Fehlgeburt: Frauen erzählen ihre Geschichte

Fehlgeburt: Frauen erzählen ihre Geschichte
Der Verlust eines ungeborenen Babys soll kein Tabuthema sein. Vier Frauen über eine ihrer schwersten Zeiten.

Nur wenige sprechen offen über eine Fehlgeburt. Noch immer ist der Verlust eines ungeborenen Kindes ein Tabuthema, über das sich die meisten Paare kaum mit anderen austauschen, obwohl es kein Einzelschicksal ist.

Ungefähr jede dritte Frau erlebt eine oder mehrere Fehlgeburten in ihrem Leben. Die Häufigkeit kann aber nur geschätzt werden, da Frauen nicht immer wissen, dass sie schwanger waren. Ein früher Abgang kann z. B. als Unregelmäßigkeit im Menstruationszyklus fehlinterpretiert werden.

Die meisten Paare ziehen sich nach dem Verlust eines ungeborenen Kindes zurück, oft unbewusst, um trauern zu können. Vor allem Frauen erleben die Zeit nach einer Fehlgeburt intensiv, aber auch viele Männer sind sehr involviert.

Im KURIER erzählen drei Fauen, wie Sie eine Fehlgeburt erlebten und welche, teils sehr verletzenden Reaktionen sie erlebten, als sie darüber mit Ärzten und Arbeitskollegen sprachen.

"Über dieses Thema zu schreiben, finde ich enorm wichtig. Ich habe selbst erlebt, wie es ist, sich auf ein Kind zu freuen und dann eine Fehlgeburt zu erleiden. Im Jahr 1984 war ich 24 Jahre alt, als mir das passierte. Ich hatte zum Glück schon einen kleinen Sohn, der knapp über ein Jahr alt war.

Das Allerbeste, was dann geschah, war ein Gespräch mit meiner Gynäkologin. Nachdem ich das Krankenhaus nach der Kürettage verlassen hatte, erzählte sie mir bei meinem Kontrolltermin: ‚Wissen Sie, seien Sie nicht traurig, das was Ihnen passiert ist, kommt so häufig vor, das glauben Sie gar nicht. Nach meiner Schätzung und Erfahrung erleidet das mindestens jede zweite Frau einmal, manche auch mehrfach. Das ist aber ein Wunder der Natur, denn auf diese Weise gehen befruchtete Eizellen ab, die einen Defekt aufweisen und keine Überlebenschance hätten. Das Blöde ist nur, dass darüber niemand redet. Deswegen meint man, dass man eine Ausnahme sei, was überhaupt nicht stimmt.‘

Es waren diese wenigen Worte, die mir unendlich viel Trost bereiteten. Ein knappes Jahr später kam meine Tochter auf die Welt. Dank meiner Gynäkologin konnte ich das Ereignis als naturgegeben ansehen und habe kein einziges Mal den Fehler bei mir oder meinem Mann gesucht. Ich denke heute noch oft an diese wunderbare und so intelligente Frau, die mir und sicher auch vielen anderen Frauen viel Leid erspart und Mut zugesprochen hat. Ärztinnen wie sie bräuchte es viel mehr in Österreich.“

"März 2014 habe ich bei einer Routine-Untersuchung erfahren, dass ich schwanger bin und die Freude bei mir und meinem Freund (mittlerweile ist er mein Ehemann) war riesig - obwohl die Schwangerschaft nicht geplant war. Es hat immer geheißen, durch die Zysten in meinen Eierstöcken könnte ich keine Kinder bekommen, darum war die Freude sehr groß.

Ich wollte für mein Wunschkind nur das Beste und ließ mich von der Arbeit freistellen. Da wir uns beide so sehr über unseren Nachwuchs freuten, beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Schwangerschaft. Also war die Freude auf die nächste Ultraschall-Untersuchung groß. Bei meiner dritten Untersuchung konnte mein Freund leider nicht dabei sein, also ging ich allein ganz entspannt zum Arzt. Als die Ärztin mit der Untersuchung angefangen hat, merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Als sie mir sagte, sie könne keinen Herzschlag mehr sehen, ist eine Welt für mich zusammengebrochen.

Ich weinte bitterlich, die Ärztin machte für mich einen Termin im Klinikum. Ich verließ die Praxis weinend und lief verwirrt und weinend durch die Stadt. Ich konnte nicht mehr Auto fahren und zitterte am ganzen Körper. Ich rief meinen Freund an, der völlig schockiert und traurig war. Er musste mich abholen.

Zuhause angekommen, fielen wir beide uns weinend in die Arme. Von dem Tag an machte unser Leben keinen Sinn mehr. Wie konnte das sein - unser Wunschkind war tot. Und immer die Frage nach dem Warum und was habe ich falsch gemacht. Ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol und ernähre mich gesund. Warum unser Baby?

Der Tag vor der Untersuchung im Klinikum war einfach nur schrecklich. Beim Narkosegespräch hörte ich gar nicht zu. Ich war mit Trauer um mein verstorbenes Baby beschäftigt.

Ich hatte sogar den Gedanken: Hoffentlich wache ich nach der Operation nicht mehr auf.

Einen Tag später war ich um acht Uhr im Klinikum. Bei der Ankunft wurde ich von einer nicht sehr netten Krankenschwester begrüßt, die nur sagte: "Normalerweise machen wir solche Termine im UG, aber heute müssen wir leider auf die Babystation." Ich saß mit meinem Freund auf der Babystation und musste warten. Um mich herum glückliche Mamas, die ihre Neugeborenen umherfahren. Es war einfach nur traurig.

Plötzlich kam ein Arzt ganz hektisch auf mich zu, ich solle mitkommen. Ich musste mich auf ein Bett legen, ausziehen und er führte mir ein Zäpfchen ein. Dann durfte auch mein Freund ins Zimmer. Nach einer Stunde bekam ich schreckliche Schmerzen als ich nach Schmerzmittel verlangte, wurde nur gesagt, wir müssen abwarten. Wieder warten mit schrecklichen Schmerzen.

Dann ging es plötzlich ganz schnell ich war im Op und weinte. Als ich wieder aufgewachte, weinte ich immer noch zum Glück war mein Freund bei mir. Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Zuhause angekommen legte ich mich ins Bett und hab nur geweint. Nicht weil die Körperlichen Schmerzen so groß waren, auch der psychischen Schmerz war groß. Auch die Nachuntersuchung bei meiner Ärztin war so schrecklich. An diesem Tag waren nur schwangere Frauen in der Praxis, es war demütigend und die Frage bei mir: Was hab‘ ich falsch gemacht? Bei der Untersuchung kam heraus, dass alles okay sei und der Satz meiner Ärztin "So Ihre Gebärmutter ist jetzt wieder leer", war ein Stich ins Herz.

Das einzige, was mir wieder Lebensfreude schenkte, war unsere bevorstehende Hochzeit. Danach kehrte ich zu meiner Arbeitsstelle zurück. Viele Kollegen freuten sich, dass ich wieder da bin und alle waren sehr verständnisvoll und mitfühlend. Außer eine Kollegin - die Geschichte erzähle ich gleich und deshalb ist es mir so wichtig, dass dieses Thema aus der Tabuzone herauskommt und dass Frauen mehr Mitgefühl erhalten.

Diese eine Kollegin hat mich direkt auf meine Fehlgeburt angesprochen und wie ich das Ganze erlebt habe. Da ich zu diesem Zeitpunkt das Ganze gut verarbeitet hatte, konnte ich über dieses sehr traurige Kapitel in meinem Leben sprechen. Aber was dann als Antwort kam hat nichts mit Respekt und Mitgefühl zu tun. Die Kollegin sagte, ich hätte kein Recht traurig zu sein, eine Fehlgeburt sei nichts Schlimmes und sie hätte sich über eine Fehlgeburt gefreut, weil sie hat dreimal abgetrieben und ich soll mich über meine Fehlgeburt freuen.

Ich stand nach dem Satz völlig unter Schock, musste die Arbeit verlassen und fiel in ein tiefes Loch. Zum Glück habe ich einen lieben und verständnisvollen Ehemann für den die Zeit nicht leicht war, der immer für mich da war, und viele liebe Freunde, die mir aus der schweren Zeit geholfen haben, sodass ich positiv in die Zukunft schauen kann. Aber unser Kind werden wir immer lieben und nie vergessen.

Und wer weiß irgendwann kommt der richtige Zeitpunkt für unser Wunschkind."

"Ich wünschte mir immer fünf bis sechs Kinder und ich hatte bereits drei Kinder. Die Freude über die Schwangerschaft zum vierten Kind war riesengroß, wie immer hatte ich mit Übelkeit und schwerer Müdigkeit in den ersten Wochen zu kämpfen. Äußerst seltsam kam mir vor, dass bei der ersten Untersuchung in der neunten Schwangerschaftswoche bei meinem Frauenarzt in St. Pölten kein Mutter-Kind-Pass ausgestellt wurde.

Ich wurde so rasch aus der Ordination "hinauskomplimentiert", dass ich gar nicht zum Nachfragen kam. Ich machte mir große Sorgen und war derart verunsichert, dass ich auf Anraten meiner Zwillingsschwester einen Termin bei einem privaten Gynäkologen ausmachte. Dieser Arzt wies mich sofort ins Krankenhaus ein, mein Baby (ja, es war schon mein Baby) war längst abgestorben, anscheinend war mein Körper nicht bereit gewesen, es herzugeben... , jetzt wusste ich auch, warum mir mein langjähriger Frauenarzt keinen Mutter-Kind-Pass ausgestellt hatte, er war mir diese Schreckensnachricht einfach schuldig geblieben und er schickte mich einfach so nach Hause.

Bereits nächsten Tag lag ich auf dem OP-Tisch, es war ein Glück, dass ich den privaten Arzt aufgesucht hatte, denn man sagte mir, dass dieser Zustand zu einer bösen Blutvergiftung führen kann...

Trotzdem ich schon drei Kinder hatte, war ich sehr traurig, dass diese Schwangerschaft zu Ende war. Noch Jahre später habe ich immer wieder nachgerechnet, wie alt mein 'Kind' jetzt sein würde. Zwei Jahre später durfte ich aber dann doch meinen heiß ersehnten Nachzügler überglücklich in Händen halten..."

Mein Name ist Miranda Rathmann. Ich bin jetzt 43 Jahre alt, arbeite als Erzieherin in einer Kita und habe insgesamt 12 Kinder in 10 Schwangerschaften verloren.

Ich wollte schon sehr früh Kinder haben und habe als junge Erwachsene sehr darunter gelitten, dass es nicht möglich war. Ich hatte nur sehr selten eine Periode und somit hatten mir die Ärzte gesagt, dass ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie schwanger werden würde.

Dann hörten wir von der Möglichkeit der Kinderwunschbehandlung und meldeten uns dort an. Im Januar 1996 war ich dann beim fünften Versuch endlich zum ersten Mal schwanger. Dieser Schwangerschaft folgten fünf weitere (die letzte davon ohne Kinderwunschhilfe), alle mit dem gleichen Ergebnis. Dann hatte ich nicht nur meine sieben Kinder (1x waren es Zwillinge) sondern auch meinen Mann verloren.

Ich gab die Hoffnung auf und war einfach nur traurig. Ich konnte damals auch nicht mehr in meinem Beruf arbeiten. Zu weh tat es, die vielen Kinder tagtäglich um mich zu haben.

2008 ging mein Hausarzt in Rente und eine neue Ärztin übernahm seine Praxis. Bei meinem ersten Besuch bei ihr, war sie die erste, die genau hinsah. Dank ihr startete nun ein Arztmarathon bei dem festgestellt wurde was mit mir los war. Ich habe PCO (Anm.: Polyzystisches Ovar-Syndrom, eine hormonelle Störung, bei der es u.a. zu Zysten an den Eierstöcken sowie Unfruchtbarkeit kommt) und Insulinresistenz. Beides zusammen führte dazu, dass mein Körper zu viele männliche Hormone ausschüttete, was dazu führte dass ich keinen (oder nur sehr selten einen) Eisprung bekam, dass mir ein Bart wuchs (ich muss mich jeden Tag rasieren) und dass ich immer mehr zunahm.

Seit diesem Ergebnis wurde bei mir zweimal ein Ovarien-Drilling (Anm.: ein Eingriff, der Eisprung und Zyklus auslösen kann) vorgenommen und die Insulinresistenz wird mit Medikamenten behandelt (seitdem geht mein Gewicht langsam nach unten und mein Hormonspiegel hat sich normalisiert). Und das Beste: Die Ärzte gaben grünes Licht für den Kinderwunsch. Neue Hoffnung.

Insgesamt zweimal wurde ich ohne Hilfe schwanger, konnte aber beide Kinder nicht zu Ende austragen. Das waren meine Sternenkinder acht und neun.

Die Ärzte stellten mich auf den Kopf, konnten aber keine Ursache finden.

Ich wollte mich damit nicht abfinden, nahm einen Kredit auf und versuchte es wieder mit der Kinderwunschbehandlung, dieses Mal in Wien.

Am 26.12.2012 verlor ich Sternchen Nr. 10 und im Januar 2014 meine Sternchen Nr. 11 und Nr. 12.

Ich denke jeden Tag an meine Sternchen. Deshalb habe ich zu meinem 40. Geburtstag ein Tattoo auf meinem Knöchel stechen lassen. Ein kleiner Engel, der seine Händchen sehnsuchtsvoll ausstreckt. Und dazu „Unforgotten every day!“.

Nach den ersten Fehlgeburten habe ich noch mit meinem sozialen Umfeld darüber gesprochen. Nach Sprüchen wie: „Sei froh, dass es jetzt passiert ist und nicht später.“ oder „Lieber so, als behindert.“ oder ähnlicher Sätze die mir sehr weh taten, hörte ich auf zu reden.

Stattdessen habe ich meine Gedanken und Gefühle in Gedichten festgehalten, welche 2014 im Wolfgang Hager Verlag, Stolzalpe, in meinem Buch „Abschied von Selina“ veröffentlicht wurden.

Nachdem viele meiner Freunde mein Buch gelesen hatte, verstanden sie mich endlich und ich habe wieder angefangen über alles zu reden und kann nun endlich auch verarbeiten.

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