Burn-out: „Wir vernichten den Selbstwert“

Ausgebrannt und dennoch unter Strom
Betroffene werden von der Gesellschaft gemieden und verbannt. Warum ist das so?

Paul* hat von außen betrachtet das große Los gezogen. Er ist erfolgreicher Anwalt und wohnt in einem schicken Appartement. Privat schart sich ein großer Kreis an Bewunderern um ihn. Seine Freizeit verbringt er mit Golfen und Feiern. Pauls Welt scheint perfekt zu sein. Bis zu jenem Tag, an dem er sich nicht überwinden konnte, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Er fühlte sich erschöpft. Das Beantworten von eMails empfand er belastend. Pauls Arbeit wurde für ihn zum Martyrium. Sein Arzt diagnostizierte schließlich Burn-out. Paul ist ausgebrannt.

KURIER-Familycoach Martina Leibovici-Mühlberger hat schon viele Patienten wie Paul betreut. In ihrem neuen Buch „Die Burn-out-Lüge“ blickt sie hinter die Fassade der Symptome. Sie ist überzeugt, dass die Wurzel der Ursache tiefer liegt. „Die Menschen befinden sich in einer Steigerungsgesellschaft. Sie wollen immer mehr, rennen und rennen, um ihre Ziele zu erreichen.“

Das Streben nach Wachstum und Konsum steht dabei an erster Stelle. „Wir haben unsere Seele dem Ökonomieprinzip verschrieben. Wachstum ist die Zielsetzung – um die zu garantieren, brauchen wir Konsum. Uns wird suggeriert, dass Wohlstand und Konsum die einzigen Glücksgaranten sind. In Wirklichkeit ist es eine hohle Konstruktion, die zu narzisstischem Individualismus führt.“

Eine Gruppe Menschen, die laut Leibovici stark von diesen Werten geprägt ist, ist die „Generation Y“. Jene Menschen, die zwischen 1980 und 2000 geboren sind. „Studien zeigen, dass diese Gruppe, die auch als ‚Millennials‘ bezeichnet wird, stark von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen betroffen ist“, sagt die Familienexpertin. Statistiken der US-Gesundheitsbehörde schreiben ihnen wenig Interesse an Religion oder Politik, dafür viel Interesse an sich selbst und digitaler Selbstverwirklichung zu.

Hamsterrad

Burn-out–Patienten machen allen „Normalen“, die weiterhin im Hamsterrad laufen, Angst – so lautet eine weitere These von Martina Leibovici-Mühlberger. „Der Betroffene sieht auf den ersten Blick gut aus, gestern war er noch bei den Erfolgreichen dabei. Nachdem er als Burn-out-Patient bekannt ist, wendet sich die Umwelt von ihm ab. Wir wollen nicht näher hinschauen und uns damit auseinandersetzen, warum es so weit gekommen ist.“

Sabine*, ehemalige Leiterin einer Personalabteilung, hat diese Situation erlebt: „Ich bin behandelt worden, als trüge ich eine ansteckende Krankheit in mir. Als ich nach drei Monaten, während der normalen Dienstzeiten, ins Büro kam, bin ich ignoriert worden.“ Die Menschen haben Ablenkungsmanöver geschaffen, um das Hinschauen zu vermeiden, sagt Leibovici. „Wir zeigen auf die Betroffenen und schicken sie in Rehabilitationszentren. Rückt die Genesung außer Reichweite, bleibt nur die Berentung und Invalidisierung. Der Burn-out-Patient wird in die Hinterhöfe unserer Gesellschaft verbannt. Wir vernichten ihren Selbstwert.“

Aussteigen

Um diesem Schicksal zu entkommen plädiert Leibovici-Mühlberger dafür, früh genug aus dem Hamsterrad zu steigen. Dafür sind soziale Verbindungen wichtig. „Ich muss gute soziale Verbindungen im Privat- und Berufsleben haben. Je besser mein Netzwerk ist, desto stressresistenter bin ich. Ich muss lernen, achtsam mit mir und anderen Menschen umzugehen. Dazu braucht es gutes Zeitmanagement und eine Abkehr von Konsum und Wachstum.“

Da viele Patienten an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns zweifeln, sollte die Arbeit Möglichkeit zur Identifikation und Verwirklichung geben. „Zudem sollte jeder Mensch für sich herausfinden, was bedeutet das, was ich tue? Was ist der tiefere Sinn dessen, wie ich mein Leben gestalte?“

*Die markierten Namen beruhen auf Beispielen aus dem Buch.

Buchtipp

Burn-out: „Wir vernichten den Selbstwert“
edition a
Martina Leibovici-Mühlberger, Die Burn-out-Lüge. Was uns wirklich schwächt. Wie wir stark bleiben. Edition a, 19,95 Euro

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