Jan Marsalek: War auch sein Großvater ein russischer Spion?
Es sind zwei Biografien wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine ist mutmaßlich einer der größten Wirtschaftsverbrecher Österreichs, der andere war Holocaust-Überlebender, Leiter der Gedenkstätte Mauthausen und seit 2017 wird in seinem Namen ein Preis für Zivilcourage vergeben.
Doch Hans Marsalek könnte auch eine dunkle Seite gehabt haben. Neu gesichtete Akten aus dem Staatsarchiv näheren den Verdacht, dass der Großvater des einstigen Wirecard-Chefs nach dem Krieg Geheiminformationen an die sowjetischen Besatzer weitergab, die zu Todesurteilen führten. Vier Österreicher könnten deshalb verschleppt worden sein.
Verdächtigung
Der Großvater des Wirecard-Betrügers Jan Marsalek wird als Spion verdächtigt, titelte diese Woche die Financial Times. Basis dafür sind kürzlich fertig gestellte Untersuchungen des Historikers Thomas Riegler.
Im Staatsarchiv sind laut KURIER-Recherchen fünf Akten zu Hans Marsalek zu finden, wobei einer brisant ist. Es ist ein Schreiben des damaligen Staatspolizei-Chef Oswald Peterlunger der Polizeidirektion Wien an die Staatsanwaltschaft vom 24. September 1956 (siehe Faksimile). Marsalek werden darin mehrere Delikte nach dem alten Strafgesetz vorgeworfen, die man etwa als Amtsmissbrauch und Entfernung eines Verdächtigen aus der österreichischen Gerichtsbarkeit bezeichnen könnte. Einen Spionage-Paragrafen gab es nicht.
Hans Marsalek war jedenfalls überzeugter Kommunist und KPÖ-Mitglied, weshalb ihn die Nazis ins KZ brachten. Er überlebte das Grauen und wurde nach dem Krieg einer von vier Abteilungsleitern der neuen Staatspolizei. Er baute jenen Staatsschutz auf, an dessen Demolierung (siehe BVT-Affäre) sein Enkel später mitwirkte.
Zwischen der KPÖ-nahen Stapo und dem von SPÖ und ÖVP dominierten Innenministerium gab es nach dem Krieg Spannungen, weshalb Vorwürfe gegen einen ranghohen Staatspolizisten durchaus im Interesse der Wiener Polizei gewesen sein könnten.
Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht die Zeugenaussagen des Wiener Kaufmanns Otto Mautner. Dieser hatte sich im März 1950 an Marsalek gewandt. Die Russen wollten ihn als Agenten werben, weil er sich weigere, drohe ihm nun die Verschleppung durch die Russen. Marsalek habe ihm gesagt, er solle sich keine Sorgen machen. Dieser erklärte auch, er würde dafür sorgen, dass er wieder freikäme.
Wenig später wurde Mautner von Sowjets verhaftet und es wurde ihm ein Aktenvermerk von einem Gespräch mit Stapo-Mann Marsalek vorgehalten. Deswegen wurde er zum Tode verurteilt und nach Russland gebracht. Später folgte eine Begnadigung und 1955 die Rückkehr nach Österreich.
Laut der Anzeige gibt es noch drei weitere Fälle, in denen die Besatzungsmacht Informationen hatte, die nur die Staatspolizei kannte und die von Marsaleks Abteilung bearbeitet wurden. Der gebürtige Wiener stritt alles vehement ab, blieb bis 1963 im Dienst und jagte erfolgreich weitere NS-Verbrecher.
Verärgerung
Empört über derartige Verdächtigungen zeigt sich Willi Mernyi, der Vorsitzende des Mauthausen-Komitees: „Da es bei jedem kommunistischen Funktionär das Gerücht gab, dass er ein russischer Spion sei, aber es bei Hans Marsalek nicht einen einzigen uns bekannten, konkreten Verdachtsfall – gar eine Anklage oder Verurteilung – gibt, bleiben diese Vorwürfe nichts als Gerüchte“.
An dem vom MKÖ vergebenen Preis, der „nach einem Menschen benannt ist, der unzähligen Häftlingen in Mauthausen das Überleben gesichert hat“, wolle man festhalten. Das alles seien „unbestätigte und unbewiesene Gerüchte“.
„Der Hinweis des Mauthausen-Komitees ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eine politische Intrige gewesen sein könnte, um die verbliebenen kommunistischen Staatsschützer loszuwerden“, sagt Historiker Riegler. „Wenn man sich aber vor Augen führt, wie damals die Stapo Wien im Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht gestanden ist, dann ist es sehr wohl denkbar, dass es so passiert ist. Der Einfluss war sehr groß.“
Staatspolizisten wie Hans Marsalek, der vor allem gegen Nazis ermittelte, hatten großes Interesse gehabt an Felix Tarbuk und Viktor Pan, zwei Ex-Offizieren der deutschen Abwehr, dem Geheimdienst der Nazi-Wehrmacht .
Tarbuk und Pan sind zwei der Personen aus der Anzeige, die von den Sowjets verhaftet und verschleppt worden sind. Zwei ranghohe Spione des NS-Regimes wären jedenfalls ein großer Fang für die Besatzer gewesen. Und Marsalek hätte mit seiner Vorgeschichte wohl durchaus ein Motiv für die Auslieferung an eine vermutlich strengere Justiz gehabt.
„Dass Marsalek für die Sowjets spioniert habe, dafür gibt es keine Beweise. Man kann es aber umgekehrt nicht von der Hand weisen, dass das sehr wohl plausibel ist und so gewesen sein könnte wie dargestellt“, sagt Riegler.
Vererbung
Es stellt sich die Frage, ob der Enkel Jan die Kontakte seines Großvaters in Osteuropa nutzen konnte. „Hans Marsalek war sehr gut vernetzt hinter dem Eisernen Vorhang“, sagt Riegler. So könnten die Erzählungen des Großvaters das Interesse Jan Marsaleks an Geopolitik und Nachrichtendiensten geweckt haben. „Es ist anzunehmen, dass er ihm wahrscheinlich auch ein sehr gutes Bild von der Sowjetunion vermittelt hat“, sagt der Historiker.
Und weiter: „Sollte der Informationsfluss tatsächlich so erfolgt sein, war der Name Marsalek in Moskau eingeführt und möglicherweise folgte eine gezielte Anbahnung schon in den 90er-Jahren, wie von manchen Quellen behauptet. Unterm Strich bleibt: Es gibt keinen stichhaltigen Beweis, aber viele Indizien.“
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