1979: Schicksalsjahr für den Nahen Osten und die ganze Welt
Im Jahr 1979 kommt es zu drei Ereignissen, die zunächst ohne Zusammenhang zu sein scheinen. Doch am Ende werden sie feine Verbindungen aufweisen. Mit fatalen Folgen.
Teheran, am ersten Tag des Monats Rabi’u l-awwal des Jahres 1399 nach islamischer Zeitrechnung. Am Flughafen ist der Teufel los. Ajatollah Ruhollah Chomeini (1902–1989) kehrt aus dem Exil zurück. Umjubelt von Hunderttausenden verkündet er den Gottesstaat. Das ancien régime unter Schah Reza Pahlewi ist gestürzt.
Die Gründe sind wie meist bei Revolutionen wirtschaftlicher Natur. Das Land gilt wegen seiner Erdöleinkünfte als reich. Doch die Einnahmen kommen bei der armen Landbevölkerung, die sogar Hungersnöte leidet, nicht an. Denn das Geld fließt hauptsächlich ins Militär. Schah Reza Pahlewi will sein Land als regionale Macht etablieren. Und nach westlichem Vorbild modernisieren.
Letzteres stößt nicht nur der konservativen Landbevölkerung sauer auf, sondern auch kleinen Kaufleuten und Gewerbetreibenden in den Städten. Das nützen Religionsgelehrte.
Einer von ihnen ist Ajatollah Ruhollah Chomeini (1902–1989). Vom Exil in Paris aus verkündet er eine neue „Frohbotschaft“: den islamischen Staat. Ein Staat, in dem es keine Korruption mehr gibt. Ein Staat, in dem der Wohlstand gerecht verteilt wird und keine Armut mehr existiert. Ein Staat, in dem die Menschen in Freiheit leben können. Unter Einhaltung der Religionsgesetze freilich. Denn Gelehrte des Islam sollen diesen Staat regieren.
Gesagt, getan. Doch noch etwas ist entscheidend. Mit der Heimkehr Chomeinis an diesem 1. Februar 1979 nach christlicher Zeitrechnung wird der Iran zu einem Todfeind Israels und zu einem findamentalistischen islamischen Staat.
Die Muslimbrüderschaft
Es ist genau die Botschaft, die die Ägypter Hasan al-Banna (1906–1949) und Sayyid Qutb (1906–1966) entworfen haben. Sie wollen die Rückkehr zum reinen gerechten Islam unter Mohamed und seinen drei ersten Nachfolgern. Denn danach sei der Islam unter fremden Einflüssen nur noch verkommen.
Der Lehrer al-Banna und der Intellektuelle Qutb treffen den Zeitgeist. Denn die islamische Welt befindet sich seit dem 19. Jahrhundert von Indonesien bis Westafrika unter europäischer Kontrolle. Nur die Türkei, der Iran und Arabien sind halbwegs souverän. Der Kolonialismus stützt die alten feudalen Strukturen der islamischen Welt, die seit dem 16. Jahrhundert erstarrt ist.
Symbolisch für den Verfall der islamischen Welt steht der langsame Untergang des osmanischen Großreiches von 1683 an bis zum Ersten Weltkrieg. Der Westen mit seinem kolonialen System steht aber in den Augen vieler Moslems nicht nur für Unterdrückung. Theater, Kinos, Tanzcafès mit Jazzmusik und Frauen, die Zigaretten rauchen, Alkohol trinken und westliche Mode tragen, stehen für Schamlosigkeit und Dekadenz, welche die Werte der islamischen Kultur verhöhnen.
Hasan al-Banna und sein Jünger Sayyid Qutb reden nicht nur. Sie handeln. 1928 gründen sie die Muslimbruderschaft. Ein Geheimbund, der dank Spenden aus der ganzen islamischen Welt in Ägypten bald zu einer mächtigen paramilitärischen Organisation wird und ab den 1940er-Jahren Attentate verübt. Ziele sind aber nicht westliche Beamte, sondern eigene Politiker, die als Verräter gelten.
Hasan al-Banna wird erschossen, Sayyid Qutb hingerichtet. So werden sie zu Märtyrern und Vorbildern. Wie für Ajatollah Chomeini. Am 1. Februar 1979 kehrt er aus dem Exil nach Teheran zurück. Umjubelt von Hunderttausenden verkündet er den Gottesstaat. Es ist der Moment, in dem Staat und Religion vereint werden. Die islamische Welt ist elektrisiert.
Sturm auf Mekka
Auch Dschuhaiman al-Uteibi. Der 1936 in Arabien geborene charismatische al-Uteibi hat eine Gruppe fanatischer Anhänger um sich geschart. Entwurzelte Beduinen so wie er, die mit dem durch Petrodollars finanzierten Aufschwung in Saudi Arabien nichts anzufangen wissen.
In Arabien hat sich im 18. Jahrhundert eine sunnitische äußerst konservative Form des Islam verbreitet: der Wahhabismus. Dessen Begründer Mohamed ibn Abd al-Wahhab predigt ab ca. 1740 die Rückkehr zum reinen ursprünglichen gerechten Islam gepaart mit strengsten Moralvorstellungen.
Zu al-Wahhabs Anhängern gehört der Clan der Sa’uds. Die erringen im 20. Jahrhundert die Macht im Land (mithilfe der Briten) und gründen 1932 das nach ihnen benannte Saudi-Arabien. Mit dem Wahhabismus als Staatsdogma.
Doch für Dschuhaiman al-Uteibi und seine Anhänger sind die Sa’uds und die Eliten des Landes dekadent und Sklaven der Amerikaner. Am 20. November 1979 stürmen al-Uteibis Garden in Mekka die „Große Moschee“ mit der Kaaba. Jenem heiligen Quader, der nach islamischer Überlieferung in seiner heutigen Form von Abraham und seinem Sohn Ismael errichtet wurde.
Tausende Gläubige befinden sich in den Händen der Terroristen. Nur mithilfe französischer Sonderkommandos können sie nach zwei Wochen befreit werden. Hunderte aber bleiben tot zurück. Das Saudi-Regime, das in den Augen der islamischen Welt die heiligsten Stätten nicht zu schützen vermag, wackelt.
So schließen die Sa’uds einen Pakt mit ihren religiösen Führern: sie geloben Läuterung. Keine Freiheiten mehr. Vor allem für Frauen, die jüngst sogar als Sprecherinnen im TV zu sehen gewesen waren. Und die Saudis werden fortan fundamentalistische Gruppen unterstützen, welche die Lehre des Islam verkünden. Auch, wenn sie dabei Gewalt anwenden sollten. Mit andern Worten: die Saudis (enge Verbündete des Westens) kaufen sich vom Terror frei.
Die Ersten, die davon profitieren, sind die Mudschahedin in Afghanistan. Dort haben sich die lokalen Kommunisten 1978 an die Macht geputscht. Jetzt wollen sie aus dem gebirgigen unzugänglichen Land, welches von zahlreichen Clans beherrscht wird, ein sozialistisches Paradies formen.
Sofort brechen flächendeckend Aufstände aus. Daraufhin marschieren am 25. Dezember 1979 Sowjettruppen ein. Sie werden bis zu ihrem Rückzug 1989 ihr Vietnam erleben. In Afghanistan vermengen sich der Wahhabismus, die Lehre der Muslimbruder und die Botschaften des real existierenden Gottesstaates im Iran zu einem mörderischen Gebräu: den Dschihadismus.
Die Dschihadisten reduzieren den Wahhabismus, die Muslimbrüder und die Botschaften der iranischen Schiiten auf Kampf und Terror. In Afghanistan erhalten sie dafür Geld und Waffen. Aus den USA, aus Saudi Arabien, aus dem Iran. Ihr Sieg gegen die Sowjets wird Tausende junge Männer in der islamischen Welt inspirieren. So wie den Afghanistan-Kämpfer Osama bin Laden und einen gewissen Abu Bakr al-Baghdadi, der als Gründer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in die Geschichte eingehen wird.
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