Wie wirkt die Klimakrise auf die Psyche? "Klimaangst wird unterschätzt"

Symbolbild
Artensterben, steigender Meeresspiegel, Hitzetote: Die Klimakrise hat weitreichende Folgen - auch für die Psyche. Welche Störungen zunehmen, welche Syndrome entstehen und wie man sich wappnen kann.

Traumatisierungen nach Flutkatastrophen, erhöhte Suizidraten bei Hitzewellen, Klimaängste und Zukunftssorgen: Was im Zuge der Klimakrise auf die Psyche zukommt, erklärt Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im KURIER-Interview.

KURIER: Herr Meyer-Lindenberg, als Präsident Ihrer Fachgesellschaft sind Sie Experte für "ökologische Psychiatrie". Das ist kein Begriff, mit dem die meisten Menschen etwas anfangen können. Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Psyche aus?

Es gibt direkte und indirekte Wege, wie der Klimawandel die Psyche beeinflusst. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung 50 Prozent der Menschen nach einer Wetterkatastrophe betrifft. Auch Jahre später gibt es noch eine erhöhte Rate. Auch die Zahl der Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen steigt. Und auch Hitze hat direkte Auswirkungen. Je heißer es ist, desto mehr psychische Störungen treten auf: mehr Depressionen, Angsterkrankungen, auch mehr Suizide und Suizidversuche. Bei älteren Menschen können sich beispielsweise Demenzerkrankungen sogar verdreifachen.

Und indirekte Wege?

Indirekte Wege sind Mechanismen, bei denen der Klimawandel zu Veränderungen führt, die wiederum schlecht für die Psyche sind, z.B. klimabedingte Migration oder zunehmende Urbanisierung. Bekannte psychische Störungen nehmen hier ebenfalls zu, aber es gibt auch neue Krankheitsbilder, z. B. Solastalgie (siehe unten, Anm.) oder Klimaangst.  

"Solastalgie" liest man öfter in diesem Zusammenhang. Was steckt dahinter?

Solastalgie ist ein Syndrom, das Trauer als Reaktion auf den Klimawandel beschreibt. Dahinter steckt, dass sich die Umwelt durch den Klimawandel so verändert, dass man sich in der eigenen Heimat nicht mehr zu Hause fühlt. Der Verlust an Biodiversität, das Artensterben oder die Veränderung der Pflanzen und Tiere, die uns umgeben etwa.

Sowohl bekannte Störungen werden sich also vermehren, aber es wird auch neue Krankheitsbilder geben?

Korrekt.

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Wie ist das Klimathema in Ihrer Arbeit zentral geworden?

Für mich ist das Thema vor allem durch eine Erfahrung in den USA relevant geworden, wo ich zehn Jahre gearbeitet habe. Nach dem Hurrikan Katrina, der die Stadt New Orleans schwer verwüstet hat, habe ich in der psychiatrischen Erstversorgung gearbeitet. Diese Zerstörung der Lebenswelt und den ganzen Tag mit Menschen zu arbeiten, die im Katastrophengebiet waren, das war schwer zu ertragen. Die Auswirkungen auf meine eigene Psyche haben mich nachhaltig beeindruckt.

Insgesamt spielt psychische Gesundheit in der Klimakrise, z.B. in der Forschung und Berichterstattung, aber noch eine untergeordnete Rolle - zu Unrecht?

Ja, sehr zu Unrecht sogar. Psychische Störungen sind in ihrer Häufigkeit und Schwere kaum zu überschätzen. 40 Prozent aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens eine psychische Erkrankung, die behandelt werden muss. Das hat erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen, die durch den Klimawandel noch deutlich zunehmen werden. Deshalb wollen wir die Effekte des Klimas auf die Psyche auch in Klimamodelle einbringen, die die Effekte der Erderwärmung bewerten. Wenn dabei ein zentraler Teil der Folge-Krankheiten nicht berücksichtigt wird, unterschätzen die Modelle die Auswirkungen.

Was belastet eigentlich mehr: die Berichterstattung über die Klimakrise oder die tatsächlich erlebten Klimaveränderungen, also z. B. Hitze, Verlust an Biodiversität, etc.?

Das ist schwer zu sagen, weil es dazu noch sehr wenig Forschung gibt. Wir haben gerade eine erste Studie abgeschlossen, wo wir tatsächlich sehen können, dass Orte mit mehr Biodiversität einen besseren Einfluss auf das Wohlbefinden haben als Orte mit weniger Biodiversität. Das ist auch intuitiv nachvollziehbar. Eine weiße Wand hat einen weniger positiven Effekt als eine grüne Wiese. Aber das beweist noch nichts im Längsschnitt. Und man kann leider auch noch noch nichts darüber sagen, ob es an der Berichterstattung oder am tatsächlichen Erleben liegt.

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Die Medien werden oft dafür kritisiert, wie sie über die Klimakrise berichten. Wie sollte das Ihrer Meinung nach geschehen?

Natürlich muss man darüber berichten, aber man darf die Menschen nicht verzweifeln lassen. Ein Grund für die Klimaangst ist das Gefühl der Ohnmacht gegenüber diesen gewaltigen globalen Veränderungen. Wir empfehlen immer, die Berichterstattung mit der Frage zu verbinden, was man selbst tun kann und das ist eine ganze Menge.

Wie wirkt die Klimakrise auf die Psyche? "Klimaangst wird unterschätzt"

Andreas Meyer-Lindenberg ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Direktor und Vorstandsvorsitzender Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim sowie Ärztlicher Direktor der dortigen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie 

Nun ist die Angst vor der Klimakrise bekanntlich nicht unbegründet. Wie können Sie den Menschen also helfen?

Zunächst muss man sagen: Wenn ich Angst vor dem Klimawandel habe, dann ist das normal. Angst ist die richtige Reaktion auf eine Bedrohung. Wenn aber jemand von dieser Angst so gelähmt wird, dass er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann oder sich nicht mehr mit seinen Freunden trifft, dann ist das eine psychiatrische Erkrankung. Dann würden wir in erster Linie mit psychotherapeutischen Methoden helfen, und das können wir bei Angsterkrankungen zum Glück sehr gut.

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Klimaangst ist also normal, sagen Sie. Oft wird das allerdings als "Klimahysterie" abgetan. Wird dieses Gefühl nicht ernst genug genommen?

Ja, meine Wahrnehmung ist, dass viele Leute das unterschätzen. Ich arbeite viel mit Aktivisten zusammen und da ist das wirklich ein sehr ausgeprägtes Phänomen, generell bei jungen Menschen. Es gibt Studien, die zeigen, dass mindestens 80 Prozent der Jugendlichen sagen, dass sie das Problem extrem stark oder sehr stark belastet.

Auf der anderen Seite des Spektrums der Klimagefühle stehen Klimakrisenleugner. Ist das eine natürliche Reaktion?

Klar. Verleugnung ist eine Art, mit etwas Unangenehmen umzugehen. Wenn etwas für mich gar nicht existiert, muss ich für ein nachhaltiges Leben auch auf nichts verzichten. Aber das stimmt nicht, natürlich muss man auf etwas verzichten. Man kann nicht mehr nach Lust und Laune in die Ferne fliegen, man muss seinen Umgang mit fossilen Brennstoffen ändern und und und.

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Auch in den psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgungsstrukturen wird sich in Zukunft vieles ändern müssen. Wie können wir uns besser aufstellen?

In der Psychiatrie müssen wir agiler werden im Umgang mit Krisensituationen. In den USA gibt es dafür eine eigene Struktur, eine Art Notfallpsychiatrie. So etwas brauchen wir auch, zum Beispiel bei Flutkatastrophen. Wir brauchen auch Geld, um unsere Kliniken klimaresilient zu machen, und wir müssen das Thema in die Aus- und Weiterbildung bringen. Für neue Krankheiten müssen wir entsprechende Therapien entwickeln. Es gibt viel zu tun.

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