Deutschförderklassen: Für die meisten Lehrer der falsche Weg
In Deutschförderklassen sollen Schülerinnen und Schüler fit für den Unterricht gemacht werden. Ob das Konzept aufgeht, hat jetzt Susanne Schwab vom Zentrum für Lehrer*innenbildung untersucht. Sie diskutiert die Ergebnisse mit Hannes Schweiger, der zum Thema Deutsch als Zweitsprache forscht.
Befragt wurden 1.267 Lehrpersonen der Volksschule und der Sekundarstufe in acht Bundesländern. Sie alle sind an Schulen tätig, an denen zumindest eine Deutschförderklasse oder ein Deutschförderkurs angeboten wird.
In den Deutschförderklassen werden seit dem Schuljahr 2018/19 Schülerinnen und Schüler in eigenen Klassen zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche in Deutsch unterrichtet. Zusätzlich findet Sprachförderung in Deutschförderkursen mit sechs Stunden pro Woche statt.
KURIER: Wie würden Sie das Ergebnis Ihrer Studie zusammenfassen?
Susanne Schwab: 80 Prozent der Lehrkräfte sehen diese Klassen als falschen Weg: Die räumliche Trennung führt zur sozialen Isolation der Kinder, welche man immer wieder aus dem gemeinsamen Unterricht reißt. Beklagt werden auch schlechte strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen: zu große Klassen, fehlende Doppelbesetzung, Mangel an geeigneten Räumen und an Unterstützung für Lehrkräfte sowie die Qualifikation der Lehrpersonen – etwa zwei Drittel haben angeführt, dass sie keine spezielle „Deutsch als Zweitsprache“-Ausbildung haben. Sie unterrichten bis zu 25 Kinder, die sich in ihren Sprachfähigkeiten und ihrem Alter sehr stark unterscheiden.
Früher gab es Sprachförderklassen, wo Kinder elf Stunden aus der Klasse genommen wurden. Das war doch auch nicht viel anders.
Hannes Schweiger: Es gab zuvor zwei Zugänge: integrative Sprachförderkurse oder Sprachstartgruppen, in denen Kinder und Jugendliche so wie jetzt in eigenen Gruppen unterrichtet wurden. Die Schulen hatten mehr Spielraum. Jetzt gilt ein Modell für alle – Schulen bräuchten hier mehr Autonomie.
Schwab: Die meisten Lehrpersonen befürworten ein integratives System mit ausreichend vorhandenen Ressourcen (z.B. kleinere Klassen, zwei Lehrkräfte in der Klasse), in dem die Deutschförderung in der Stammklasse während des Unterrichts stattfindet. Es ist irritierend, dass bei der Einführung der Deutschförderklassen bildungswissenschaftliche und sprachdidaktische Erkenntnisse ignoriert worden sind.
Schweiger: Wir sehen, dass Lehrkräfte in den Deutschförderklassen große Schwierigkeiten haben, Sprach- und Fachunterricht zu kombinieren. Das Fachliche kommt oft zu viel kurz. Zudem erfordert es viel Zusatzarbeit und enormes Engagement, die mangelhaften Rahmenbedingungen zu kompensieren.
Wie sieht derzeit die Aus- und Fortbildung für Deutsch als Zweitsprache aus?
Schweiger: Hier gibt es noch viel Luft nach oben. Einerseits müssten sich angehende Lehrkräfte aller Schulstufen und aller Fächer mit Deutsch als Zweitsprache und mit Grundfragen des Unterrichtens in sprachlich vielfältigen Klassen auseinandersetzen. In den Pädagogischen Hochschulen (PH) wurden Studienpläne für das Volksschul- Lehramt untersucht. Ergebnis: Der Bereich der Sprachförderung und sprachlichen Bildung ist nur minimal verpflichtend vorgesehen - hier braucht es eine reformierte Ausbildung aller Lehrkräfte. Zum anderen sind auch mehr Lehrkräfte notwendig, die auf die Förderung der Unterrichtssprache Deutsch unter Berücksichtigung der vorhandenen Mehrsprachigkeit spezialisiert sind.
Schwab: In Wien bekommen Lehrerpersonen, die in den Deutschförderklassen unterrichten, immerhin eine kurze berufsbegleitende Zusatzqualifikation. Was mich stört: Wir schaffen Deutschförderklassen, ohne die Lehrpersonen dafür auszubilden. Der richtige Weg wäre, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse nach dem richtigen Fördermodell zu fragen und dafür auszubilden. Ein Problem sehe ich auch in der Haltung gegenüber Kindern, die zu Hause nicht deutsch sprechen. Man sieht sie als defizitär, sollte Mehrsprachigkeit aber als Stärke sehen.
Schweiger: Wir brauchen eine Verschiebung in der Diskussion: weg von der alleinigen Fokussierung auf Deutsch und hin zu einer sprachenfreundlichen Schule, in der alle Sprachen gefördert werden und die einer mehrsprachigen Gesellschaft gerecht wird. Aber selbst wenn die Haltung passt: Wenn in so heterogenen Klassen auf eine Lehrkraft über 20 Kinder kommen, kann das nicht gut funktionieren.
Schwab: Es braucht mindestens zwei Lehrer in Gruppen von maximal 16 Schülern, damit das funktioniert. Zudem sollten in einer Klasse nicht mehr als 60 Prozent Kinder sitzen, die einen Deutschförderbedarf haben.
Wie soll die Verteilung funktionieren? In den Wiener Volksschulen haben 60 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch.
Schweiger: Im Schuljahr 2018/19 nannten laut Statistik Austria 43.000 Kinder an Wiener Volksschulen Deutsch nicht als erste im Alltag gebrauchte Sprache – das sind 58,9 Prozent. Davon waren 5.243 Kinder in Deutschförderklassen. An diesen exemplarischen Zahlen wird deutlich, dass Deutsch als Zweitsprache keinesfalls gleichgesetzt werden darf mit unzureichenden Deutschkenntnissen.
Was macht Sie zuversichtlich, dass bei der derzeitigen Ausbildung der Lehrer der Unterricht an heterogenen Klassen funktionieren kann?
Schwab: Die homogene Klasse ist sowieso eine Fiktion. Das Problem mit Deutschförderklassen ist auch, dass man damit suggeriert, es gebe homogene Klassen – also dass Kinder in diesen Klassen das gleiche Niveau haben. Dies entspricht nicht der Realität. Doch so wie der Unterricht vor 30 Jahren stattgefunden hat, sollte er nicht mehr stattfinden. Es braucht differenzierten Unterricht, der stärker an den individuellen Bedarf der Kinder angepasst ist.
Gibt es ausreichend gut ausgebildete Lehrerbildnerinnen- und bildner?
Schweiger: Es gibt in diesem Bereich schon viel Expertise, aber wir brauchen sowohl an den Unis als auch an den PHs mehr Stellen für Deutsch als Zweitsprache und für das Unterrichten in sprachlich heterogenen Klassen.
Schwab: Wir sind an der Uni Wien für etwa 12.000 Lehramtsstudierende verantwortlich und das mit einer einzigen Professur für Deutsch als Zweitsprache – das zeigt die Schieflage. Für Forschung gibt es zu wenige Drittmittel, auch diese Studie hat mein Lehrstuhl selbst finanziert. Und zu manchen Forschungsergebnissen haben wir keinen oder keinen rechtzeitigen Zugang, etwa zu denen des vormaligen Bifie (jetzt IQS). Die haben die vorherigen Sprachfördermaßnahmen evaluiert, doch davon wurde erst lange nach Einführung der Deutschförderklassen etwas veröffentlicht.
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