Rastlos – warum wir zu wenig Pausen machen

Rastlos – warum wir zu wenig Pausen machen
Wir sind ständig getrieben und gönnen uns keine Pausen mehr. Warum das Abschalten so schwerfällt und was dabei hilft.

Am Mittwoch hat die Fastenzeit begonnen. Was viele Menschen dazu bewegt, sich 40 Tage lang im Verzicht zu üben. Sie streichen Fleisch, Süßigkeiten, Kaffee oder Alkohol von ihrer Konsumliste, sie misten Kleiderschränke für Spenden aus oder versuchen, ihre Bildschirmzeit zu reduzieren. Die Fastenzeit wird oft als Chance gesehen, sich selbst etwas Gutes zu tun und zu entschleunigen. Überfluss und Übersättigung zeigen sich oft dann, wenn es die Möglichkeit gibt, einmal auf die Bremse zu treten.

Immer schneller immer mehr leisten und mit permanenten Veränderungen schritthalten zu müssen, ist ein Gefühl, das die meisten kennen – Wissenschafter bezeichnen das Phänomen als „soziale Beschleunigung“. Es muss mehr konsumiert, distribuiert, produziert werden. Firmenumsätze müssen wachsen, Unis mehr forschen, Menschen effizienter sein. Überall geht es darum, das Vorgängige zu überbieten.

Zeitknappheit

Der in Jena lehrende Soziologe Hartmut Rosa widmet sich diesem Phänomen der Beschleunigung seit Jahren in zahlreichen Büchern und Forschungsprojekten. In einem Interview in der Zeitschrift GEO sagte der Forscher unlängst: „Die ganze Moderne ist eine einzige Geschichte des Zeitsparens und der Beschleunigung: Mit dem Auto kommen wir rascher voran als zu Fuß, mit dem Flugzeug schneller als mit dem Auto. Waschmaschinen, Staubsauger, Mikrowellen sparen Zeit, eMails erreichen ihren Adressaten in Sekundenschnelle. Fast jede Technik ist mit dem Versprechen verbunden, dass wir mit ihr Zeit gewinnen.“ Aber: Paradoxerweise habe sich kein Zeitreichtum eingestellt, sondern Zeitknappheit.

Chronische Erschöpfung

Das Gefühl, zu wenig Zeit für sich zu haben, nicht zur Ruhe zu kommen, führt auch viele Klienten in die Praxis von Psychotherapeut Imre Márton Reményi. Nicht bei allen lautet die Diagnose sofort Burn-out. Viele fühlen sich chronisch erschöpft oder überfordert in Job und Privatleben.

„Häufig therapiere ich Menschen, die für ihren Job brennen“, erklärt Reményi. „Es sind Menschen, die glauben, immer verfügbar sein zu müssen. Deren Berufsalltag so durchgetaktet ist, dass sie gar nicht mehr merken, wie sehr sich die Arbeit wie eine Krake in ihre Freizeit gefressen hat. Gerade diese Gruppe ist Burn-out-gefährdet.“

Seine Klienten würden sich einerseits selbst unter Druck setzen und zu hohe Ziele setzen. Andererseits sprechen viele auch von der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, dass in gewissen Positionen stets an der Belastungsgrenze gearbeitet werden müsse, um Erfolg zu haben.

Es gebe Klienten, die seit vier Jahren nicht mehr im Urlaub waren, nicht Nein sagen können, die Aufgaben übernehmen, die sie nicht tun müssten, die irgendwann ihre Begeisterung für ihren Job verloren haben und von Leere und Antriebslosigkeit sprechen.

Fehlender Ausgleich

„Ein Burn-out ist nicht nur auf zu viel Arbeit zurückzuführen“, stellt Reményi. klar. Arbeit per se macht also nicht krank. Stress ist nicht nur negativ. Er führt auch zu Erfolgen im Job, diese wiederum rufen Hoch- und Glücksgefühle hervor. „Ursache der Erschöpfung ist die fehlende Balance zwischen Arbeitszeit und Erholung“, so der Experte. In seinen Sitzungen hilft der Psychotherapeut, dieses Maß wiederzufinden.

Für Außenstehende klingt die Lösung oft simpel: Wer erschöpft ist, soll sich Urlaub nehmen und eine Auszeit gönnen. Was soll daran schwierig sein? Zum einen: Der fehlende Ausgleich kommt nicht durch ein Wellness-Wochenende oder einen zweiwöchigen Urlaub zurück. „Der Arbeitsrhythmus an sich wird dadurch ja nicht verändert“, so der Therapeut. Er ergänzt: „Zum Innehalten gehört Mut. Eine Pause oder eine Auszeit setzen viele mit Versagen, Karriereeinbußen oder Jobverlust gleich.“

Am Flipchart zeichnet er einen Zeitstrahl auf. „Von acht bis zehn Uhr morgens sollte man sich nur auf die dringendsten Aufgaben konzentrieren. Wer dann eine Pause nimmt, hatte bereits einen erfolgreichen Tag. Erst dann checkt man seine eMails und geht zu den übrigen Aufgaben über.“

Optimierungszwang im Job und Privatleben

Wer im Job nicht Nein sagen kann, kann es privat oft auch nicht. Und so geht der Optimierungszwang nach der Arbeit im selben Tempo weiter. In immer kürzeren Zeiteinheiten werden immer mehr Dinge hineingepfercht: Zuerst ein Power-Nap von 20 Minuten, dann geht es eine Stunde aufs Laufband, später auf einen After-Work-Drink und bevor der Supermarkt schließt, werden rasch ein paar Lebensmittel eingekauft.

Der Optimierungsgedanke ist für den Soziologen Hartmut Rosa Ausdruck einer „Beschleunigungsgesellschaft“. Im GEO-Interview vergleicht Rosa das Streben nach Effizienz mit einer Sucht: „Wir gieren nach mehr Möglichkeiten, mehr Handlungen, mehr Erlebnisperioden.“ Warum? „Weil wir es für die Bedingung eines gelungenen Lebens halten, möglichst viel Welt in unsere Reichweite zu bringen.“

Arbeit verdichtet sich

Zwei von drei Beschäftigten in Österreich empfinden zunehmenden Druck im Arbeitsalltag, zeigt auch eine Studie der Unternehmensberatung EY aus dem Vorjahr. So berichten zwei von drei Arbeitnehmern (65 Prozent), dass die Anforderungen am Arbeitsplatz in den vergangenen fünf Jahren zugenommen haben. Für mehr als jeden fünften Arbeitnehmer (22 Prozent) hat die Belastung sogar „stark zugenommen“. Lediglich eine kleine Minderheit, jeder Zwanzigste (5 Prozent), sieht einen Rückgang der Arbeitsbelastung.

Diese Intensivierung der Arbeitswelt beobachten Wissenschafter seit Jahren. Forscher der Uni Wien konnten belegen, dass über einen Verlauf von 30 Jahren der Zeitdruck, und auch die Arbeitsdichte zugenommen haben. Gleichzeitig wird an Personal gespart, Arbeitsabläufe werden beschleunigt und Aufgabenbereiche erweitert.

Zu viel Freiheit überfordert

„Wesentliche Treiber dahinter sind technologische Neuerungen und die Vielfalt an Kommunikationsmitteln“, erklärt Arbeitspsychologe und Studienautor Christian Korunka. Die ständige Erreichbarkeit wiederum lässt die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. „Klassische Strukturen wie Arbeitszeit, Mittagspause und Arbeitsende lösen sich auf“, so Korunka. „Wann eine Pause gemacht wird, dafür sind jetzt viele Arbeitnehmer selbst verantwortlich.“

Viele seien von dieser Freiheit auch überfordert, glaubt Korunka. Arbeitsfreie Zeiten würden oft zu kurz kommen. Die Österreicher haben pro Jahr 25 Urlaubstage, trotzdem kommen nur wenige erholt zurück, zeigte eine Studie zu Leisure-Sickness, auch Freizeit-Krankheit genannt. Wenn vier von fünf Arbeitnehmern angeben, außerhalb der Arbeitszeit eMails zu beantworten, und 80 Prozent im Urlaub für die Arbeit erreichbar bleiben, ist das wenig verwunderlich.

Ungleiche Belastung

Nicht alle Arbeitnehmer sind von dieser Arbeitsintensivierung betroffen. „Das Gefühl, dass immer mehr Arbeit in immer weniger Zeit erledigt werden muss, entsteht oft aus einer persönlichen Betroffenheit heraus“, erklärt Korunka. „Es sind vor allem höher qualifizierte Wissensarbeiter in der IT, Verwaltung, der Dienstleistungsbranche und der Wissenschaft.“ Diese Ungleichheit führe auch zu einer Polarisierung und teile die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer.

Was für alle gleich bleibt, ist der Rhythmus der Zeit. Es sind 24 Stunden und sieben Wochentage, auf die die eigenen Ressourcen verteilt werden müssen.

Weniger Hektik

Alexandra Weilhartner, Prokuristin der ÖSB Gruppe sowie Gesundheitsmanagerin, informiert mit dem Beratungsangebot  „fit2work“ Personen und Betriebe über Stress. Ihre Tipps:

- Realistische Ziele setzen: Viel hängt von der eigenen Erwartungshaltung ab. Wer sich zu viel Arbeit aufhalst, wird letztlich weniger Erfolgserlebnisse haben.

- Eine Struktur schaffen: Wer in der Früh sofort E-Mails beantwortet, büßt bereits viel von seiner Konzentration ein. Besser: Zuerst dringende Aufgaben erledigen, dann die wichtigen, zum Schluss die Planung für den nächsten Tag.

- Kein Multitasking: Die Aufgaben nacheinander machen, nicht hin- und herspringen.

- Ehrliche Pausen: Mittagspausen nicht am Arbeitsplatz verbringen, sondern  für Bewegung und  Austausch mit Kollegen nutzen. Urlaubstage sind  Erholungszeit.

- Spaß und Mut zur Lücke: Humor darf im Arbeitsleben nicht fehlen. Und: Ergebnisse müssen nicht perfekt sein. Es reicht, wenn sie gut sind.

- Erreichbarkeit regeln: Abklären, ob eMails nach Feierabend zu beantworten sind und wann man nach Arbeitsende angerufen werden kann.

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