WU-Professor: "Viele Banken brauchen Hilfe"

WU-Professor: "Viele Banken brauchen Hilfe"
Interview mit Stefan Pichler: Weil Banken das Eigenkapital erhöhen und Anleihen abschreiben müssen, droht eine Kreditklemme.

Der EU-Gipfel bringt eine Aufstockung des Euro-Rettungsschirms, höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken und ein Schuldenschnitt bei Griechenland-Anleihen. WU-Professor Stefan Pichler erklärt die Auswirkungen auf Europas Finanzbranche.

KURIER: Reicht eine Billion Euro im Rettungsschirm nun wirklich aus oder kann das noch immer zu wenig sein?
Stefan Pichler: Das hängt davon ab, welche Ereignisse abgedeckt werden sollen. Für einen Zahlungsausfall Griechenlands hätte es gereicht, Irland und Portugal wären auch kein Thema. Erwischt es ein oder mehrere größere Länder, dann ist auch diese Summe zu klein. Die Summe ist aber nicht entscheidend, sondern wie glaubwürdig die Absichtserklärung, einander zu helfen, ist und wie ernst sie genommen wird. Konkretes Ziel ist, dass sich alle Euroländer wieder zu vernünftigen Konditionen verschulden können.

Wird es funktionieren?
Große Investmentbanken und Ratingagenturen gehen davon aus, dass der Schirm wirken wird.

Was geschieht mit den Anleihen, die am Markt sind? Droht hier nicht ein Renditeanstieg?

Würde man diese in den Schirm inkludieren, entstehen zwei Probleme. Zum einen würden jene, die diese Anleihen vor kurzer Zeit aus spekulativen Motiven gekauft haben, auf Kosten des Rettungsschirmes Profite machen. Zum anderen könnten Schuldenländer Anreize haben, ihre Schuldenpolitik fortzusetzen.

Was wäre der Ausweg?
Eine Sondersteuer auf die Zinsen dieser Altanleihen für den Fall, dass diese voll garantiert werden. Das wäre auch politisch gut als Beitrag der Finanzwelt zu verkaufen.

Welche Auswirkungen hat ein Schuldenerlass auf die Finanzwelt?
Das führt zu weiteren Abschreibungen. Nach der Dexia würde es viele griechische Banken und die eine oder andere darüber hinaus treffen, die dringend Kapital benötigen. Sonst werden sie insolvent. Marktmeinung scheint zu sein, dass 50 Prozent Schuldenschnitt keinen Dominoeffekt auslöst. Dafür sind die Summen zu klein.

Was ist dann das Problem?
Dass man die Banken dazu zwingt, gleichzeitig ihr Eigenkapital rasch zu erhöhen und gleichzeitig alle Anleihen auf Marktwert abzuschreiben. Das kostet Milliarden, die für die Erhöhung des Eigenkapitals fehlen. Denn wenn künftig auch Staatsanleihen in die Risikobewertung hineingerechnet werden, braucht es zusätzliches Eigenkapital. Man kann vertreten, reinen Tisch zu machen, aber das kann sich irgendwie nicht ausgehen, zumal ja zusätzlich die Belastung aus der Bankensteuer zu tragen ist.

Was geschieht dann?
Die Banken schränken die Kreditvergabe stark ein. Das würde die große Gefahr einer Rezession bedeuten. Oder die Regierungen schaffen starke Anreize oder Zwänge, Staatsbeteiligungen einzugehen. Viele Banken werden Hilfe brauchen.

Ist eine höhere Kernkapitalquote von neun Prozent sinnvoll?
Grundsätzlich ja. Denn sonst sind die Risiken sind einfach zu groß.

Staatsanleihen der Eurozone wurden immer als sicher dargestellt. Sind in diesem Punkt die Banken Opfer?
Es gibt einen Aspekt in der Finanzkrise, in dem die Banken sicher unschuldig sind. Und das ist genau dieser. Man hat den Banken schon unter Basel II gesagt, 'Runter mit dem Risiko'. Und Staatsanleihen wurden per Gesetz als nahezu risikolos definiert. In vielen Fällen hatten Banken ja wenig andere Möglichkeiten, ihre Spareinlagen zu investieren.

Was wäre die Folge, wenn Staatsanleihen nicht mehr als sicher gelten?

Das wäre nur ein theoretisch spannendes Experiment. Ich hoffe, dass es nicht Realität wird. Denn es würde viele Unternehmen in und außerhalb der Finanzbranche sehr stark treffen. Aber auch private Anleger. Denn es gibt kaum jemand, der nicht Staatsanleihen besitzt, beispielsweise über Investmentfonds oder eine Lebensversicherung. Positiv wäre es möglicherweise für Unternehmen, weil Banken dann stärkere Anreize hätten, ihre Mittel verstärkt für Kredite zu verwenden.

Haben die Banken-Stresstests versagt?
Nein, sie sind für die Risikoanalyse des europäischen Bankensystems extrem sinnvoll. Banken müssen hier nicht 'bestehen' oder 'durchfallen', das ist eigentlich Unsinn. Natürlich ist es kein gutes Zeichen, wenn Banken in einem möglichen Szenario ein zu geringes Eigenkapital aufweisen würden. Aber die Tests dienen der Information von Aufsicht und Politik. Auf dieser Basis werden entsprechende Maßnahmen für den Ernstfall gesetzt. Natürlich werden auch Varianten berechnet, die den Ausfall von Staatsanleihen beinhalten und viele andere Varianten. Es gibt auch Szenarien, da sind 99 Prozent der Banken hin. Professionelle Marktteilnehmer rechnen sich ohnehin selbst aus, ob eine Bank in bestimmten Szenarien Schwierigkeiten bekommt.

Wie aussagekräftig sind Bankbilanzen?
Eine Bankbilanz alleine sagt wenig über das Risiko. Viel wichtiger sind die Risikokennzahlen, die im Zuge von Basel II und III von Banken berechnet werden müssen.

Wie kann die Erste innerhalb von knapp drei Wochen ihr prognostiziertes Jahresergebnis derart drehen?
Das Timing ist spannend. Dass alles gleichzeitig kommt, fällt auf. Offenbar hat man kurzfristig alles einer Neubewertung unterzogen. Die komplette Beteiligung in Ungarn abzuschreiben ist radikal, aber gerechtfertigt. Rumänien kann man wohl damit argumentieren, dass das Geschäftsmodell nicht mehr geht. Die Bewertung des CDS-Portfolio ist am schwersten nachzuvollziehen.

Hätte es in der Bilanz aufscheinen sollen?
Die Vorgehensweise war sicherlich korrekt. Es muss in den anderen Risikoreports ja entsprechend ausgewiesen sein. Im Nachhinein schaut es natürlich überraschend aus, dass Treichl im Sommer noch auf die Rückzahlung des Staatsgeldes gedrängt hat. Aber seitdem hat sich wirklich viel getan. Und in Summe glaube ich, dass der Schritt richtig war. Es wird bei einigen Banken noch größeren Bedarf nach Staatshilfe geben, am meisten bei der Volksbanken AG.

Sind CDS wirklich so gefährlich?
Das sind normale Absicherungsinstrumente, die ins Gerede kamen, weil überhöhte Risiken aus solchen Positionen die Pleiten von Lehman und AIG verursacht haben. CDS sind nicht gefährlicher als andere Finanzinstrumente, es kommt wie immer darauf an, welche Positionen man in welcher Höhe hat und vor allem, ob man das Risiko richtig bewertet hat.

Zur Person: Stefan Pichler

WU-Professor Der 1964 geborene Steirer ist seit 2003 Professor für Banking und Finance an der WU Wien. Vorher war er als Wissenschafter an der Uni Graz und an der TU Wien tätig. Daneben ist er seit 1991 Mitglied im ATX-Komitee der Wiener Börse und seit 2000 Berater bei PricewaterhouseCoopers. 2009 wurde er zum Leiter der Expertengruppe des Finanzministeriums für das Management der öffentlichen Finanzen bestellt. Er ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.

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