Affenpocken: Vier Fragen, die jetzt beantwortet werden müssen
Es ist drei Wochen her, dass die Gesundheitsbehörden einen Fall von Affenpocken im Vereinigten Königreich bestätigt haben. Mit Stand Freitag gibt es in Österreich weiterhin nur einen bestätigten Fall von Affenpocken. Bei dem einzigen bekannten Fall handelt es sich um einen 35-jährigen Mann, der am 22. Mai mit typischen Symptomen wie leichtem Fieber und Pusteln im Gesicht in einem Wiener Spital aufgenommen worden war.
Deutschland hat bereits Impfdosen gegen Affenpocken bestellt, wie der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Wochenende mitgeteilt hat: "Der Vertrag liegt vor, ist von mir gezeichnet", sagte Lauterbach (SPD) am Sonntagabend der ARD. Er gehe davon aus, dass der Impfstoff sehr bald vorliegen werde.
"Dann können wir auch Impfkonzepte machen, um die Infizierten herum." Dies werde vorbereitet. Im Juni könnten rund 40.000 Dosen geliefert werden, im weiteren Verlauf des Jahres weitere 200.000 Impfdosen.
"Ich glaube nicht, dass die Affenpocken wirklich eine Gefahr darstellen im Sinne einer Pandemie", sagte Lauterbach. Trotzdem seien sie "keine schöne Erkrankung" und müssten eingedämmt werden.
Die USA hatten am Montag vergangener Woche mit der Ausgabe von Impfstoff gegen die Affenpocken begonnen. Es handelte sich um ein Mittel von Bavarian Nordic, dessen Impfstoff seit 2013 in der EU zugelassen ist.
Vergangene Woche hatte der Schweizer Pharmakonzern Roche bekannt gegeben, dass er PCR-Testkits zur Erkennung des Virus entwickelt hat. In den vergangenen Tagen wurden mehrere Fälle von Affenpocken mittels PCR (Polymerase-Ketten-Reaktion) in speziellen Labors nachgewiesen. Mit Testkits ist das Virus einfacher nachzuweisen.
257 bestätigte Fälle in 23 Staaten
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, das Affenpocken schon seit Längerem außerhalb des üblichen Verbreitungsraumes vorkommen. "Die überwiegende Mehrheit der bisher gemeldeten Fälle hat keine nachweisliche Reiseverbindung zu einem endemischen Gebiet", teilte die WHO am Sonntag mit.
Das gleichzeitige, plötzliche Auftreten des Virus in mehreren Ländern lasse auf eine unentdeckte Übertragung über einen längeren Zeitraum schließen. Laut WHO wurden bis zum 26. Mai insgesamt 257 bestätigte Fälle und 120 Verdachtsfälle aus 23 Mitgliedsstaaten gemeldet, in denen das Virus nicht endemisch ist.
Die Viruserkrankung tritt eigentlich hauptsächlich in West- und Zentralafrika auf, was die jüngsten Ausbrüche ungewöhnlich macht.
Die außergewöhnliche Situation hat Wissenschafter in Alarmbereitschaft versetzt, da das Virus in verschiedenen Populationen in mehreren Ländern aufgetreten ist und es keine offensichtliche Verbindung zwischen den Clustern gibt, was die Möglichkeit einer unentdeckten, lokalen Übertragung des Virus nahelegt.
"Wir müssen schnell und entschlossen handeln, aber es gibt noch viel zu lernen", sagt Anne Rimoin, Epidemiologin an der Universität von Kalifornien in Los Angeles im Interview mit Nature, die sich seit mehr als zehn Jahren mit den Affenpocken in der Demokratischen Republik Kongo beschäftigt.
Das wissenschaftliche Fachmagazin Nature stellt die vier wichtigsten Fragen zu den jüngsten Ausbrüchen, auf die die Forscher dringend Antworten suchen.
Frage 1: Wie haben die Ausbrüche begonnen?
Die wichtigste Erkenntnis, die bisher aus Genomsequenzierungen gewonnen wurde, ist, dass jede der Sequenzen der eines in Westafrika vorkommenden Affenpockenstammes sehr ähnlich ist. Dieser Stamm ist weniger tödlich - er hat eine Sterblichkeitsrate von weniger als ein Prozent in der armen, ländlichen Bevölkerung - als ein anderer, der in Zentralafrika nachgewiesen wurde und eine Sterblichkeitsrate von bis zu 10 Prozent aufweist.
Obwohl die Forscher mehr Daten benötigen, um ihren Verdacht zu bestätigen, sind die bisher ausgewerteten Sequenzen nahezu identisch, was darauf hindeutet, dass die jüngsten Ausbrüche außerhalb Afrikas bei einer gründlichen epidemiologischen Untersuchung alle auf einen einzigen Fall zurückgeführt werden könnten.
Die aktuellen Sequenzen ähneln am meisten denen einer Reihe von Affenpockenfällen, die 2018 und 2019 außerhalb Afrikas auftraten und mit Reisen in Westafrika in Verbindung gebracht wurden. Die einfachste Erklärung ist, dass die Person, die den ersten nicht-afrikanischen Fall in diesem Jahr hatte - und die immer noch nicht identifiziert wurde - durch den Kontakt mit einem Tier oder einem Menschen infiziert wurde, das bzw. der das Virus in sich trug, sagt Bernie Moss, ein Virologe am National Institute of Allergy and Infectious Disease in Bethesda (USA).
Es ist auch möglich, dass das Virus bereits unentdeckt außerhalb Afrikas in Menschen oder Tieren zirkulierte und bei früheren Ausbrüchen eingeschleppt wurde. Diese Hypothese ist jedoch weniger wahrscheinlich, da das Affenpockenvirus in der Regel sichtbare Läsionen am Körper des Menschen verursacht, auf die wahrscheinlich ein Arzt aufmerksam geworden wäre.
Frage 2: Erklärt eine Mutation im Virus die Ausbrüche außerhalb Afrikas?
Das Genom der Affenpocken ist im Vergleich zu dem vieler anderer Viren riesig - es ist mehr als sechsmal so groß wie das Genom des Coronavirus SARS-CoV-2. Das bedeutet, dass Affenpocken-Viren mindestens "sechsmal schwieriger zu analysieren sind", sagt Rachel Roper, Virologin an der East Carolina University in Greenville, North Carolina.
Zu verstehen, ob es eine genetische Grundlage für die beispiellose Ausbreitung des Virus außerhalb Afrikas gibt, wird unglaublich schwierig sein, sagt Elliot Lefkowitz, ein Computervirologe an der Universität von Alabama in Birmingham, der die Evolution des Pockenvirus untersucht hat.
Mehr als 17 Jahre nach der Entdeckung des Unterschieds zwischen dem zentralafrikanischen und dem westafrikanischen Stamm kämpfen die Forscher immer noch darum, genau zu charakterisieren, welche Gene für die höhere Virulenz und Übertragbarkeit des Stammes verantwortlich sind.
In Afrika, wo die Affenpocken seit vielen Jahren ein Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen, werden nur wenige Ressourcen für die genomische Überwachung bereitgestellt. Die Virologen befinden sich also im Blindflug, weil sie nur wenige Sequenzen haben, mit denen sie die neuen Affenpocken-Sequenzen vergleichen können.
Es ist bekannt, dass das Virus Tiere infiziert - vor allem Nagetiere wie Eichhörnchen und Ratten -, aber die Wissenschaftler haben sein natürliches tierisches Reservoir in den betroffenen Gebieten Afrikas noch nicht entdeckt.
Frage 3: Können die Ausbrüche eingedämmt werden?
Seit Beginn der aktuellen Ausbrüche haben einige Länder Pockenimpfstoffe beschafft, von denen man annimmt, dass sie auch gegen Affenpocken hochwirksam sind, da die beiden Viren verwandt sind.
Pockenimpfstoffe schützen nach Angaben der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde (CDC) gegen eine Affenpockeninfektion, wenn sie innerhalb von vier Tagen nach der Exposition verabreicht werden, da die Inkubationszeit des Virus sehr lang ist.
Sollten die Impfstoffe zum Einsatz kommen, würden sie wahrscheinlich im Rahmen einer "Ringimpfungsstrategie" verabreicht, bei der enge Kontaktpersonen infizierter Personen geimpft würden. Auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat diese Strategie bereits angedacht.
CNN berichtete, dass die USA Pockenimpfstoffe für einige Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die infizierte Menschen behandeln, anbieten wollen.
Selbst wenn die Gesundheitsbehörden die Übertragung von Affenpocken auf den Menschen während der aktuellen Ausbrüche stoppen, sind Virologen besorgt, dass das Virus wieder auf Tiere übergreifen könnte. Neue Virusreservoirs in Tieren würden die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Virus immer wieder auf Menschen übertragen wird, auch in Ländern, in denen es keine bekannten tierischen Reservoirs für das Virus gibt.
Frage 4: Verbreitet sich das Virus anders als bei früheren Ausbrüchen?
Es ist bekannt, dass sich das Affenpockenvirus durch engen Kontakt mit den Läsionen, Körperflüssigkeiten und Atemtropfen infizierter Menschen oder Tiere verbreitet.
Gesundheitsbehörden haben jedoch sexuelle Aktivitäten auf zwei Raves in Spanien und Belgien als Ursache für die Übertragung des Affenpockenvirus untersucht, was Spekulationen aufkommen lässt.
Fälle, die mit sexuellen Aktivitäten in Verbindung stehen, bedeuten nur, dass sich das Virus durch engen Kontakt leicht verbreitet: Pockenviren können lange Zeit außerhalb des Körpers überleben, was Oberflächen wie Bettlaken und Türklinken zu einem potenziellen Übertragungsweg macht.
Obwohl die Gesundheitsbehörden festgestellt haben, dass viele Fälle unter Männern aufgetreten sind, die Sex mit Männern haben, ist die wahrscheinlichste Erklärung für die Verbreitung des Virus, dass es zufällig in die Gemeinschaft eingeschleppt wurde und sich dort weiter ausgebreitet hat.
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