Armut kränkt die Seele

Zurück im Leben: Franz K. hat die Schmach der Arbeitslosigkeit überwunden
Die Armutskonferenz lässt in einer Studie erstmals Betroffene zu Wort kommen: Sie sind öfter und länger krank.
Von Uwe Mauch

Leiste ich mir den Selbstbehalt für neue Stiftzähne oder zahle ich die Miete für meine kleine Wohnung? Es sind Fragen wie diese, mit denen die Linzerin Sonja Taubinger öfters konfrontiert ist. Im Zweifelsfall entscheidet sie gegen ihre Gesundheit. Aus leicht nachvollziehbarem Motiv: "Was helfen mir die schönsten Zähne, wenn ich damit zurück auf die Straße muss?" Sonja Taubinger verkauft in der oberösterreichischen Hauptstadt die Kupfermuckn, das Äquivalent zur Wiener Straßenzeitung Augustin. Sie weiß nur zu gut, wie schlimm es ist, obdach- und damit schutzlos zu sein.

Die Linzer Zeitungsverkäuferin kommt in einer neuen Studie zu Wort, die am Dienstag von der Armutskonferenz präsentiert wurde.

Armut kränkt die Seele
Pressekonferenz Armutskonferenz
Die Eckdaten haben sich nicht geändert: Der Gesundheitsstatus jener 385.000 Menschen, die wie Frau Taubinger in Österreich manifest arm sind, ist drei Mal so schlecht wie der Status der restlichen Bevölkerung. "Außerdem sind die Armen und Ausgegrenzten doppelt so oft krank wie Menschen mit mittlerem Einkommen", erläutert der Wiener Armutsexperte Martin Schenk.

Schwere Niederlage

Die Studie, an der Schenk mitgearbeitet hat, zeigt Lücken und Barrieren im österreichischen Gesundheitssystem auf, und zwar konkret aus der Sicht der Betroffenen.

Betroffen ist auch Franz K., der mit 50 seinen Job und sein Einkommen als kaufmännischer Angestellter verloren hat. "So etwas kann jeden treffen", weiß Herr K. heute. Tatsächlich stand er zuvor mit beiden Beinen im Leben: "Ich bin gerne arbeiten gegangen. Ich konnte mir ein Auto, ein Motorrad und schöne Urlaubsreisen leisten. Auch im Fußballverein war ich gut integriert."

Er habe dann 800 Bewerbungen abgeschickt, ohne Erfolg. Der unfreiwillige soziale Abstieg war die Niederlage seines Lebens, er hat seine Seele tief gekränkt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte man den verzweifelten Arbeitslosen damals vor seiner schweren Depression bewahren können. Doch gibt es, so ein zentrales Ergebnis der Studie, für die Betreuung und Therapie der Ausgegrenzten kaum Angebote, die durch ihre eCard abgedeckt sind.

Es ist ein Wunder und ein Verdienst der Hilfsorganisation pro mente, dass Franz K. heute über seine damaligen Selbstmordgedanken noch erzählen kann. Mit Tränen in den Augen sagt er: "Die haben mich im letzten Moment aufgefangen und mir auch wieder neuen Mut gemacht."

Es sei ihm inzwischen klar, dass er mit seiner psychischen Beeinträchtigung und seinem Alter keinen bezahlten Job finden könne. Dennoch habe er dank seiner Betreuer neue Freude am Leben: "Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich freue mich auch riesig, dass ich wieder Sport treiben kann."

Der Mann, der in seinem Leben nie Schulden machte, möchte jetzt in einer Selbsthilfegruppe "ein bisschen von dem zurückgeben, was ich selbst bekommen habe".

Dass die eindeutigen Gutachten über seine Krankheit von der Pensionsversicherung noch immer nicht akzeptiert werden, steht auf einem anderen Blatt, beweist aber auch eindrucksvoll, dass Armutsbetroffene noch immer nicht die selben Zugänge zur medizinischen Versorgung haben wie andere.

Armut kränkt die Seele
Patientin zweiter Klasse? „Kupfermuckn“-Verkäuferin Sonja Taubinger fühlt sich so
Die Linzer Straßenzeitungsverkäuferin Sonja Taubinger bestätigt diese These aus leidvoller eigener Erfahrung: "Man hat mir das nicht g’scheit erklären wollen." Nach dem Tod ihres Lebensgefährten vor acht Jahren wurden bei ihr zwei Karzinome und Metastasen im Körper diagnostiziert. "Ich bin von einem Arzt zum anderen gerannt, bis ich endlich verstanden habe, dass die Chemotherapien auch tödlich ausgehen können." Vor allem die Ärzte im Spital hätten sie spüren lassen, dass sie wenig Respekt verdient.

Angst vor Bloßstellung

Mehrere Betroffene gaben in der Studie an, dass sie sich nicht zum Arzt trauen, weil sie sich für die eigene Situation schämen oder sich vor Bloßstellung fürchten. Die Armutskonferenz will daher vermehrt Freiwillige als deren Begleiter einsetzen.

Die neue Studie zum Download.

Die Leiden der Ausgegrenzten

Sie sind öfter krank, doch weniger medizinisch versorgt. Die häufigsten Krankheiten der Armen und Ausgegrenzten betreffen das Herz-Kreislauf-System, den Bewegungsapparat und die Psyche (Depression, Schlafstörungen).

Schulstart-Pakete für Arme

Erstmals in Österreich: Noch bis zum 19. September kann für schulpflichtige Kinder aus armen Familien ein Schulstart-Paket beantragt werden. Das Rote Kreuz gibt die Schulsachen (aus einem EU-Fonds finanziert) aus. Nähere Informationen auf den Seiten des Sozialministeriums und vom Roten Kreuz.

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