Regel für gesunde Kinder nicht besorgniserregend bedrohlich. Anders sieht es bei Kindern mit Vorerkrankungen aus, etwa all jenen, die an neuromuskulären Erkrankungen leiden."

Allerdings können auch Kinder und Jugendliche infolge einer Corona-Infektion schwer erkranken: "Das pädiatrische multisystemische inflammatorische Syndrom PIMS tritt rund drei bis sechs Wochen nach einer Infektion auf", erklärte der Leiter der Klinischen Abteilung für pädiatrische Pulmonologie und Allergologie an der Medizinischen Universität Graz. Es kommt dabei zu einer Überreaktion des Immunsystems. Die betroffenen Kinder haben tagelang hohes Fieber, häufig begleitet von Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Ausschlägen. Manchmal müssen Betroffene intensivmedizinisch betreut werden.

"In Österreich betraf das im Vorjahr eines von 1.000 infizierten Kindern und Jugendlichen. Für das aktuelle Jahr liegen uns noch keine Daten vor." Eber sprach sich in diesem Kontext klar für eine Impfung von Kindern ab zwölf Jahren (hier liegt bereits eine Impf-Zulassung vor) aus: "Die genannten Komplikationen im Fall einer Ansteckung treten immer noch häufiger auf als etwaige milde Impfreaktionen in dieser Altersgruppe."

Keine kleinen Superspreader

Viel wurde im Laufe der Pandemie darüber diskutiert, ob Kinder als Treiber im Infektionsgeschehen agieren – oder nicht. Eber: "Wir wissen, dass Kinder viel seltener erkranken als Erwachsene. In der Regel weisen sie auch ein geringeres Risiko für eine Weitergabe des Virus auf." Zu diesem Schluss kommen der Großteil der Studien. "Die Aerosoldichte von Kindern beim Singen entspricht in etwa der, wenn Erwachsene sprechen. Sie sind also keine klassischen Superspreader." Das bedeute aber nicht, dass sie niemanden anstecken können. Delta sei auch für Kinder deutlich ansteckender, "sie tragen aber keine schwereren Verläufe davon".

Die relative Häufigkeit der Ansteckungen unter Kindern werde sich mit zunehmender Durchimpfung älterer Bevölkerungsgruppen verändern: "In Relation gibt es jetzt und künftig mehr Kinder, die sich infizieren und erkranken."

In puncto Long Covid zeige sich bei den verfügbaren Untersuchungen noch immer ein uneinheitliches und teils kontroverses Bild. "Die Datenlage ist spärlich und widersprüchlich", sagte Eber. Bei Kindern sei die Differenzialdiagnose schwierig, weil es auch die Nebeneffekte der Lockdowns (Isolation, erhöhte Bildschirmzeitung, weniger Bewegung, etc.), den sogenannten "Pandemie-Blues", zu beachten gelte. Aus Daten zu hospitalisierten Kinder gehe hervor, dass zwischen zwei und fünf Prozent an anhaltenden Symptomen leiden.

Die klassischen Symptome einer Corona-Infektion seien bei Kindern etwas anders gelagert als bei Erwachsenen. "An der Uni Graz haben wir herausgefunden, dass zwölf Prozent der Kinder Geruchs- und Geschmacksstörungen entwickeln. Aber nur etwa ein Viertel leidet an Fieber, ein Drittel hat respiratorische Beschwerden und 15 Prozent haben Probleme im Bereich des Magen-Darm-Trakts", berichtete Eber.

Erfolgversprechende Medikamente

"Seit Beginn der Pandemie wurden nicht nur Bemühungen im Bereich der Impfungen betrieben, sondern auch bei Medikamenten", zog Bernd Lamprecht, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie, im Rahmen der Pressekonferenz Bilanz.

Wesentlich für deren Wirksamkeit sei, "dass sie der richtigen Zielgruppe in der passenden Phase der Erkrankung verabreicht werden". Covid-19 gliedere sich in verschiedene Stadien, die Anfangsphase, wo das Virus und seine Vermehrung Probleme bereiten, und eine spätere Krankheitsphase, wo in kritischen Körperregionen Entzündungen auftreten können – etwa der Lunge. Diese überschießende Reaktion des Immunsystems könne "mehr Schaden anrichten, als Nutzen stiften".

Gegenwärtig werden 1.550 Substanzen als Kandidaten für eine mögliche Therapie von Covid-19 untersucht. Nur 28 davon genießen derzeit eine – bedingte oder volle – Zulassung für die Behandlung von Covid-19. Darunter antivirale Präparate, Mittel gegen die Entzündungsreaktion (insbesondere Medikamente aus der Rheumatherapie) sowie Cortison-Arzneien, die hier ebenfalls lindernd wirken können.

Heute weiß man außerdem: Künstlich hergestellte Antikörper können den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Lamprecht: "Man muss sie aber in einer früheren Phase einsetzen, noch bevor es zur schwersten Erkrankung kommt, um den Verlauf noch modulieren zu können."

Neben Medikamenten, die für andere Krankheiten entwickelt und im Zuge der Pandemie als Covid-Therapeutika neu zugelassen werden, gibt es auch vielversprechende neue Präparate, die gezielt gegen Covid-19 entwickelt wurden. Lamprecht nennt etwa die Substanz Molnupiravir, ein experimenteller antiviraler Arzneistoff, der zur oralen Behandlung der Grippe entwickelt wurde. "In einer Phase 3 Studie hat sich gezeigt, dass Molnupiravir schwere Erkrankungen, Hospitalisierungen und Todesfälle um 50 Prozent reduzieren kann."

Kein Impf-Ersatz

Lamprecht betont, dass sämtliche therapeutischen Ansätze nicht als Ersatz für die Impfung missverstanden werden dürfen: "Medikamente können das Risiko für einen schweren Verlauf reduzieren, aber das heißt nicht, dass jedem Betroffenen zuverlässig geholfen werden kann."

Und weiter: "Wir sollten daher nicht vergessen, dass uns im Gegensatz zu vor einem Jahr heute verschiedene hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, die zwar keinen hundertprozentigen Schutz vor der Erkrankung bieten, aber jedenfalls zu einem milderen Krankheitsverlauf führen und auch die Verbreitung des Virus reduzieren. So viele Menschen wie möglich sollten daher das Impfangebot wahrnehmen, da die Prävention der Reparaturmedizin deutlich überlegen ist."

Kommentare