Betroffene: "Ich weiß, wie es ist, eine Bipolare Störung zu haben"
Im Jahr 2001 fand sich Nicole auf einmal in einem Krankenhaus in Salzburg wieder. Barfuß, die Beine mit Bodypainting bemalt, in ihrem Haar ein Efeukranz. Selbstbewusst und mit voller Überzeugung sagte sie zum Krankenhauspersonal: "Ich will jetzt zu Hermann Maier."
Nach einem schweren Motorradunfall musste der österreichische Ski-Star damals auf die Intensivstation. Nicole wollte ihn besuchen, ihm Geschenke bringen und ihm sagen, dass er nicht traurig sein soll. Alles würde wieder gut werden.
Der erste tiefe Fall
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits eine schwere Depression hinter sich. Mit 18 Jahren hatte Nicole zunehmend das Gefühl, keine Freunde zu haben, nirgends dazu zu gehören. Sie kapselte sich ab, ignorierte die Anrufe ihrer Freunde und ließ sich selbst verwahrlosen.
"Bei mir war das eine Form von Bestrafung. Dafür, dass ich so ein schlechter Mensch bin. Dafür, dass ich nichts kann und nichts bin, und dass ich keine Zukunftsperspektive habe. Und deswegen bin ich es nicht mehr wert zu leben."
Wenn Sie oder eine Ihnen nahe stehende Person von Depressionen oder Ähnlichem betroffen sind, wenden Sie sich an eine der folgenden Stellen:
Telefonseelsorge Wien, erreichbar unter der Nummer 142
Sozialpsychiatrischer Notdienst, erreichbar unter der Nummer 0131330
Mehr Hilfsangebote sind unter der Webseite www.suizid-praevention.gv.at zu finden
Dank ihrer Schwester und ihrer besten Freundin, die sie auch in dieser schweren Zeit nie aufgegeben haben, konnte Nicole die Depression nach acht Monaten hinter sich lassen. Dann folgte das andere Extrem: ihre erste Manie, die sie zu Hermann Maier führte.
➤ Mehr lesen: Wenn Stimmungsschwankungen krankhaft werden
Aus ihrem Plan, den Ski-Star am Krankenbett zu besuchen, wurde jedoch nichts. Nicole landete stattdessen selbst auf der Psychiatrie. Fast 14 Tage musste sie auf der Geschlossenen in Salzburg bleiben. Unter Obhut ihrer Eltern durfte die damals junge Erwachsene schließlich auf eine andere Psychiatrie verlegt werden, die näher an ihrem Heimatort Wiener Neustadt liegt. Dort erhielt sie schließlich die richtige Diagnose: Bipolare Störung.
Leben in Extremen
"Menschen mit einer Bipolaren Störung leiden unter krankhaften Stimmungsschwankungen. Das heißt, sie haben mindestens einmal in ihrem Leben eine depressive und einmal eine manische Phase erlebt", erklärt Eva Reininghaus, Leiterin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der Med Uni Graz.
Allerdings bleibt es nicht bei dem einmaligen Auftreten dieser Phasen. "Eine Bipolare Störung ist eine chronische und lebenslange Erkrankung. Mit Medikamenten und intensiver Auseinandersetzung mit der Erkrankung können die Stimmungsschwankungen stabilisiert und so gut in den Griff bekommen werden", erklärt Reininghaus.
Nicole nimmt seit ihrem 19. Lebensjahr Medikamente. Ihre Stimmungsschwankungen sind dadurch zwar abgeflachter, aber nicht gänzlich weg. Alle vier bis sechs Wochen ändert sich derzeit ihre Stimmung. Wenn die Schwankungen derart rasch nacheinander auftreten, spricht man von "Rapid Cycling".
10.000 Euro Schulden in fünf Monaten
Ein klassisches Symptom für eine Manie ist ein lockeres Händchen mit Geld. "Ich hab einfach Geld auf den Kopf gehaut, das ich nicht hatte. Nach fünf Monaten hatte ich dann 10.000 Euro Schulden. In solchen Phasen fühle ich mich als Göttin der Welt. Als könnte ich alles umreißen und alles schaffen", erinnert sich die heute 41-jährige an ihre vergangenen Manien.
In einer manischen Phase hat sie versucht, vier Minister auf einmal zu verklagen. Heute ist sie dankbar dafür, dass ihre Rechtsschutzversicherung sie davor bewahrt hat.
Lernen, damit zu leben
Mittlerweile erkennt Nicole bereits die ersten Anzeichen, bevor sie in die nächste depressive oder manische Phase kommt. Dann versucht sie, diese so gut es geht aufzuhalten. Neben den Medikamenten, Psychotherapie und Selbsthilfegruppen helfen ihr bereits kleine Dinge.
"Ich tracke zum Beispiel meine Gefühlslage auf einer Skala von eins bis zehn. Tagebuch schreiben hilft auch. Oder man kann auch drei Steine in die linke Hosentasche geben und immer, wenn etwas Schönes passiert, gibt man einen Stein in die rechte Hosentasche." Methoden wie diese helfen ihr, die kleinen, guten Dinge, die jeden Tag passieren, wertzuschätzen.
➤ Mehr lesen: Neues Testverfahren soll Bipolare Störungen mittels Bluttest nachweisen
Angehörigen von Betroffenen rät Nicole, sich ebenfalls Hilfe zu suchen. In Selbsthilfegruppen können sie sich mit anderen Angehörigen von psychisch Erkrankten austauschen und so Rat finden. Grenzen setzen und sich selbst nicht verausgaben, rät sie Angehörigen ebenfalls.
Entstigmatisierung: "Wir sind auch nur Menschen"
Mit ihrer Erkrankung umzugehen, hat Nicole so gut es geht gelernt. Belastend findet sie aber vor allem die Stigmatisierung, die Menschen mit psychischen Erkrankungen auch heute noch in der Gesellschaft widerfährt.
Um dieser Stigmatisierung entgegenzuwirken, hat Nicole den Verein "crazy turn" gegründet, veranstaltet Kunstprojekte und spricht in ihrem Podcast "crazy turn - Ich bin bipolar" offen über ihre Erkrankung. Sie sagt: "Wir sind auch nur Menschen, wir können nichts dafür, dass wir diese Erkrankung haben. Keiner sollte Angst vor uns haben."
Kommentare