Die Rückkehr der Infektionskrankheiten

Die Rückkehr der Infektionskrankheiten
Nicht nur die Masern bereiten Ärzten Grund zur Sorge: Auch andere fast vergessene Leiden kommen zurück.

Der starke Anstieg der Masernfälle hat Aufsehen erregt – im ersten Halbjahr 2018 haben sich in der WHO-Region Europa mehr als 41.000 Kinder und Erwachsene infiziert, es gab mindestens 37 Todesfälle. In Österreich hat sich die Zahl der Masernfälle 2017 gegenüber 2016 mehr als verdreifacht. Doch Masern sind längst nicht mehr die einzige Infektionskrankheit, vor deren Rückkehr Experten warnen.

So kam es 2017 zu zwei Ausbrüchen von Röteln in Österreich: Ein 34-jähriger Mann schleppte das Virus aus Bali nach Oberösterreich ein, infizierte seine zwei Kinder, „über die das Virus in Kindergärten und Schulen gelangte“, berichtet das Zentrum für Virologie der MedUni Wien in seinen Virusepidemiologischen Informationen. Insgesamt wurden 19 ungeimpfte Personen im Alter von 2 bis 39 Jahren infiziert.

Die Rückkehr der Infektionskrankheiten

Davor gab es bereits einen Ausbruch an einer anthroposophischen Schule in Wien, 18 der 21 Infizierten waren nachweislich ungeimpft, bei dreien war der Impfstatus unbekannt.

Viele Keuchhustenfälle

Auch die Zahl der Keuchhustenfälle stieg stark: 2009 waren es 183, im Vorjahr waren es bereits 1411 Fälle“, sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien. Dieser Anstieg habe zwar auch mit verbesserter Diagnostik und verbessertem Meldeverhalten zu tun: Aber bei einem neuen, besser verträglichen Impfstoff, geht der Impfschutz mit den Jahren deutlich zurück – was die Auffrischungsimpfung enorm wichtig macht. Doch hier sind viele sehr nachlässig: „Der überwiegende Teil der Erkrankten im Jahr 2017 war nicht geimpft oder die Impfung lag schon zu lange zurück, um noch einen Schutz zu bieten.“

„Impfungen sind sozusagen ihr eigener Feind“, sagt der Impfreferent der Österreichischen Ärztekammer, der steirische Kinderarzt Hans Jürgen Dornbusch, Lehrbeauftragter der MedUni Graz. „Sie lassen die Krankheiten in den Augen der Bevölkerung verschwinden – und so denken sich viele, es wird schon nichts passieren, wenn ich nicht geimpft bin.“

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Auch vor einer Rückkehr der Diphtherie warnen Experten: „In Spanien starb 2015 ein nicht geimpftes Kind daran und es gibt immer wieder Fälle in Europa“, sagt Dornbusch. Im Jemen kam es zum Jahreswechsel zu einem großen Ausbruch mit mehreren hundert Verdachtsfällen und Dutzenden Toten. Laut Homepage des Gesundheitsministeriums wurden in Österreich „nach 20 diphtheriefreien Jahren seit 2014 vier Erkrankungsfälle gemeldet“.

Oder Polio: „Das Virus zirkuliert vor allem noch in Afghanistan und Nigeria“, sagt Dornbusch. Impfprogramme der WHO werden dort massiv behindert: „Es gibt auch tödliche Angriffe auf Gesundheitspersonal.“ Reisetätigkeit, Flucht und Migration könnten jederzeit zu einer Ausbreitung führen, wenn die Durchimpfungsraten weiter zurückgehen, sagt Dornbusch: „Aber wer denkt noch an Kinderlähmung in Österreich?“

Er unterstützt den Vorschlag von Volksanwalt Günther Kräuter, Impfungen an die volle Auszahlung von Sozialleistungen im Rahmen des Mutter-Kind-Passes zu knüpfen: „Das wäre ein positiver Anreiz.“ Gleichzeitig brauche es eine intensivierte Impfaufklärung und eine Impfpflicht für alle Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben – also etwa das Personal in Spitälern, Schulen und Kindergärten.

Unzureichend

Laut EU-Parlament werden durch Impfungen weltweit jährlich an die 2,5 Millionen Todesfälle verhindert. Aber: „Die Durchimpfungsraten, die für einen angemessenen Schutz vor durch Impfung vermeidbaren Krankheiten erforderlich sind, sind unzureichend“, heißt es in einer Entschließung.

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Große Hoffnungen setzen viele in den geplanten elektronischen Impfpass – „damit könnte man rasch erkennen, wo es die größten Impflücken gibt und man gezielt gegensteuern muss“, sagt Wiedermann-Schmidt. Derzeit fehlt es – besonders bei den Erwachsenen – an verlässlichen Zahlen. Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein hat bereits erklärt, dass sie den elektronischen Impfpass rasch umsetzen will.

„Ich bin oft erschüttert darüber, dass der Solidargedanke in unserer Gesellschaft so verloren geht“, sagt Wiedermann-Schmidt: „Dass man nicht sieht, dass das eigene ungeimpfte Kind andere anstecken und gefährden kann.“ Etwa Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können oder Menschen mit einem schwachem Immunsystem.

Vier Beispiele für gefährliche Infektionskrankheiten

Beispiel 1: Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit

Viren. 20 Prozent aller Maserninfektionen führen zu Komplikationen wie Mittelohr- oder Lungenentzündung.  Bei etwa einem von 1000 Erkrankten kommt es zu einer lebensbedrohlichen Gehirnentzündung.  Nicht geimpfte Kinder, die vor dem zweiten Lebensjahr an Masern erkranken, haben das höchste Risiko, ein tödliche verlaufende Spätfolge – eine unbehandelbare, fortschreitende Gehirnentzündung  (SSPE) – zu entwickeln. Rund 19 Prozent  der Masernerkrankungen im Jahr 2016 entfielen auf Angehörige des Gesundheitspersonals. Viele Experten sind deshalb für eine Impfpflicht beim Gesundheitspersonal.

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Beispiel 2: Keuchhusten: Für Neugeborene lebensbedrohend

Bakterien. „Für einen Erwachsenen bedeutet eine Keuchhusten-Infektion einen  sehr lästigen Dauerhusten über einige Wochen hindurch“, sagt Kinderarzt Dornbusch: „Aber ein  Baby  kann in seinen ersten Lebensmonaten daran sterben.“ – „Eine Keuchhusten-Infektion  bedeutet – anders als etwa bei Masern – keinen lebenslangen Schutz“, betont Impfspezialistin Wiedermann-Schmidt.  Weltweit führt Keuchhusten pro Jahr zu 200.000 bis 400.000 Todesopfern bei 16 Millionen Erkrankten. Viele Erwachsene vergessen auf die regelmäßige Auffrischung (Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten) zumindest alle zehn Jahre.

Beispiel 3: Röteln: Gefährlich in der frühen Schwangerschaft

Viren. Eine Infektion mit Röteln „ist besonders während einer Schwangerschaft dramatisch“, sagt Spezialistin Wiedermann-Schmidt:  In den ersten acht Wochen führt eine solche Infektion in 90 Prozent der Fälle zur Schädigung des Embryos. Die Röteln sind damit die am meisten gefürchtete Virusinfektion in der Frühschwangerschaft. Aber auch im zweiten Drittel liegt das Risiko immer noch bei 25 bis 30 Prozent: „Es ist nicht notwendig, dass solche Dinge heute passieren.“  Österreich lag übrigens im Vorjahr bei der Erkrankungshäufigkeit (39 Fälle) im Verhältnis zur Bevölkerungszahl an zweiter Stelle der Europa-Region der WHO.

Beispiel 4: Diphtherie: Hohe Todesrate durch Giftwirkung

Bakterien. Europaweit nimmt die Zahl der eingeschleppten Diphtherie-Fälle  zu. Die  krankheitsauslösenden Bakterien siedeln sich im Rachen – besonders in der Gegend der Mandeln – an, vermehren sich auf der Schleimhaut und bilden einen  Giftstoff. Die Keime bleiben im Halsbereich, während das Toxin über die Blutbahn in den ganzen Körper verbreitet werden kann.  20 Prozent der  Infizierten sterben, so Dornbusch. Um gewappnet zu sein,  wird in Wien wieder ein Diphtherie-Antiserum gelagert,  das  vor Schädigungen durch das Gift schützt. „Diese Maßnahme ist ein Indiz, dass etwas zurückkommt, was eigentlich schon vergessen war.“ 

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