Videogipfel: Wer zahlt für Europas Rettung?
Unglaubliche 3.400 Milliarden Euro wurden schon mobilisiert – wenn man die Pakete der 27 EU-Staaten und der EU-Institutionen zusammenzählt (siehe Grafik unten).
Warum das nicht reicht? Weil die Spielräume der Staaten, mit denen sie sich gegen die verheerenden Folgen der Coronapandemie stemmen, sehr unterschiedlich sind. Deutschlands Hilfspakete erreichen inklusive Garantien 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. In Italien sind es 20 Prozent, in Spanien gar nur 12 Prozent, hat der junge Wiener Ökonom Philipp Heimberger berechnet. Damit droht die Schere der starken und schwachen Euroländer weiter aufzugehen – und auf Dauer die Währungsunion zu sprengen.
Die EU ist deshalb auf der Suche nach weiterer Feuerkraft. Mindestens eine weitere Billion (1.000 Milliarden) Euro sei nötig, glaubt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
Doch woher nehmen und wie die Schuldenlasten schultern? Bei ihrem vierten Videogipfel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs darüber beraten, wie der Wiederaufbau der von Corona schwer geschädigten europäischen Wirtschaft gelingen soll. Ohne Streit wird es nicht abgehen.
Wie viel Geld soll für die erste Zeit nach der Corona-Krise zu Verfügung stehen?
Die Antworten darauf haben eine gigantische Bandbreite. „Bei den Konjunkturhilfen muss man eher von Billionen als Milliarden sprechen“, gab EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in der Vorwoche zu bedenken. Klaus Regling, der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, hält mindestens 500 Milliarden Euro für nötig. EZB-Präsidentin Christine Lagarde rechnet mit 1,5 Billionen erforderlichen Euro. Der Betrag ist vor allem davon abhängig, wie lange die Krise dauert.
Diese Riesensumme soll in einem Wiederaufbau-Fonds gesammelt werden. Was genau soll dieser Fonds sein?
Alle wollen ihn – im Prinzip. Aber wie er aufgebaut wird und was er darf, das ist noch die große Streitfrage – vor allem zwischen einerseits Deutschland, den Niederlanden und Österreich und andererseits Spanien, Italien und Frankreich. Ein Kompromissvorschlag der EU-Kommission könnte den Ausweg bilden: Im Rahmen des nächsten siebenjährigen Budgets könnte die Behörde in Brüssel selbst Schulden über Anleihen aufnehmen, für die wiederum die Mitgliedsstaaten bürgen würden.
Kommissionschefin von der Leyen will diesen Vorschlag heute beim EU-Videogipfel vorlegen. Diese Lösung könnte für alle Seiten akzeptabel sein: Es würde zwar nationale Garantien geben, die Haftung bliebe aber auf EU-Ebene. Da gebe es rechtliche Unterschiede, sagen Experten. Das politisch so heikle Thema der Vergemeinschaftung nationaler Schulden würde so umschifft.
Wie steht Österreichs Regierung dazu?
Solidarität mit den von der Corina-Pandemie so schwer getroffenen Ländern Spanien und Italien? „Ja, aber“, lautet dazu die Position der Regierung in Wien. Alles, was irgendwie nach Vergemeinschaftung von Schulden klingt, ist für Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht akzeptabel.
Ein Wiederaufbaufonds dürfe demnach keine Geldtransfers leisten. Vielmehr müsse klar sein, sagte Kurz am Mittwoch, „dass die Mittel des Wiederaufbauplans von den jeweiligen Mitgliedsländern zurückgezahlt werden sollen und Österreich nicht die Schulden von anderen EU-Mitgliedstaaten übernimmt. Eine Vergemeinschaftung der Schulden, wie es etwa das Modell von Corona-Bonds vorsieht, lehnen wir klar ab“, bekräftigte der Kanzler die Position Österreichs.
Warum beharrt Italien so sehr auf Corona-Bonds, obwohl doch so gut wie feststeht, dass Premier Giuseppe Conte mit dieser Forderung in der EU nicht durchkommt?
Italiens Premier steht daheim unter massivem Druck. Das Land fühlt sich in der Corona-Krise einmal mehr zu wenig unterstützt. Schon in der Migrationskrise, die den Rechtspopulisten Salvini in die frühere Regierung katapultierte, hatte Rom von den EU-Partnerländern nur ausweichende Antworten bekommen. Die Last der Flüchtlinge wurde nicht auf Europa verteilt, sondern Italien überlassen.
Durch eine gemeinsame Schuldenaufnahme, etwa über Corona-Bonds, würde dem hoch verschuldeten Italien erhebliche Zinslast abgenommen. Zuletzt signalisierte Conte Bereitschaft für andere Instrumente. Frankreich und Spanien schlugen gemeinsame Anleihen mit extrem langen Rückzahlungszeiten vor.
Frankreichs Präsident Macron warnt: Greift der reichere Norden den finanziell schwächeren Staaten nicht unter die Arme, drohe überall das Wiedererstarken der Rechtspopulisten.
Muss das heftig umstrittene EU-Budget nun doch noch aufgestockt werden?
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vollzog diese Woche einen beachtlichen Schwenk: Sie könne sich eine deutliche Anhebung des EU-Haushalts vorstellen. Bisher hatten Deutschland und Österreich darauf beharrt, dass der Nettobeitrag der Länder nicht steigen dürfe bzw. dass der Budgetrahmen bei einem Prozent der EU-Wirtschaftsleistung bleiben müsse. Dann aber kam Corona.
Im Zuge der beschlossenen, aber auch erst geplanten Maßnahmen der EU gegen die Wirtschaftskrise fallen immer wieder Begriffe, die in der breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind. Der KURIER erläutert deren Bedeutung.
Recovery Fund
ist die Basis für den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Der Fonds zur Wiederbelebung der Wirtschaft wurde vor zwei Wochen beschlossen. Offen ist die Form der Finanzierung: entweder über gemeinsame Anleihen oder den EU-Haushalt.
Bonds
ist der englische Begriff für Anleihen. Dabei handelt es sich in der Regel um fix verzinste Wertpapiere mit einer bestimmten Laufzeit. Zu unterscheiden sind Staats- und Unternehmensanleihen.
Ratings werden von Ratingagenturen vergeben. Diese Benotung richtet sich nach der Finanzkraft eines Unternehmens oder Staates. Je schlechter das Rating, desto höher die Zinsen, die das Unternehmen oder der Staat den Geldgebern zahlen muss.
Eurobonds
kamen erstmals in der Eurokrise 2010 ins Gespräch. Damit sollten Länder mit sehr schlechten Ratings wie Griechenland von den besseren Benotungen von Ländern wie Österreich oder Deutschland profitieren. Durch die Ausgabe von gemeinsamen Euro-Staatsanleihen sollte der Zinssatz für die hoch verschuldeten Euroländer verkraftbarer werden. Gemeinsam würde für die Zinsen und Rückzahlung gehaftet. Die Idee konnte sich aber wegen Widerstand der bessergestellten Länder nicht durchsetzen.
Corona-Bonds
sind von der Konstruktion her dasselbe wie Euro-Bonds. Einziger Unterschied: Das Geld soll nur die Bekämpfung des Virus und der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verwendet werden dürfen.
ESM
steht für Europäischer Stabilitätsmechanismus. Dieser wurde als Alternative zu gemeinsamen Anleihen ins Spiel gebracht und 2012 tatsächlich Realität. Der ESM ist eine in Luxemburg ansässige Organisation und Kernstück des Euro-Rettungsschirms. Griechenland, Zypern, Spanien und Portugal haben bereits Kredite daraus erhalten.
Aktuell sind noch rund 410 von anfangs 700 Milliarden Euro verfügbar, wobei 240 Milliarden schon aus dem ersten Corona-Paket abgeschöpft werden. Österreich finanziert rund 2,77 Prozent der Gesamtsumme (19,5 Milliarden Euro).
EIB
ist die Europäische Investitionsbank. Sie stellt vor allem kleinen und mittleren Unternehmen Darlehen in Höhe von 200 Mrd. Euro zur Verfügung.
SURE
(Support mitigating Unemployment Risks in Emergency) ist ein mit 100 Mrd. Euro dotiertes Programm der EU-Länder zur Unterstützung von Arbeitsmarktmaßnahmen, vor allem der Kurzarbeit, in Form von günstigen EU-Darlehen.
PEPP
(Pandemic Emergency Purchase Programme) ist ein Notfallprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) im Volumen von 750 Milliarden Euro für den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen bis Jahresende. Die EZB hat schon in der Eurokrise begonnen, Anleihen aufzukaufen. Bis dato haben diese Käufe ein Volumen von 2,6 Billionen Euro erreicht. (klee)
Und die Osteuropäer?
Gegen ein größeres EU-Budget hätten die osteuropäischen Staaten nichts einzuwenden – solange andere einzahlen und nichts umgeschichtet wird. Hier treibt die Nicht-Eurostaaten die Sorge um, dass sich der Wiederaufbaufonds nur auf den Euroraum konzentriert. Und traditionell gibt es Befürchtungen, jenes Geld aus den EU-Töpfen, das dem wirtschaftlichen Aufholprozess dient, könnte künftig vom Osten Europas in den Süden umgelenkt werden.
Billionen-Hilfspakete: Wie das andere Wirtschaftsmächte machen
Diese Krise ist dramatisch. Einen so raschen Einbruch der Wirtschaftsleistung und Anstieg der Arbeitslosenzahlen hat es noch nie gegeben – und das gleich weltweit.
Ohne Schuldenexplosion wird kein Staat aus der Krise herausfinden.
Wobei: Betrachtet man den Euroraum als Ganzes, sieht die Ausgangslage nicht so düster aus. Verglichen mit den USA und Japan sind die Gesamtschulden geringer (siehe Grafik oben).
Weil aber die Währungsunion und die EU kein Staat sind (und noch lange nicht sein werden), zählen für die Märkte die Schulden der Einzelstaaten. Und da reicht die Palette von Estland (8 Prozent) und Luxemburg (19 Prozent) bis Italien (136 Prozent) und Griechenland (169 Prozent).
Deshalb wird ja gerade so intensiv über die Lastenteilung und den Wiederaufbaufonds diskutiert. Wie aber ergeht es den anderen Wirtschaftsblöcken, wie reagieren sie auf die Pandemie?
USA
Washington peitscht das mittlerweile vierte Hilfspaket über 480 Mrd. Dollar durch den Kongress. Damit werden vor allem Hilfen für Klein- und Mittelbetriebe aufgestockt. Die vorherigen Pakete umfassten 2.200 Mrd. Dollar für Unternehmen und Konzerne sowie ein Bürgergeld. Davor gab es kleinere Pakete von 8,3 Mrd. Dollar für Forschung und 100 Mrd. Dollar Arbeitslosengeld und Lebensmittelhilfen. Die US-Notenbank kauft jetzt sogar Hochrisiko-Anleihen, schultert also ein großes Risiko von Firmenpleiten in ihrer Bilanz.
Japan
Der asiatische Industrieriese lebt seit Jahrzehnten mit dem Schuldenrekord – der IWF erwartet, dass die Quote auf 252 Prozent der Wirtschaftsleistung steigt. Dennoch schnürte Tokio ein umgerechnet 900 Milliarden Euro großes Rettungspaket, inklusive Direktzahlung von 850 Euro an jede in Japan lebende Person. Die Zentralbank kauft sogar Aktien auf.
China
Für das Ursprungsland des Virus erwartet der IWF 1,2 Prozent Wachstum. Das klingt besser als es ist, für ein so rasch wachsendes Schwellenland ist das wie eine schwere Rezession. Peking hat die Ausgaben hochgefahren, Steuern gesenkt und den Kommunen Anleihen für Großprojekte erlaubt. Die Zentralbank senkte die Leitzinsen und Rücklagen für Banken, damit mehr Geld in die Wirtschaft fließt.
Großbritannien
eine der ältesten Notenbanken (seit 1694) brach das Tabu: Sie umgeht den Kapitalmarkt und die Banken und finanziert den Staat direkt. Bis zum Abklingen der Pandemie, ein sehr flexibler Zeitrahmen.
Fazit: Europas Staaten, die EU und die EZB lehnen sich mit ihrer Antwort auf die Krise finanziell nicht weiter aus dem Fenster als die anderen Wirtschaftsmächte.
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