Chiropraktik als TikTok-Trend: Warum die Methode umstritten ist
Die Hashtags lauten #lassknacken oder schlicht #chiropraktik, in den dazugehörenden Kurzvideos knackt es dann tatsächlich, mittlerweile millionenfach. Daraus entstand auf der Kurzvideoplattform TikTok ein richtiger Trend: Chiropraktik ging viral.
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Ist das wirklich gesund?
Ob das tatsächlich gesund ist, stellen Expertinnen und Experten allerdings in Frage. "Die Darstellung von Chiropraktik auf TikTok ist irreführend und wird verharmlost", sagt Alexander Srokovskyi. "Den meisten der spektakulären 'Knack-Videos' auf TikTok fehlt es an wissenschaftlicher Grundlage." Der Deutsche ist Physiotherapeut mit mehreren Praxen und Buchautor und betont: "Man sollte sich bewusst sein, dass die falsche Anwendung von Techniken ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen kann - insbesondere, wenn man auf die Idee kommt, das Ganze in Eigenregie zuhause nachzumachen."
Es sei entscheidend, dass chiropraktische Behandlungen ausschließlich von qualifizierten Fachleuten durchgeführt werden. Sie verfügen über das Wissen über die anatomischen Zusammenhänge und können daher die Behandlung auf den individuellen Zustand der Patienten abstimmen. "Die Nachahmung von chiropraktischen Techniken auf TikTok kann bestehende Probleme noch verschlimmern."
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Risiken durch Nachahmung
Vor Anwendungen in Eigenregie warnt auch Richard Crevenna von der Abteilung für Physikalische Medizin an der MedUni Wien. "Derartige Trends und Challenges sind aus medizinischer Sicht klar abzulehnen. Ein "zielloses 'Herumdoktern' durch Laien" könne mehr Schaden anrichten als zu nutzen. "Ärztliche Hilfe soll bei Geräuschen wie Krachen, Knacken oder Reiben nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sie mit Schmerzen oder Beschwerden verbunden sind oder neu auftreten.
Srokovskyi sieht weitere Risiken in einer Nachahmung. "Diese Videos stellen nur einen Ausschnitt ohne den notwendigen Kontext dar und können die Zuschauer dazu verleiten, gefährliche Techniken nachzuahmen, die zu ernsten Gesundheitsschäden führen können."
Sich selbst aktiv ständig "durchzuknacken" empfiehlt Experte Crevenna schon gar nicht. Dies könne langfristig zu Gelenksschäden oder im schlimmsten Fall auch zu Gelenksverletzungen führen, wenn die natürlichen Grenzen überschritten werden.
Technik entstand schon im 19. Jahrhundert
Der Grundidee von Chiropraktik zufolge sollen durch bestimmte Griffe verschobene Wirbel, die auf Nervenbahnen drücken, zurechtgerückt werden. Bei einer vorübergehenden und damit umkehrbaren Bewegungseinschränkung können Chiropraktiker die Gelenke im Sinne der Behandlung "knacken", also manipulieren, um die Einschränkung aufzulösen, erklärt Crevenna. Wichtig ist dabei: "Dies sollte immer nur nach ärztlicher Diagnose und durch Chiropraktiker oder Manualmediziner, die die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten gelernt haben und die Erfahrung haben, umgesetzt werden."
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Die Chiropraktik geht bereits auf das späte 19. Jahrhundert zurück. Erfinder David Daniel Palmer ging davon aus, dass viele Krankheiten auf Wirbelfehlstellungen, sogenannte "Subluxationen", zurückzuführen seien. Sie drücken auf Nervenbahnen und stören so die Funktionsweisen des Körpers, bis hin zu den Organen.
Die Folge einer derartigen Überdehnung sei eine mögliche Einschränkung der Beweglichkeit der Wirbelkörper. Im schlimmsten Fall könne sogar eine Blockade eintreten. Für den Menschen äußert sich das in Schmerzzuständen. Der Körper versucht diese Fehlstellung über die Verschiebung weiterer Wirbel oder über die Muskulatur zu kompensieren. Dies führt wiederum zu Problemen in der gesamten Körperstatik. Chiropraktoren sprechen dann von einer "vertebralen Subluxation".
In Österreich gibt es zwei etablierte Gesellschaften für Chiropraktik, für Ausbildungen vergibt die Ärztekammer ein Diplom. Crevenna: "Nach fachärztlicher Diagnosestellung kann sie, ebenso wie andere in Österreich anerkannte Maßnahmen aus der Manualtherapie neben weiteren konservativen physikalischen und medikamentösen Therapiemöglichkeiten sinnvoll eingesetzt werden."
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Warum Gelenke knacken
Das knacksende Geräusch kommt durch eine Überdehnung des Gelenks zustande. Dadurch entsteht im Gelenksinnenraum ein Vakuum. "Dieser vermehrte Raum kann nicht mehr vollständig mit Gelenksflüssigkeit ausgefüllt werden", erklärt Mediziner Crevenna. "Dadurch bilden sich Bläschen, die beim folgenden Druckausgleich ein hörbares Knackgeräusch erzeugen."
Mädchen und Frauen neigen häufiger zu Knackgeräuschen als Burschen und Männer. Der Grund: Das weibliche Geschlecht verfügt häufiger über ein laxeres Bindegewebe, das daher leichter überdehnt werden kann. "Man spricht hier auch von Überbeweglichkeit oder Hypermobilität", sagt Crevenna.
Besonders häufig knacken Gelenke der Wirbelsäule, insbesondere der Halswirbelsäule aufgrund von Fehlhaltungen, eingeklemmter Wirbel und muskulären Dysbalancen. Ebenso knacken auch Fingergelenke häufig.
Im Unterschied dazu deuten Reibungsgeräusche, etwa im Kniegelenk, auf Abnützungserscheinungen in der Gelenksstruktur hin. Dadurch kommt es zu einem Reiben insbesondere der Knorpel- und in weiterer Folge der Knochenstrukturen.
Die Unterschiede zur Osteopathie
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt man übrigens in der Osteopathie und öfters gibt es hier Verwechslungen. Durch sanfte manuelle Bewegungen versuchen die Anwender, Verspannungen ganzheitlich zu heilen. Es soll eine Einheit aus dem Nervensystem, den Organen und den Muskeln hergestellt werden.
Physiotherapeut Srokovkyi weist in seinem aktuellen Buch "Das Schmerzfrei Geheimnis" auch darauf hin, dass auch sichere Alternativen zur Chiropraktik ähnliche Ergebnisse erzielen können, ohne dass etwa die Halswirbelsäule unsachgemäß "behandelt" wird. Neben Methoden aus der Osteopathie nennt er etwa die klassische Physiotherapie sowie eine gezielte Trainingstherapie zur Stabilisierung der Wirbelsäule. Allen Maßnahmen ist jedenfalls gleich, dass sie die Ursachen der Schmerzen und Bewegungseinschränkungen angehen, anstatt nur kurzfristige Linderung zu bieten.
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