„Wir müssen stärker europäisch denken“
Die Infineon Technologies Austria AG ist ein Anbieter von Halbleiterlösungen. Das Unternehmen, das eine Tochter der deutschen Infineon Technologies AG ist, beschäftigt rund 4.600 Mitarbeiter und hat seinen Sitz in Villach. Sabine Herlitschka ist seit April 2014 Vorstandsvorsitzende von Infineon Austria und seit Juni dieses Jahres auch Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung Österreich.
KURIER: Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass Europa in der Industrie stärker als gemeinsame Region auftreten soll, um sich gegenüber den weltweiten Mitbewerbern zu behaupten. Wie soll das gehen?
Sabine Herlitschka: Europa ist heute eine hochattraktive Region im globalen Wettbewerb.
Aber wir haben noch immer eine Gesetzgebung, zum Beispiel im Wettbewerbsrecht, die auf die 50er-Jahre zurückgeht. Gleichzeitig gibt es jetzt in der Krise Reisewarnungen zwischen den Ländern, Lieferstopps, wie etwa anfangs die Maskenknappheit. Wir müssen stärker europäisch denken und brauchen vor allem eine gemeinsame Industriepolitik. China ist seit Jahren dabei, sich technologisches Know-how zu holen. Aus chinesischer Sicht ist das nachvollziehbar. Aber Europa darf nicht dabei zuschauen, dass es zu einem Ausverkauf kommt.
Wird es die viel zitierte Rückholung von Produktion nach Europa geben?
Ich glaube, dass man durch die Corona-Krise sieht, was wirklich wichtig ist. Nicht nur im Hightech-Bereich wie bei uns, sondern bei ganz einfachen Dingen wie Schutzmasken. Wir haben erlebt, dass wir hier höchst abhängig waren. So hat es durch Corona eine Verstärkung der Diskussion gegeben, dass wir in Europa bei systemrelevanten Technologien und Produktionsbereichen auf unsere Autonomie achten müssen.
Also Sie glauben an diese Rückholung der Produktion?
In systemkritischen Bereichen ist es gelungen, jetzt stärker den Fokus darauf zu legen, was in Europa wichtig ist und dort auch Maßnahmen zu setzen. Zum Beispiel Teile der Produktion von Pharmazeutika und die Sicherstellung, dass diese in Europa vorhanden sind. Oder die Mikroelektronik, wie sie Infineon produziert. Ein Leben ohne Mikroelektronik würde nicht so aussehen, wie wir es gewohnt sind. Aber von den 20 größten Halbleiterunternehmen der Welt sind nur noch drei von Europa aus gesteuert. In einer Hochlohnregion müssen wir mit Know-how punkten.
Im Geschäftsjahr 2018/19 hat Infineon einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro und ein Ergebnis vor Steuern von 306 Millionen Euro erwirtschaftet. Wie wird es im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr aussehen?
Zu den aktuellen Zahlen kann ich noch nichts sagen. Das Jahr selber war natürlich ein sehr durchwachsenes. Auf der einen Seite hat sich die Weltwirtschaft abgekühlt. Auf der anderen Seite haben wir alle im Lockdown die Digitalisierung ganz persönlich gespürt. Gerade der Digitalisierungsbereich ist ja gewachsen. Infineon hat hier ein diverses Portfolio, und das wird sich auch niederschlagen.
Wie stark ist denn die Produktion aktuell ausgelastet?
Wir haben die Kurzarbeit in der Fertigung bei einer Auslastung von 80 Prozent eingesetzt und sind vorzeitig mit unseren Beschäftigten Ende Juli wieder rausgegangen. Die Auslastung ist jetzt ähnlich hoch, wir nutzen die Zeit für Schulungen und Anpassungen.
Eine Anpassung des Personalstandes war für Sie zu keinem Zeitpunkt ein Thema?
Wir haben bewusst das Instrument Kurzarbeit für alle eingesetzt, damit wir uns von niemandem trennen müssen, auch nicht von Leiharbeitskräften. Ganz im Gegenteil: Wir werden nächste Woche unser Forschungsgebäude in Villach eröffnen, das eine Erweiterung unserer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten darstellt. Auch in Graz und Linz setzen wir auf Forschung und Entwicklung. Daraus ergeben sich nach wie vor unsere starken Wachstumsthemen.
Fachkräftemangel war ja in der Vergangenheit auch für Ihr Unternehmen ein starkes Thema. Wie viele Leute suchen Sie gerade?
Wir haben rund 90 offene Stellen. Das ist eine große Zahl, vor allem angesichts der hohen Arbeitslosigkeit.
In welchen Bereichen braucht es am dringendsten Personal?
Elektrotechnik ist natürlich ein Hauptthema, außerdem sämtliche technische Richtungen von Physik bis zur IT. Und Jobs in der Produktion. Mit dem Bau unserer neuen Chipfabrik in Villach schaffen wir 400 Jobs wie beispielsweise Prozessingenieure. In einer automatisierten Fabrik geht es auch um Daten. Wir brauchen Data Scientists, die aus den Daten die richtigen Schlussfolgerungen ableiten können.
Stichwort digital: Werden Sie das Homeoffice in Ihrem Unternehmen beibehalten?
Beim Thema Homeoffice geht es eigentlich um die Frage, wie unsere Arbeitswelt in Zukunft aussieht – und zwar sicherlich nicht so, dass alle im Büro sitzen. Es wird vieles geben, das man von zu Hause aus oder, noch besser gesagt, mobil erledigen kann. Corona war da ein erster Vorgeschmack. Auf der anderen Seite bedeutet neues Arbeiten sicher nicht nur, dass ich mit dem Laptop am Küchentisch sitze. Da wird sich mehr tun und sich hybride Formen entwickeln, vor Ort und mobil. Bei hochinnovativen Themen braucht es aber auch die direkte Interaktion in den Teams.
Sabine Herlitschka hat Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur in Wien studiert. Vor ihrer Tätigkeit bei Infineon war sie unter anderem Vizerektorin an der Medizinischen Universität Graz und Bereichsleiterin der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft. Die heute 54-Jährige ist seit August 2011 Vorstandsmitglied der Infineon Technologies Austria AG, ab Jänner 2012 in der Funktion als Vorstand für Technik und Innovation. Seit April 2014 ist sie Vorstandsvorsitzende des Unternehmens
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