WU-Professor: "Gastronomie hat brutale Veränderungen vor sich"

WU-Professor: "Gastronomie hat brutale Veränderungen vor sich"
"Ich glaube, dass jeder Gastronom für sich begriffen hat, das Jahr ist eh nicht mehr zu retten", meint Scharitzer.

Die Regierung will ab Mitte Mai Lokale wieder aufsperren lassen. Ob das ein Erfolg wird, ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern hängt auch an Einstellungen und Erwartungen der Österreicher und Österreicherinnen. "Ich glaube, dass da neben dem Realpolitischen wahnsinnig viel im Kopf abgeht", sagte Dieter Scharitzer, Professor an der Wirtschaftsuniversität (WU) im Gespräch mit der APA.

Die Frage sei, "gehe ich essen, nur weil die Gaststätten offen sind?" Und wie werden die Österreicher auf Kellner mit Masken oder "Zeit-Slots" für das Abendessen reagieren? Scharitzer, Assistenzprofessor am Institut für Marketing-Management der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts TQS Research & Consulting geht aber davon aus, dass Menschen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit haben.

"Wir sind sehr formbar", so Scharitzer. Menschen akzeptieren die Realität. Wenn Restaurants zwei Zeitfenster für das Essen anbieten, dann werde es nicht lange dauern, bis die Menschen das lieber akzeptieren als gar nicht mehr essen zu gehen. Es sei ja inzwischen auch üblich geworden, Tische zu reservieren, früher wollte das keiner.

"Wenn jemand sagt, es kommt eine 'neue Normalität', dann finde ich das sprachlich aber sehr unglücklich", sagt Scharitzer. Da stecke zu viel Vergleich mit der Zeit vor der Pandemie drin. Die Krise habe aber das Potenzial, den Lauf der Dinge zu ändern, wirklich "disruptiv" zu wirken. "Ich glaube schon, dass die Gastronomie brutale Veränderungen vor sich hat", warnt Scharitzer. Ob das Leben dadurch besser werde oder schlechter, das sei wieder eine andere Frage, die sich jetzt noch nicht beantworten lasse.

"Ich glaube, dass jeder Gastronom für sich begriffen hat, das Jahr ist eh nicht mehr zu retten", meint Scharitzer. Daher sei die Zeit für neue Strategien und tiefgreifende Veränderungen gekommen. "Jetzt nichts zu tun, ist das Tödlichste, damit ist ein Betrieb wirtschaftlich nicht zu halten". Ideen seien gesucht. Vielleicht dem Kunden für das gemütliche Zusammensitzen nach dem kurzen Zeit-Slot im Lokal eine gute Flasche Wein für daheim mitverkaufen. Oder den Erlebniswert des großzügigen Platzangebots vermarkten.

Scharitzer setzt dabei auf die Kreativität vor allem der kleinen Betriebe, auch wenn sie auf ersten Blick wirtschaftlich schwach scheinen mögen. Denn über "die Gastronomie" sollte man nicht sprechen. Zu unterschiedlich seien die einzelnen Segmente. Viel größere Probleme gebe es bei manchen großen, denen das bisherige Geschäftsmodell weggebrochen ist - etwa auf Touristen konzentrierte Hotelketten. "Wer weiß schon, ob wir heuer noch einen amerikanischen Touristen in Österreich sehen". Aber auch Bars und Abendlokale stünden vor sehr großen Herausforderungen.

Im Inlandskonsum sieht Scharitzer aber gute Perspektiven. Denn, wenn auch vielleicht in veränderter Form, "das Erlebnis Gastronomie wird sicher wieder nachgefragt. Es ist ja nicht jeder glücklich damit, zu Hause zu kochen und Brot zu backen".

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