RSV, Krebs, Zystische Fibrose: Wo neue Arzneimittel zum Einsatz kommen

Infektionen mit dem RS-Virus können bei Kleinkinder schwere Komplikationen auslösen. Ab Herbst soll eine Antikörper-Impfung für alle Kinder im ersten Lebensjahr zur Verfügung stehen.
2023 konnten 36 Arzneimittel mit komplett neuen Wirkstoffen zugelassen werden. In einigen Bereichen gibt es besonders große Therapiefortschritte.

Die angeborene Stoffwechsel-Krankheit Zystische Fibrose ist eine der häufigsten Erbkrankheiten. Meistens tritt sie schon im ersten Lebensjahr auf. Die Betroffenen leiden unter zähflüssigem Schleim in der Lunge und häufig auch unter Beschwerden im Verdauungstrakt. Doch "großartige neue Medikamente" ermöglichen vielen der Patientinnen und Patienten "ein neues Leben", sagt die Kinderärztin Angela Zacharasiewicz, Vorständin der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde der Klinik Ottakring in Wien. 

In den vergangenen zehn Jahren sind mehrere sogenannte "Orphan Drugs" in der EU neu zugelassen worden das sind Medikamente gegen Orphan Diseases ("Waisenkrankheiten"), wie seltene Krankheiten auf Englisch genannt werden. Darunter waren auch Präparate gegen Zystische Fibrose. "Für einen immer größeren Teil der Betroffenen stehen jetzt Medikamente zur Verfügung, die die Lebenserwartung massiv ansteigen lassen und an jene der Allgemeinbevölkerung angleichen", sagt Zacharasiewicz. So sei jetzt ein Medikament für eine der häufigsten genetischen Mutationen, die Zystische Fibrose auslösen, für Kinder bereits ab zwei Jahren zugelassen: "Der Schleim ist nicht mehr so zähflüssig, der Teufelskreis aus Infektion und Entzündung ist sehr stark abgebremst." 

Das Beispiel der Zystischen Fibrose ist nur eines von vielen, das die Bedeutung der Entwicklung von innovativen Medikamenten mit neuen Wirkstoffen zeigt.

Einige wichtige Beispiele für innovative Medikamente

Im Vorjahr sind in der EU 36 Arzneimittel mit komplett neuen Wirkstoffen zugelassen worden. darunter fünf Orphan Drugs – mehr als 400 innovative Arzneimittel waren es in den vergangenen zehn Jahren, hieß es am Mittwoch auf einer Pressekonferenz der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI). Von den 2023 zugelassenen 36 Therapien entfiel – wie auch in den Jahren davor – der größte Teil (genau ein Drittel) auf Krebsmedikamente. 17 Prozent betrafen Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen, die gezielt das Immunsystem dort dämpfen, wo es überschießend reagiert, sagt Günter Waxenecker, Leiter des Geschäftsfeldes Medizinmarktaufsicht der AGES. Das sind etwa Präparate gegen Schuppenflechte oder Multiple Sklerose.

Einige weitere konkrete Beispiele für Zulassungen im Vorjahr:

  • RSV-Impfstoffe: Erstmals wurden zwei Impfstoffe zur Prävention für Erwachsene ab 60 Jahren zugelassen sowie ein monoklonaler Antikörper zum Schutz von Babys im ersten Lebensjahr ("passive Immunisierung"). "RSV ist besonders gefährlich bei jenen Menschen, bei denen das Immunsystem noch nicht ausreichend entwickelt ist – also Kleinkinder, besonders im ersten Lebensjahr – und bei denen das Immunsystem gealtert ist", erklärt Waxenecker. "Die RSV-Impfstoffe bieten einen 90- bis 95-prozentigen Schutz gegen schwere Atemwegsinfektionen", betont Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf. "10 Prozent der Kinder bekommen Infektionen der unteren Atemwege", berichtet Zarachsiewicz. "Besonders im ersten Lebensjahr kann eine Infektion viele Probleme und viel Leid verursachen." Es kann zu langfristigen Schädigungen der Lunge kommen. Auch die sogenannte "Post RSV Atemwegserkrankung" ist eine gefürchtete Komplikation: "Kinder können nach einer schweren RSV-Erkrankung auch bei banalen Virusinfekten (z. B. Schnupfenviren, Anm.) schwer erkranken." Deshalb wird die Fachgesellschaft der Kinderärzte für die kommenden RSV-Saison ab Herbst allen Kindern im ersten Lebensjahr diese Antikörper-Impfung empfehlen. "Wir hoffen, dass das Präparat im Herbst auch verfügbar sein wird." Im vergangenen Winter war es in Österreich noch nicht lieferbar.
  • Spezielle Antikörper: 2023 hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA vier "bispezifischen Antikörpern" die Zulassung erteilt. "Diese binden einerseits an die krankmachenden Zellen und andererseits an jene Abwehrzellen, die die Krankheit bekämpfen", erklärt Waxenecker. "Dadurch kann das Immunsystem wieder effizient die Krebszellen bekämpfen."
  • Gentherapie für Bluterinnen und Bluter: Grünes Licht gab es im Vorjahr in der EU für eine Gentherapie zur Behandlung der sogenannten Hämophilie B. Durch einen Mangel des Gerinnungsfaktors IX kommt es zu spontanen und verlängerten Blutungen. Die Patientinnen und Patienten erhalten mit einer einzigen Infusion den genetischen Bauplan für diesen Gerinnungsfaktor und produzieren ihn fortan selbst. Bereits 2022 wurde auch eine Gentherapie zur Behandlung der Hämophilie A zugelassen.

Arschang Valipour, der auch das Karl Landsteiner Institut für Lungenforschung und Pneumologische Onkologie leitet, bedauert, dass Forschung in Österreich noch immer nicht den "positiven Spin" hat, der ihr zustehen würde. Aber überall dort, wo klinische Forschung passiere, sei die Behandlungsqualität höher.

295 klinische Studien wurden 2023 in Österreich durchgeführt, auch hier entfällt der größte Anteil (41 Prozent) auf Krebserkrankungen. "Diese Studien ermöglichen den Patientinnen und Patienten den frühen Zugang zu den neuesten Entwicklungen und gewährleisten eine engmaschige Betreuung", betont Julia Guizani, Präsidentin des FOPI. Mehr als 42 Milliarden Euro investiert die europäische Pharmaindustrie pro Jahr in die Forschung. Mit einer Forschungs- und Entwicklungsquote von 12,4 Prozent vom Umsatz sei die europäische Pharmaindustrie die mit Abstand forschungsintensivste Branche aller Technologiesektoren – deutlich vor der IT – und der Autoindustrie, sagte Guizani. Im Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie sind 25 Pharmaunternehmen in Österreich vertreten.

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