Prüfbericht: Wien Energie im Milliarden-Stress
Alles richtig gemacht – mit diesem Tenor wurden die Ergebnisse der bemerkenswert raschen Prüfung der Stromhandelsgeschäfte der Wien Energie präsentiert. Das Ergebnis der vom Mutterkonzern Wiener Stadtwerke beauftragten Gutachten ist allerdings kein Persilschein. Dem KURIER liegen Auszüge aus dem Prüfbericht vor: Der Liquiditätsbedarf uferte aus, die Stadtwerke waren schon seit Dezember 2021 über die riskante Situation ihrer Tochter Wien Energie informiert.
Eines muss man Wien Energie zugute halten. Man steuerte nicht tatenlos in Schockstarre auf den Abgrund zu, sondern versuchte, die überlebenswichtige Liquidität aufzutreiben. Der Liquiditätsbedarf wurde immer höher, auch weil Wien Energie die Börsegeschäfte ständig ausweitete. Obwohl die Strompreise schon im Vorjahr verrückt spielten und nur eine Richtung kannten - nach oben.
Bereits im Dezember 2021 wurde der Konzern über Liquiditätsengpässe informiert, der Aufsichtsrat der Stadtwerke wurde umgehend damit befasst. Es blieb nicht die einzige Sitzung zum Thema.
Im Jänner wurde auf Basis eines Umlaufbeschlusses der erste Kredit bei einem heimischen Bankinstitut über 500 Millionen Euro abgeschlossen. Im März sowie im Juli und August wurden laut Prüfbericht weitere Überbrückungsfinanzierungen über jeweils 500 Millionen Euro vereinbart.
600 Millionen Cash-Pooling
Aus dem Cash-Pooling des Konzerns, der etliche Unternehmen umfasst (von den Wiener Linien bis zur Bestattung), wurden 600 Millionen für Wien Energie bereit gestellt. Die Stadtwerke beschäftigen rund 15.000 Mitarbeiter, erwirtschaften 4,3 Umsatz-Milliarden und wiesen im Vorjahr 282 Millionen Gewinn aus. Cash-Pooling dient der Liquiditätssteuerung. Mit dem Ziel, Liquidität an jene Konzerngesellschaften zu verschieben, die diese gerade am dringendsten benötigen. Diese durchaus übliche Vorgehensweise unterliegt jedoch strengen Kapitalerhaltungsregeln. Jede teilnehmende Tochtergesellschaft muss kreditwürdig sein, ein Missbrauch kann strafrechtliche Konsequenzen haben. Offenbar dürften die internen Regelungen für Cash-Pooling um das Doppelte überschritten worden sein. Die Stadtwerke bestätigen Cash-Pooling, kommentieren aber die Summen nicht. Wien-Energie-Chef Michael Strebl bestätigte in der ZiB 2 die 600 Millionen.
Im Sommer spitzte sich die Lage zu. Die Banken weigerten sich, finanzielle Mittel aus den bestehenden Finanzierungsvereinbarungen auszuzahlen.
Im Juli und August genehmigte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) per Notkompetenz mehr oder weniger heimlich eine Überbrückungsfinanzierung der Stadt Wien über zwei Mal 700 Millionen Euro.
Die bis dahin beschlossenen Maßnahmen beliefen sich in Summe somit auf vier Milliarden Euro.
Als der Preis an der Stromhandelsbörse an jenem denkwürdigen Freitag, 26. August, in weitere, astronomische Höhen schoss, drohte die Lage völlig außer Kontrolle zu geraten und der Bund wurde zu Hilfe gerufen. Die Kreditlinie über zwei Milliarden Euro ist bis heute aber noch nicht abgerufen. Womit der Fallschirm bereits sechs Milliarden Euro groß wäre.
Wien Energie bezifferte selbst den Liquiditätsbedarf für die Margin-Calls im Worst Case mit bis zu zehn Milliarden Euro. Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) sprach von sechs bis zehn Milliarden Euro.
5 Milliarden genehmigt
Stadtwerke und Wien Energie ließen sich noch weitere Liquiditäts-Milliarden genehmigen. Am 29. August segnete der Aufsichtsrat der Stadtwerke mit einem Umlaufbeschluss eine Liquiditätsunterstützung durch das Land Wien in Höhe von 5 Milliarden Euro ab. Der Antrag wurde bis dato aber nicht gestellt.
Der Aufsichtsrat der Tochter Wien Energie hatte im August die Aufnahme der Kreditlinie über bis zu fünf Milliarden Euro genehmigt. „In mehreren Schritten bzw. von unterschiedlichen Finanzierungspartnern in Form unterschiedlicher Instrumente, sei es direkt bei österreichischen Bankinstituten oder durch Gewährung oder durch Weiterreichung von Fremdmitteln von oder im Wege der Stadt Wien oder der Wiener Stadtwerke“, heißt es im Protokoll.
Die Stadtwerke wollen auf die Maßnahmen gegenüber dem KURIER nicht eingehen und berufen sich auf Geschäftsgeheimnisse, ebenso für die Offenlegung des Prüfberichtes. Die Geschäftsführung habe „vorausschauend vorgesorgt, dass Liquiditätsmittel zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Unsere begründeten Erwartungen wurden leider durch eine völlig unvorhergesehene Marktverwerfung am 26. August noch übertroffen“, erklärt ein Sprecher.
andrea.hodoschek@kurier.at
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