Australien: Ecstasy-Wirkstoff MDMA als Medikament verschreibbar
Australien wird das erste Land der Welt, in dem dafür zugelassene Psychiaterinnen und Psychiater - unter strengen Auflagen - bestimmte bewusstseinsverändernde Substanzen für ausgewählte Patientinnen und Patienten mit nicht behandelbaren Depressionen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) verschreiben dürfen. Konkret geht es um Psilocybin - der psychoaktive Inhaltsstoff von Magic Mushrooms und MDMA, der Hauptinhaltsstoff von Ecstasy. Australien hat die beiden Drogen auf die Liste der zugelassenen Arzneimittel gesetzt - aber nur für ganz speziell dafür zugelassene Psychiaterinnen und Psychiater.
Viele Wissenschafter halten den Schritt aber für verfrüht und verweisen darauf, dass aus ihrer Sicht die Forschung noch nicht eindeutig gezeigt habe, dass diese Drogen sicher und effektiv für die Therapie sind. "Wir wissen noch zu wenig", schreiben etwa vier australische Experten auf The Conversation. Gleichzeitig liege in diesen Substanzen aber ein hohes Potential, in Zukunft für eine ausgewählte Patientengruppe zu einer etablierten Behandlungsform zu werden.
Psychiater anwesend
Für Aufsehen sorgte vergangenen November eine Studie mit 233 Patientinnen und Patienten mit schweren Depressionen, bei denen die Gabe von Antidepressiva keinen Effekt gezeigt hatte und die deshalb als therapieresistent galten. Sie erhielten eine einmalige Gabe von Psilocybin in Form einer Kapsel mit einem Inhalt von 1, 10 oder 25 Milligramm Psilocybin. Gleichzeitig hörten sie beruhigende Musik und trugen eine Augenbinde, um in den sechs Stunden nach der Einnahme ihre Aufmerksamkeit auf ihr Inneres zu lenken. Die ganze Zeit über war ein Psychiater anwesend und am Tag danach und eine Woche später gab es Therapiesitzungen. Die Patienten beschrieben ihre Erfahrungen als "Wachtraum", es kam zu keinem unkontrollierten Rauschzustand.
Den größten Effekt zeigte in der Studie die 25-Milligramm-Dosis: Bei 29 Prozent der 79 damit behandelten Studienteilnehmer waren drei Wochen später die depressiven Symptome signifikant niedriger als vor der Therapie.
Unerwünschte Nebenwirkungen
Gleichzeitig berichteten 77 Prozent der Teilnehmenden über unerwünschte Nebenwirkungen, darunter Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel. Und bei einem Teil der behandelte Gruppe nahm die antidepressive Wirkung mit der Zeit auch ab.
Das Fachmagazin Nature verweist auf erste Daten einer sogenannten Phase-III-Studie, wonach MDMA als "potenzieller Durchbruch" bei der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen bezeichnet wird.
Professor David Nutt, Leiter der Neuropsychopharmakologie am Imperial College London, beglückwünschte Australien zur "weltweiten Vorreiterrolle bei dieser wichtigen Behandlungsinnovation". Der Psychedelika-Forscher und Psychiater Dr. Ben Sessa bezeichnete die Zulassung als bahnbrechend. "Dies ist der Punkt, an dem das weltweite Rampenlicht auf die Psychedelika fällt", sagte er der BBC.
Psychiater, die MDMA oder Psilocybin zur Therapie verwenden wollen, müssen sich bei der Arzneimittelbehörde TGA (Therapeutic Goods Administration) registrieren und benötigen eine Genehmigung. Alle sechs Monate müssen sie angeben, wie viele Patienten behandelt werden und welche Nebenwirkungen aufgetreten sind.
Wenn Sie oder eine Ihnen nahe stehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich an die Telefon-Seelsorge, die rund um die Uhr kostenlos unter der Rufnummer 142 erreichbar ist.
Unter www.suizid-praevention.gv.at findet man viele weitere Informationen zu Hilfsangeboten.
"Nicht für jeden"
Doch es gibt auch sehr viele kritische Stimmen. Ein zentraler Kritikpunkt ist aus Sicht vieler Expertinnen und Experten, dass die Forschung noch zeigen müsse, welche Patientinnen und Patienten wirklich am besten für die Behandlung mit psychoaktiven Substanzen geeignet sind. "Sie ist es nicht für jeden", sagt die australische Psychiaterin Susan Rossell zu Nature. Sie ist an Australiens einziger derzeit laufender klinischer Studie beteiligt, in der eine Psilocybin-gestützte Psychotherapie für behandlungsresistente Depressionen getestet wird.
Sie befürchtet, dass die Drogen bei unsachgemäßer Verabreichung zu schlechten Trips führen und die psychischen Probleme der Betroffenen verstärken könnten. "Das ist das schlimmste Szenario", sagt sie. Noch unveröffentlichte eigene Forschungsergebnisse von ihr würden darauf hindeuten, dass 10 bis 20 Prozent der Studienteilnehmer eine "wirklich schreckliche Zeit" mit diesen Medikamenten haben.
Größere Studien gefordert
Die Australian Medical Association (AMA) fordert größere Studien und warnt vor unbekannten Risiken, langfristigen Nebenwirkungen und einem "möglicherweise sehr begrenzten Nutzen" des Einsatzes dieser Substanzen in der Therapie. "Die psychedelisch unterstützte Therapie kann einer kleinen Zahl von Menschen Hoffnung geben, bei denen andere Behandlungen erfolglos versucht wurden. Aber sie ist kein Wundermittel", sagte etwa der Psychiater Richard Harvey.
Im Gegensatz zu Australien hat sich vergangene Woche die US-Arzneimittebehörde FDA in ihrem ersten Entwurf für die Planung klinischer Studien mit psychedelischen Substanzen sehr zurückhaltend gezeigt. Darin wird darauf hingewiesen, dass klinische Studien noch einige Fragen zur Wirksamkeit und Sicherheit beantworten müssen. Noch handle es sich um Prüfpräparate.
Gefahr der Überdosierung nicht unterschätzen
Ähnlich äußerte sich Ende des Vorjahres auch der österreichische Psychiater Martin Aigner, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) im KURIER. Die Forschung stehe noch am Anfang und es sei noch zu früh, um zu beurteilen, ob MDMA im Alltag eingesetzt werden könne. "Es dauert lange, um zu erforschen, wer profitieren kann, wie hoch die Dosis sein soll und zu welcher Zeit und in welcher Umgebung der Wirkstoff verabreicht werden soll." Die Gefahr einer Überdosierung sei gerade bei MDMA nicht zu unterschätzen.
Und: Bei all den neuen Ansätzen dürfe auf die Psychotherapie nicht vergessen werden. Sie sei - kombiniert mit einer abgestimmten Medikation - weiterhin der Goldstandard.
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