Elisabeth Stögmann: Ich sehe das sehr kritisch – wenngleich es zu befürchten war. Damit zieht sich der Zulassungsprozess noch weiter hinaus. Auch beim ersten Präparat, Lecanemab, gab es erst im zweiten Anlauf eine Empfehlung der EMA für eine – eingeschränkte – Zulassung. Jetzt hoffe ich, dass die EU-Kommission im Mai Lecanemab auch wirklich zulässt – das wäre dann bereits fast zwei Jahre nach den USA. Eine Zulassung von Donanemab hingegen ist derzeit nicht absehbar.
Die EMA sieht bei Donanemab mehr Risiken als Nutzen.
Natürlich möchte auch ich bei meinen Patientinnen und Patienten keine Nebenwirkungen auslösen. Aber es gibt einen Weg, das Risiko von schweren Nebenwirkungen wie Hirnblutungen und Schwellungen deutlich zu senken, den die EMA auch bei ihrer Empfehlung für Lecanemab gewählt hat: Patienten, die zwei Kopien der Genvariante ApoE4 tragen, sind – sollte es zur Zulassung kommen – davon ausgenommen. Das sind rund 15 Prozent der Alzheimer–Patienten. Bei ihnen ist das Risiko schwerer Nebenwirkungen stark erhöht.
Ohne diese Gruppe sinkt das Risiko für Hirnödeme auf 7 bis 12 Prozent.. Generell machen nur ein Viertel der Auffälligkeiten im Gehirn, die man bei begleitenden MRT-Untersuchungen sieht, auch tatsächlich Symptome. Durch engmaschige Kontrollen an spezialisierten Zentren halte ich die Risiken für beherrschbar.
Aber wie relevant ist der Nutzen der Präparate im Alltag?
Sie verlangsamten in den Studien den Krankheitsverlauf über alle Teilnehmer um rund 30 Prozent – das entspricht fünf bis sieben Monaten in dem beobachteten Zeitraum von 18 Monaten. In der Untergruppe der Patienten in einem ganz frühen Alzheimer-Stadium war der Effekt noch größer. Und es gibt bereits Hinweise, dass bei einer Therapie über 18 Monate hinaus die positiven Effekte bestehen bleiben. Es könnte also langfristig ein Gewinn von mehreren Jahren möglich sein, in denen die Erkrankung nur langsam fortschreitet. Es gibt einzelne Experten, die meinen, diese Verlangsamung des Verlaufs sei nicht relevant, das sehe ich nicht so. Und wer kann so einfach sagen, was für die Betroffenen relevant ist, und was nicht?
Sie sehen also mehr Vorteile als Gefahren?
In den Patientengruppen ohne genetisch bedingtes erhöhtes Risiko nach den Daten ja. Die EMA geht mit dem Ausschluss der Hochrisikogruppe mit zwei ApoE4-Kopien ohnehin einen konservativen Weg, der für die Betroffenen schwierig, aber für mich nachvollziehbar ist. In den USA gibt es diese Einschränkung nicht. Es liegen auch neue, von der EMA noch nicht berücksichtigte Daten zu Donanemab vor: Wird die Dosis von Infusion zu Infusion im Monatsabstand langsamer gesteigert als in der ersten Studie, halbiert sich die Rate der Nebenwirkungen. Es gibt also verantwortungsvolle Möglichkeiten der Anwendung. Aber möglicherweise spielen auch andere Gründe für die Zögerlichkeit von EMA und EU eine Rolle.
An welche denken Sie?
Darüber wurde am Alzheimer-Kongress vergangene Woche in Wien intern viel diskutiert. Vielfach war zu hören, dass es in der EU eine Angst vor den Folgekosten der Zulassungen gibt. Die jährlichen Medikamentenkosten sind mit rund 25.000 Euro – etwa im Vergleich zu manchen Krebstherapien – nicht so hoch. Aber derzeit werden nur rund 10 Prozent der Alzheimer-Patienten in einem so frühen Stadium diagnostiziert, dass sie für die neuen Therapien infrage kommen.
Dass die Diagnosen derzeit meist erst spät stattfinden, hängt auch damit zusammen, dass es bisher keine effektiven Therapien gab. Mit den neuen Präparaten steigt aber der Druck auf das Gesundheitssystem, genauer hinzusehen, wenn jemand kognitive Defizite beschreibt, und auch spezialisierte Untersuchungen wie PET-Scans früher anzusetzen. Gleichzeitig sind regelmäßige MRT-Kontrollen während der Therapie notwendig – für das alles braucht es aber auch eine zusätzliche Infrastruktur und das führt zu deutlich mehr Kosten.
Wie viele Patienten warten derzeit auf eine Therapie?
An unserer Ambulanz für Demenzerkrankungen am Wiener AKH haben wir 40 bis 50 Patienten, die sich teilweise bereits seit einem Jahr auf einer Warteliste befinden. Sie schreiben uns immer wieder und fragen nach – dass wir keine positive Antwort geben können, ist für sie und für uns frustrierend. Mittlerweile gibt es auch einige Patienten, die regelmäßig ins Ausland fliegen – etwa in die USA –, und sich dort auf eigene Kosten behandeln lassen.
Was die Früherkennung betrifft: Worauf soll man selbst und sollen Angehörige achten?
Das häufigste Symptom der Alzheimer-Krankheit ist die Vergesslichkeit – und zwar dann, wenn etwas Bestimmtes immer wieder passiert. Also wenn man immer wieder kürzlich Besprochenes oder Gelesenes vergisst. Wenn man häufig Dinge nachfragen muss, über die man erst kürzlich geredet hat. Oder wenn ein und dieselbe Geschichte immer wieder erzählt wird und man vergisst, dass man sie eigentlich gerade erst erzählt hat.
Es geht also nicht um einmalige Ereignisse, wenn man einmal etwas vergisst oder einmal einen schlechten Tag, oder eine schlechte Woche hat, sondern um eine Vergesslichkeit, die regelmäßig auftritt – und die anhält. Bemerkt man solche Veränderungen an sich, sollte man einen Facharzt für Neurologie oder für Psychiatrie aufsuchen.
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