Neues Leben mit einer neuen Hand

Neues Leben mit einer neuen Hand
Der lange Weg des Höhlenforschers Sulzbacher zu einer neuen Hand.

17. August 2010 „Forscher aus tiefer Höhle gerettet“, lautet die Schlagzeile von KURIER-Kollegin Ulrike Jantscher: „An Dramatik war dieser Rettungseinsatz nicht zu überbieten.“ 120 Meter unter dem Eingangsniveau stürzte der Maschinenschlosser und ehrenamtliche Höhlenforscher Dieter Sulzbacher aus Niederösterreich, 33, im Tonionschacht bei Gusswerk, Steiermark, zehn Meter tief ab: „Ich blieb bewusstlos liegen, ein Kamerad stieg, so schnell er konnte, auf und alarmierte die Rettung – in der Höhle gibt es ja keinen Handyempfang.“ Bergrettungsarzt Giselher Sperka ließ sich 130 Meter tief abseilen. Sechs Stunden nach dem Unfall wird Sulzbacher ins Krankenhaus Amstetten geflogen.

Neues Leben mit einer neuen Hand

Frühjahr 2011„Ich hatte zum Glück keine bleibenden Verletzungen – mit einer Ausnahme: meiner linken Hand. Ich spürte sie nicht mehr, konnte nichts mehr mit ihr halten, keine Faust mehr machen und sie nur ganz wenig drehen. Ich verbrannte mich an der Herdplatte – weil jegliches Gefühl verschwunden war“, erzählt Sulzbacher. Physikalische Therapien und Physiotherapie bleiben erfolglos. Ein physikalischer Mediziner im Wiener Wilhelminenspital macht Sulzbacher auf das „Christian Doppler Labor für Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen an der MedUni Wien aufmerksam.

Neues Leben mit einer neuen Hand

Oktober 2011 „Drei von fünf Nervenwurzeln, die aus dem Halsnervengeflecht in den Arm führen, waren bei Dieter Sulzbacher ausgerissen“, erzählt Laborleiter Univ.-Prof. Oskar Aszmann von der Uni-Klinik für plastische Chirurgie. Seine Hand hatte keine Funktion mehr – die Signalübertragung vom Gehirn funktionierte nicht mehr.“ Allerdings: Noch waren die Muskeln intakt und nicht verkümmert. „Wir haben ihm vorgeschlagen, Nerven, die für Beugung des Ellbogens verantwortlich sind, zum Teil an jenen abgerissenen Nerv (nervus medianus) anzuschließen, der den Faustschluss auslöst.“ Danach zeigten Tests zur Leitfähigkeit der Nerven, dass alle Voraussetzungen für eine intuitive Steuerung der Prothese gegeben sind. Sulzbacher: „Dann war es für mich überhaupt keine Frage mehr, dass ich die Amputation durchführen will. Ich habe relativ rasch ja gesagt – denn es konnte für mich nur besser werden.“

Sulzbacher.am Tag vor der Amputation im AKH
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KURIER/Jeff Mangione

Jänner 2012 Der Nerventransfer wird am Wiener AKH durchgeführt. Ein Teil der Nerven, die die Ellbogenmuskeln ansteuern, wird künftig auch Signale an die Unterarmmuskulatur senden und so die Steuerung der künftigen Prothese ermöglichen.

21. 6. 2012, Tag der Amputation „Ich bin zuversichtlich. Ich will meine alte Hand nicht mehr, ich weine ihr nicht nach. Ich freue mich auf das, was kommt“, sagt Sulzbacher.

22. 6. 2012, der Tag danach „Das Gewicht der alten Hand fehlt, das ist ein angenehmes Gefühl. Es ist alles so, wie ich es mir vorgestellt habe.“

Sulzbacher mit seiner neuen Prothese
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KURIER/Jeff Mangione

Winter 2012 / 2013 Die Prothese des Herstellers Otto Bock wird Dieter Sulzbacher angepasst. „Am Anfang musste ich immer bewusst an die gewünschten Bewegungen denken. Und ich musste trainieren, dass beim Beugen des Ellbogens nicht auch die Hand auf- und zugeht.“ Die Nervensignale werden an die Muskeln übertragen, diese geben elektrische Impulse an die Elektroden der Prothese weiter.

Frühjahr 2013 Sulzbacher führt im Fotostudio vor, wie er ein Glas nehmen, halten und zum Mund führen kann. „Ich kann auch teilweise eine Jacke auf- und zuknöpfen, den Lötkolben und auch andere Gegenstände gut halten. Es war die richtige Entscheidung.“ Im Juni schließt Sulzbacher die HTL für Elektrotechnik ab: „Ich habe viele Erfahrungen gesammelt im Zusammenspiel von Mensch und Technik. Die würde ich gerne in einem neuen Job einsetzen.“ – Chirurg Aszmann: „Die Bewegungen, die er heute ausführen kann, sind unvergleichbar mit jenen seiner verletzen Hand nach dem Unfall.“

Der plastische Chirurg Univ.-Prof. Oskar Aszmann ist Leiter des CD-Labors für die Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen am AKH Wien / MedUni Wien.

KURIER: Vor knapp einer Woche mussten Sie 37-jährigen Ungarn Tibor A. nach seinem schweren Arbeitsunfall wegen einer Infektion den angenähten Arm abnehmen.

Oskar Aszmann: Natürlich haben wir alle gehofft, dass das nicht passieren wird. Doch auch, wenn die Wunden gut verheilt wären: Die wichtigsten Nerven, die vom Arm-Nerven-Geflecht in die Hand hineingehen, waren ausgerissen. Wir hätten im Herbst versucht, die Nervenversorgung der Hand chirurgisch wiederherzustellen, aber es wäre schwierig gewesen. Es hätte auch eine ähnliche Situation wie bei Dieter Sulzbacher eintreten können: Die Hand ist zwar erfolgreich angenäht, aber völlig funktionsuntüchtig. Und dann hätte sich für Tibor A. dieselbe Frage wie für Dieter Sulzbacher gestellt: Lasse ich mir die Hand für eine Prothese amputieren? Leider hat Tibor A. im Gegensatz zu Dieter Sulzbacher auch das Ellbogengelenk verloren. Das macht es schwieriger, aber es sollte möglich sein, mit ebenfalls verlagerten Nerven die Prothese anzusteuern. Das können wir auch vorab testen.

Weltweit gibt es erst drei Patienten, die sich bewusst eine funktionsuntüchtige Hand für eine künftige Prothese abnehmen ließen – neben Dieter Sulzbacher der Oberösterreicher Patrick M. und ein Wiener, ebenfalls Ihre Patienten.

Wir haben dieses Konzept – auch mit Ethikexperten – lange diskutiert. Aber die Erfolge der ersten drei Patienten bestätigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich habe auch Patienten mit einer funktionslosen Hand, die diesen Weg nicht gehen wollen. Weil die körperliche Unversehrheit und die körperliche Integrität für sie ein höherer Wert ist. Das ist zu respektieren. Eine Amputation kommt auch nur dann infrage, wenn wir durch ausführliche Untersuchungen und Nervenleitungstests vorab sicher sind, dass der Patient nachher die Prothese gut steuern kann.

Wäre nicht auch eine Transplantation eine Möglichkeit?

Bei Dieter Sulzbacher sicher nicht, weil drei von fünf Nervenwurzeln, die in den Arm führen, ausgerissen waren. Ihm fehlen sozusagen die nötigen Kabeln für die neue Hand. Tibor A. hat kein Ellbogengelenk mehr, da gibt es weltweit bisher nur einen vergleichbaren Patienten, dem ein Unterarm mit Ellbogengelenk transplantiert wurde – mit mäßigem Erfolg. Eine junge Südamerikanerin, die durch einen Tumor den Unterarm nicht mehr bewegen kann und jetzt im Juni zu uns kommt, wäre theoretisch eine Kandidatin für eine Transplantation: Nur bedeutet das, dass sie lebenslang immunsystemunterdrückende Medikamente nehmen muss. Sie möchte aber Kinder bekommen – und diese Medikamente können den Embryo schädigen. Auch sie will sich den Arm amputieren lassen.

Aber Theo Kelz wurden doch sogar zwei Hände transplantiert?

Ja, das ist genau der Unterschied, ob ich zumindest eine intakte Hand habe oder gar keine mehr, was furchtbar ist. Bei einer Hand muss man sehr genau abwägen, ob man die Belastung einer lebenslangen Immunsuppression auf sich nimmt. Auch das Alter spielt hier eine große Rolle. Aber möglicherweise gibt es hier in einigen Jahren auch einen Durchbruch und neue Medikamente könnten eine Transplantation erleichtern.

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