Besser als Viagra? Kisspeptin könnte Frauen und Männern helfen
Dass Männer und Frauen keine Lust auf Sex haben, ist angesichts des Alltagsstresses, dem viele ausgesetzt sind, wenig verwunderlich. Doch manchmal machen sich Betroffene etwas vor - tatsächlich leiden Sie an einer "Störung des sexuellen Verlangens". Der medizinische Begriff hierfür lautet HSDD (Hypoactive Sexual Desire Disorder). Immerhin sind bis zu 10 Prozent der Frauen und bis zu 8 Prozent der Männer davon betroffen. Für sie könnte jetzt eine passende Therapie entdeckt worden sein. Selbst Männer, bei denen Viagra nicht wirkte, profitierten nach eigener Erzählung.
In einer Studie des Imperial College in London, die im Fachblatt JAMA Network Open veröffentlich wurde, wurde untersucht, wie das Hormon Kisspeptin wirkt. Das natürlich im Menschen vorkommende Hormon regt die Ausschüttung anderer Sexualhormone wie Testosteron oder Östrogen an.
Das Wissenschaftsteam untersucht je 32 Frauen und Männer, die an sexueller Unlust (HSDD) litten - eine Erkrankung, die sich nachteilig auf die Beziehung, aber auch auf die psychische Gesundheit und die Fruchtbarkeit auswirken, wie Studien-Co-Autor Alexander Comninos weiß.
Dazu wurde den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern zuerst das Hormon Kisspeptin injiziert. Danach duften sie erotische Videos schauen, während die Forscher ihnen mittels MRI-Scanner in das Gehirn geschaut haben. Bei Männern wurde gleichzeitig die Schwellung des Penis gemessen haben. Dasselbe Prozedere wurde nochmals durchgeführt - davor bekamen die Teilnehmer diesmal nur ein Placebo.
Ergebnis: Im Gehirn konnten die Experten sehen, wie Kisspertin gewisse Hirnregionen anregte, die für die sexuelle Aktivität zuständig sind. Gleichzeitig fühlten sich die weiblichen Versuchsteilnehmer sexuell attraktiver.
Auch bei den Männern konnten die Forscher in den Hirnregionen, die für sexuelle Aktivität zuständig sind, Änderungen beobachten. Die Steifheit des Penis erhöhte sich zudem um 56 Prozent im Vergleich zu der Studiengruppe, in der die Männer ein Placebo erhielten.
Das Schöne: Über Nebenwirkungen klagte keiner der Probanden. Heißt: Für HSDD-Betroffene könnte die Gabe des Hormons Kisspeptin tatsächlich eine Linderung ihres Leides bringen.
Erfahrungsbericht eines Mannes
Was sexuelle Unlust im Leben der Betroffenen bedeutet, und was die Gabe von Kisspeptin ändert, beschrieb einer der Studienteilnehmer laut Imperial College London so:
"Meine Unlust hatte sich immer nachteilig auf die Aufrechterhaltung von Beziehungen ausgewirkt. Ich habe mir oft Ausreden einfallen lassen, warum mein sexueller Appetit gering war. Ich habe zum Beispiel Stress bei der Arbeit oder Müdigkeit als Grund angegeben, anstatt ehrlich zu sein. Ich hatte andere leistungsfördernde Medikamente wie Viagra ausprobiert. Diese erwiesen sich jedoch als unwirksam, da das Problem einfach in der mangelnden Lust lag. Es war mir sehr peinlich und ich fühlte mich nicht in der Lage, mit meinen früheren Partnern darüber zu sprechen. Ich befürchtete, sie würden es mit mangelnder Anziehungskraft auf sie verwechseln."
Im Juni 2021 erhielt er dann die Kisspeptin-Infusion, und "ich bemerkte einen Unterschied in Bezug auf mein sexuelles Verlangen. In der Woche, in der ich die Kisspeptin-Infusion erhielt, bekamen wir unseren Sohn, der im März 2022 geboren wurde. Die Studie hat für mich das bestmögliche Ergebnis gebracht. Ich habe auch viel über mich und meine Krankheit gelernt. Ich bin wirklich froh, an dieser Studie teilgenommen zu haben, die mein Leben verändert hat. Ich bin froh, dass auch andere, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, von der Behandlung profitieren können."
Erfahrungsbericht einer Frau
"Ich habe an der Studie teilgenommen, weil ich unter einer geringen sexuellen Libido litt. Anfangs führte ich das darauf zurück, dass ich kleine Kinder hatte und deshalb erschöpft war. Dies hielt jedoch an und begann mein Wohlbefinden zu beeinträchtigen. Ich wollte herausfinden, ob es einen anderen Grund für dieses Gefühl gibt."
Im Jahr 2020 nahm sie dann an der Studie teil, bei der sie das Placebo und die Kisspeptin-Infusion erhielt, ohne zu wissen, welche sie zu diesem Zeitpunkt bekam. "Als ich die Kisspeptin-Infusion erhielt, bemerkte ich einen kleinen Unterschied, und es war faszinierend, an diesem Prozess teilzunehmen. Ich bin froh, dass ich an der Studie teilgenommen habe, denn viele Frauen wollen nicht zugeben, dass sie unter dieser Situation leiden, und suchen vielleicht keine Hilfe. Ich bin froh zu wissen, dass Kisspeptin eine Behandlungsmöglichkeit für andere Frauen sein könnte."
Nicht vom Küssen
Übrigens: Der Name Kisspeptin heißt nicht so, weil es Menschen dazu bringt, ihren Partner, ihre Partnerin zu küssen. Es geht vielmehr zurück auf das Gen KISS1, das den Bauplan für Kisspeptin beinhaltet. Das wurde von einem Forschungsteam der University of Pennsylvania im Jahre 1966 entdeckt, das es nach den Schokobonbons Hershey's Kisses benannte - die Entdeckung des Gens gelang in der US-Stadt Hershey.
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