Jahrelang kannten die Immobilienpreise in Europa nur eine Richtung: nach oben. Insbesondere weil es keine relevanten Sparzinsen gab, investierten viele, auch institutionelle Anleger, in "Betongold". Doch der Wind hat sich gedreht, die Zinswende sorgt für gehörige Turbulenzen.
Die Kredite werden dadurch teurer, gleichzeitig fallen in mehreren europäischen Ländern die Marktpreise. Ein "steiler, nachhaltiger Rückgang der Preise für Wohnraum und Gewerbeimmobilien" könnte bevorstehen, warnte Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff im Handelsblatt. Eigentümer bekommen zunehmend Probleme, die Banken zu bedienen, in Deutschland wird bereits ein Anstieg der Zwangsversteigerungen erwartet. Die Lage wird zudem durch den steilen Anstieg der Energie- und Baukosten verschärft.
In Österreich zeichnen sich bisher keine gröberen Verwerfungen ab, sagt Karin Wagner, Immobilien-Spezialistin bei der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) auf Anfrage des KURIER.
Ein Drittel hat Schulden
Von Anfang 2022 bis Anfang 2023 sind die Zinssätze für neu vergebene variabel verzinste Wohnbaukredite von 1 Prozent auf 3,6 Prozent gestiegen. Nur ein Drittel der privaten Haushalte ist verschuldet, hohe Kreditschulden sind bei einkommensstarken Haushalten zu finden. Natürlich könnten einzelne Haushalte, die Kredite mit variablen Zinssätzen haben Probleme bekommen, systemische Risiken würden sich daraus aber nicht ergeben. Noch im letzten Quartal 2022 schloss knapp die Hälfte der österreichischen Konsumenten eine Hypothek mit variablem Zinssatz ab – das ist deutlich mehr als im Schnitt des Euroraumes, wo es nur etwa ein Viertel war, aber deutlich weniger als die mehr als 80 Prozent vor ein paar Jahren. Insgesamt haben 44 Prozent der Immo-Kreditnehmer in Österreich einen variablen Zinssatz, weitere 49 Prozent haben einen Kredit mit einem fixen und einen variablen Zinsanteil.
Die europaweiten Entwicklungen zeigen sich auch in Österreich, bestätigt Wagner. Private Wohnbaukredite gehen "sowohl im Volumen als auch bei der Anzahl" zurück und der Trend stark steigender Immobilienpreise hat sich eingedämmt. Während der Anstieg bei Wohnimmobilien im Vergleich zum Vorjahresquartal im dritten Quartal 2022 österreichweit noch 10,8 Prozent betrug, waren es im vierten Quartal nur noch 5,2 Prozent. Ob es in Österreich zu sinkenden Preisen kommt, sei aber noch nicht abzusehen, sagt Wagner.
Aufgrund der derzeitigen Datenlage sehen wir aktuell keinerlei Gefahr für die heimische Finanzmarktstabilität
von Karin Wagner, OeNB
Markteingriffe
Mehrere europäische Staaten haben inzwischen in den Markt eingegriffen, um Auswirkungen auf die Volkswirtschaft zumindest zu reduzieren. So gibt es etwa in Großbritannien für manche Hypotheken staatliche Garantien. In Polen dürfen Schuldner vier Monate die Zinszahlungen aussetzen, in Spanien und Portugal gibt es Unterstützungsmaßnahmen für ökonomisch schwache Haushalte. Frankreich und Polen setzen auf Zins-Obergrenzen.
In Österreich wurde die Empfehlung von 20 Prozent Eigenmittel bei Immobilienkrediten zur allgemeinen Verpflichtung. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die Konsumenten wirtschaftlich übernehmen. Die Strukturen der Märkte für Wohnimmobilien seien in Europa sehr unterschiedlich, sagt Wagner. Deswegen müsse man für jedes Land "ein speziell auf die nationalen Gegebenheiten angepasstes Toolkit bei allfälligen Krisenbewältigungsmaßnahmen schneidern". Österreich hat im europäischen Vergleich zum Beispiel einen großen Mietsektor und vergleichsweise niedrigen Eigentümeranteil, insbesondere in Wien.
Immobilien-Fonds
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat zuletzt noch vor einem anderen Risiko im Zusammenhang mit Immobilien gewarnt. Das über Fonds in Gewerbeimmobilien investierte Kapital hat sich in den letzten zehn Jahren auf mehr als eine Billion Euro mehr als verdreifacht. Seit der Corona-Pandemie kam der Markt aber verstärkt unter Druck. Dazu kommen neuerlich gedämpfte Konjunkturaussichten und die steigenden Zinsen. Kommt es zu massiven Kapitalabflüssen, könnte das "die Stabilität des Finanzsystems im weiteren Sinne" und in Folge die Realwirtschaft beeinträchtigen, so die EZB. Insbesondere schwedische Banken stehen deswegen Berichten zufolge schon im Visier sogenannter Leerverkäufer. Diese "wetten" sozusagen auf fallende Kurse der Finanzinstitute.
Für den österreichischen Finanzplatz sieht Wagner derzeit keine Gefahr, auch nicht für den institutionellen Bereich. Zwar seien die Auswirkungen der Corona-Krise bei den Gewerbeimmobilien größer gewesen als bei den Wohnimmobilien, aber "eine Gefahr für die heimische Finanzmarktstabilität sehen wir derzeit nicht".
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