Wider die Erschöpfung: Was dem Körper und der Psyche Kraft gibt
Andreas Salcher beginnt jeden Morgen mit einem Ritual: „25 Minuten Bewegung und danach 20 Minuten transzendentale Meditation“, erzählt er im KURIER-Gespräch.
Der Unternehmensberater und Buch-Autor ist damit nicht allein: „Rund 90 Prozent aller sehr erfolgreichen Menschen beginnen und beenden den Tag mit einem Ritual.“ Persönliche Rituale helfen nämlich, dass Energiequellen nicht versiegen – und sie bewahren die Menschen davor, anfällig für Erschöpfung zu werden, weil sie mit einem positiven Mindset in den Tag gehen.
Andreas Salcher: „Die große Erschöpfung und die Quellen der Kraft“. Edition a. 237 Seiten. 25 Euro
Mit dem Thema Erschöpfung hat er sich in seinem neusten Buch auseinandergesetzt – zum einen aus persönlicher Betroffenheit, zum anderen, weil er erlebt hat, dass die multiplen Krisen wie Pandemie, Krieg und Klimawandel auch bei vielen zur Erschöpfung führen können, die bisher gut mit ihrem Leben zurechtgekommen sind.
Tiefpunkt
„Bei mir kam ein persönlicher Tiefpunkt, nachdem mein Vater an Corona starb. Ich war tief traurig und nach einigen Tagen auch sehr erschöpft.“ Doch Andreas Salcher fand einen Weg heraus. „Ganz unbewusst habe ich das gemacht, was meine großen Vorbilder immer raten. Zu denen gehören neben dem Psychologen Viktor Frankl der Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast und der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi. Ich konnte mich also entscheiden, in der Trauer zu verharren oder dankbar dafür zu sein, dass mein Vater nach einem erfüllten Leben nicht endlos leiden musste.“
Neben der Wahlfreiheit sind es zwei Wege, die Salcher vor einer Erschöpfung bewahren: „Wenn ich kreativ arbeite, bin ich in einem Flow – dabei kannst du nicht erschöpft sein. Das schaffe ich in meiner Arbeit recht gut. Schwerer tue ich mir mit der Dankbarkeit: Da muss ich in meinen Gedanken immer wieder die Stopp-Taste drücken und mich fragen, wofür ich dankbar sein kann.“
Vollzeitjob
Doch in der Regel sind es nicht Einzelereignisse, die Menschen ausbrennen lassen. „Die Muster, was bei dem einzelnen zur Erschöpfung führt, sind sehr individuell“, gibt Salcher zu bedenken. „Die Menge an Arbeit ist es in den seltensten Fällen. Es gibt Alleinerziehende, die drei Kinder und einen Vollzeitjob schupfen und dabei immer noch Kraft haben, und Mütter, die einen Halbtagsjob und ein Kind haben – und dennoch ausbrennen.“ Das habe auch viel mit dem Blick auf sein Leben zu tun: „Übernehme ich Verantwortung für mein Leben oder gebe ich anderen die Schuld an meiner Situation – das unterscheidet resiliente von nicht resilienten Menschen, wie viele Studien zeigen.“
Brennen Menschen im Job aus, liegt der Grund meist darin, dass sie zu fremdbestimmt arbeiten müssen und keinen Sinn mehr in dem sehen, was sie tun. Deshalb sei die Frage nach der Work-Life-Balance oft die falsche: „Wenn ich 30 Stunden fremdbestimmt tätig bin, ohne dass ich einen Sinn hinter meinem Tun sehe, dann erschöpft mich das mehr, als wenn ich 40 Stunden im Job bin und das Gefühl habe, meine Arbeit selbst steuern zu können.“
Geldfrage
Merken Menschen, dass ihr Job ihnen alle Kräfte raubt, sei es Zeit, ein Gespräch mit dem Chef zu führen. „Arbeitnehmer sind derzeit in den meisten Branchen in einer stärkeren Position, weil Fachkräfte gesucht sind. Ein guter Vorgesetzter wird deshalb versuchen, auf Wünsche und Vorschläge einzugehen.“ Da gehe es nicht primär ums Geld, sondern um die Frage, wie der Mitarbeiter seine Arbeit so gestalten kann, dass er damit zufriedener ist – die Palette reicht hier von flexiblen Arbeitszeiten bis zu veränderten Abläufen.
Blickwinkel
Oft geht es darum, welchen Blick man auf seinen Beruf hat. „Mich hat beeindruckt, mit welcher Freude die Mitarbeiter der MA 48 bei der Müllabfuhr täglich ihre Runden machen. Fast alles ist vorgegeben, doch sie erleben ihre Aufgabe als sinnvoll – das ist wohl der Grund, warum ich die meisten dort als sehr zufrieden erlebt habe. Auch wenn wahrscheinlich nicht alle Frankl gelesen haben, wenden sie unbewusst seine Lehre von der Wahlfreiheit an.“
Doch nicht nur die Arbeitnehmer, auch die Firmen tragen laut dem Unternehmensberater eine Verantwortung: „Chefs bürden ihren Mitarbeitern oft sehr viel auf und wollen das dann mit mehr Geld kompensieren. Sie tappen damit in die ,Bestechungsfalle‘. Es geht nicht um Geld, es geht um Wertschätzung und Sinnerfüllung in der Arbeit.“
Unnötige Aufgaben
Und die geht bei Reorganisationen, die es in Unternehmen andauernd gibt, manchmal verloren: „Oft kommt am Ende dabei raus, dass ein Mensch zukünftig das macht, was bisher zwei Kollegen erledigt haben“, beobachtet Salcher. Dabei sei nichts ineffizienter, als Dinge produktiver zu machen, die nie getan werden sollten. Im Klartext heißt das: Wenn Arbeitnehmer mehr arbeiten müssen, um Unnötiges zu erledigen, braucht man sich nicht wundern, wenn sie ausbrennen. „Gute Unternehmen schauen bei Umstrukturierungen deshalb drauf, welche Aufgaben überhaupt nötig sind.“ Salchers Credo im Beruf und im Privaten lautet deshalb: „Wenn du etwas Neues hinzufügst, sollst du dafür etwas anderes aufgeben.“
Man kann zum Beispiel auf negative Rituale verzichten – etwa den wöchentlichen Besuch bei der Tante, die eh nur immer schlechte Stimmung verbreitet und deshalb eine Energieräuberin ist.
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