Auf der Suche nach dem Feind im Erbgut

Auf der Suche nach dem Feind im Erbgut
Wollen wir wirklich wissen, welche Krankheiten in uns stecken? Der Blick ins Erbgut kann auch Verwirrung stiften.

Es gibt Menschen, die haben es noch viel schlechter getroffen als Angelina Jolie. Die Schauspielerin hatte ein 87-prozentiges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ehe sie sich zur prophylaktischen Amputation entschloss. Eine Verlängerung des Huntington-Gens hingegen löst den Veitstanz aus – eine Krankheit, die um das 40. Lebensjahr herum einsetzt und meist innerhalb von 15 Jahren zum Tode führt. Heilungschancen: null. Was uns zur Frage bringt: Wie viel wollen wir über unser Erbgut wissen? Und wann ist ein Gen-Test sinnvoll?

„Der Gentest ist nur für Menschen sinnvoll, die familiär bedingt bereits ein erhöhtes Risiko für eine bestimmte Krankheit haben“, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger und erklärt, dass es „zwei grundlegend unterschiedliche genetische Erkrankungen gibt. Bei den sogenannten multifaktorellen Krankheiten spielen Gene eine Rolle, aber auch Umwelt und Lebensstil bestimmen mit, ob das Leiden ausbricht oder nicht.“

Selten, aber zahlreich

Ganz anders bei den „Ein-Gen-Krankheiten“: Sie sind selten, aber zahlreich. „Es gibt Tausende“, sagt der Genetiker. „Wir kennen bereits an die 6000 Gene, von denen wir wissen, dass sie einen kausalen Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit haben“ Wie eben das Brustkrebs auslösende BRCA-Gen bei Angelina Jolie.

2011 betrug die Zahl der mittels DNA-Analyse diagnostizierbaren monogenetischen Krankheiten schon weit über 1000. „Aber die große Kraft steckt erst dann drinnen, wenn die Beratung von Leuten gemacht wird, die sich mit der Materie auskennen.“ Der Betroffene muss über die Konsequenzen aus dem Test Bescheid wissen – heißt: gibt es eine Prophylaxe, Behandlungsmöglichkeiten und vor allem: Heilungschancen?

Gentest ja oder nein? „Das ist immer eine individuelle Entscheidung“, sagt Hengstschläger und erinnert an die eingangs erwähnte Krankheit Chorea Huntington: „Warum soll ich mit 18 wissen wollen, ob ich um die 40 meine geistige Kapazität verlieren werde?“, fragt er. Und antwortet gleich selbst: „Vielleicht möchte ich Lebensentscheidungen treffen, etwa, ob ich mich fortpflanzen will“. Es gehe nicht nur ums eigene Leben: Wer einen Test macht, entscheidet zwangsweise für Verwandte mit. Jolies leibliche Kinder etwa müssen sich irgendwann damit beschäftigen, dass sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit das mutierte BRCA1-Gen der Mutter tragen.

Bei vielen anderen Krankheiten fahnden Wissenschaftler noch nach genetischen Ursachen. Denn oft reicht es nicht, einzelne Gene anzuschauen. Tests, die diese multifaktorielle Erkrankungen analysieren, haben eine niedrige Aussagekraft, „weil die Umwelt und der Lebensstil des Einzelnen eine Rolle spielen“, sagt Hengstschläger. Auf diesen Bereich haben sich die DNA-Dienste im Web gestürzt.

Gen-Test aus dem Internet

Heute gibt es viele Firmen, die DNA-Analysen anbieten (etwa 23andMe, psynomics.com, cygene.com). Mit 300 Euro ist man dabei. Die Ergebnisse dieser Internet-Tests stiften vor allem eines: Verwirrung. Selbst Genomforscher Craig Venter – immerhin der Erste, der das menschliche Genom entschlüsselt hat – gesteht, dass „wir aus dem Genom in Wirklichkeit nichts erfahren, außer Wahrscheinlichkeiten. Und wie soll man klinisch umsetzen, dass Sie ein um drei Prozent erhöhtes Risiko für irgendetwas haben? Solche Information ist nutzlos.“

Auch in Österreich kommen immer wieder Menschen ins Institut für Medizinische Genetik und bitten um Interpretation ihres Netz-Tests. Viel gescheiter sei es, zuerst in eine Beratungsstelle zu gehen, sagt Genetiker Hengstschläger. Er rät: „Berichte, was dir Sorgen macht, erzähle die Familiengeschichte und wäge dann mit dem Arzt ab, ob der Gen-Test sinnvoll ist.“ Kann man etwas gegen die Krankheit tun „dann bin ich jedenfalls für den Test“.

Unglaublich, aber wahr: In den USA formieren sich Verschwörungstheoretiker, die unterstellen, Angelina Jolie solle mit ihrer Brustamputation der Industrie Milliardenprofite durch Gen-Patente sichern. Fakt ist: Seit dem Outing von Jolie stürmen Frauen vor allem in den USA die Arztpraxen und wollen auf die BRCA-Gene getestet werden. Auch in Österreich verzeichnet man gestiegenes Interesse. Die US-Firma Myriad Genetics Inc. stellt die Tests her, mit denen der Brustkrebs-Gendefekt identifiziert werden kann.

Monopol auf Test

Dahinter steht ein Grundsatzstreit um die Zulässigkeit der Patentierung menschlichen Erbguts. Der Oberste Gerichtshof der USA berät derzeit, ob das Privatunternehmen Myriad die BRCA-Tests exklusiv vermarkten darf, weil es die Patente auf die krebsauslösenden Gene besitzt. Die Gentest-Firma argumentiert, man habe nur wegen der Aussicht auf gute Gewinne die hohen Kosten für die Decodierung der Gene und die Entwicklung der Tests tragen können – immerhin 500 Millionen Dollar (388,68 Millionen Euro).

Kritiker werfen Myriad vor, die Erforschung der Gene durch andere Institutionen zu blockieren und damit die Tests für eine Vielzahl von Patienten unerschwinglich zu machen.

Der Streit um die Patentierbarkeit von einzelnen Genen schwelt, seit das menschliche Erbgut entschlüsselt ist. Auf ein Fünftel der 24.000 Gene wurden bisher Patentansprüche angemeldet, darunter Alzheimer-Gene und weitere Krebsgene.

Auf die beiden Brustkrebsgene hat die Firma Myriad jedenfalls seit mehr als 15 Jahren in den USA Patente, seit 2008 auch in größeren europäischen Ländern. In der Länderliste der europäischen Patentanmeldung fehlen kleinere europäische Länder allerdings. Und so kommt es, dass der Test in Ländern wie beispielsweise Belgien auch zukünftig ohne Lizenzgebühren möglich ist.

Während in Europa der kombinierte BRCA1/2-Test maximal 1500 Euro kostet, ist in den USA der BRCA1-Test – bedingt durch die Lizenzgebühren – schon mehr als doppelt so teuer. Für die in Österreich potenziell betroffenen 25.000 Frauen ist der Test kostenlos. Radiologen und Gynäkologen haben mit Unterstützung von Bund, Bundesländern und Krankenver- sicherung ein System zur Identifizierung und Betreuung geschaffen.

Aktienkurs steigt

Für Myriad kam das Outing von Angelina Jolie gerade recht: Der Aktienkurs stieg auf den höchsten Wert in 52 Wochen. Und das Urteil des Obersten Gerichtshofes soll just im Juni fallen.

Sollte der Oberste Gerichtshof gegen Myriad entscheiden, würde eine Multimilliarden-Dollar-Industrie über Nacht kollabieren. Auf etwa 20 Prozent der menschlichen Gene haben sich Unternehmen und Universitäten nämlich bereits Patente gesichert. Folge: Der Patentinhaber hat das Recht, jeden anderen davon abzuhalten, das betreffende Gen zu betrachten, zu untersuchen und zu testen. Diese Rechte wären dann mit einem Schlag wertlos.

„Ich will nicht, dass meine Kinder so wie ich mit 14 Jahren ihre Mutter verlieren.“ – „Ich will nicht so früh sterben müssen und meine Familie verlassen, ich will gesund bleiben.“ Oder: „Was gebe ich meinen Kinder genetisch weiter?“ Das sind einige Beweggründe für Frauen, sich einem Gentest zu unterziehen. Weil in ihrer Familie Brust- und/oder Eierstockkrebs gehäuft aufgetreten ist/sind. „Diese Frauen sind Ratsuchende“, sagt Renate Lichtenschopf, Psycho-Onkologin der Gen-Beratungsambulanz für erblichen Brustkrebs am Wiener AKH.

Wer hierher kommt, hat oft mehrere Brustkrebserkrankungen direkter Angehöriger wie Mutter, Schwester oder Tante hautnah miterlebt. Grund: zwei vererbbare Gene (BRCA 1 und 2). „Diese Frauen haben schwierige Rollenvorbilder. Aus Studien wissen wir, dass Informationsbedürfnis und Risikominimierung die Hauptmotivation für den Kontakt zu uns ist.“ Viele kommen, wenn sie jenes Alter erreichen, in dem die eigene Mutter oder Schwester an Brustkrebs erkrankt ist; oder wenn ein anderes Familienmitglied die Diagnose erhält.

Ob eine Genanalyse sinnvoll ist, wird mit Gesprächen geklärt. Auch Familienstammbäume erstellt das Team. „Viele Frauen fürchten Brustkrebs, weil vielleicht die Urgroßmutter im hohen Alter erkrankte. Da können wir sehr gut Ängste nehmen“, sagt Ambulanz-Leiter Christian Singer.

Aufklärung steht bei Frauen mit positivem Befund an oberster Stelle – und Feingefühl. Lichtenschopf versucht, schon im Vorfeld mögliche psychosoziale Konsequenzen zu vermitteln. „Auf Basis unserer Vor-Informationen muss die Frau entscheiden, wie sie mit einem positiven Befund umgehen würde. Es gibt auch ein Recht auf das Nicht-wissen-Wollen.“ Entscheidet man sich fürs Wissen und ist das Ergebnis positiv, gibt es trotz aller Belastungen auch Positives. Singer: „Die Frauen sind nicht schutzlos ausgeliefert, sie können selbst etwas für ihre Gesundheit tun.“ Und das muss nicht die Brustentfernung sein.

www.brustgenberatung.at

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