Wie sich Europa vom russischen Gas verabschieden will
Neue Gaslieferanten finden, erneuerbare Energieträger schnellstens ausbauen, viel investieren, Energie sparen - Brüssel legt eine gewaltige To-do-Liste vor.
Die Sorge, dass Russland Europa den Gashahn zudrehen könnte, ließ die EU blitzartig zu einer Gegenstrategie greifen: Mit einer Art riesiger To-Do-Liste, die die EU-Kommission gestern präsentierte, wird der Weg vorgegeben: So soll sich die EU aus der Energieabhängigkeit von Russland befreien.
Dabei sollen drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Statt Russland sollen künftig andere Anbieter die EU mit Gas versorgen; der Ausbau der erneuerbaren Energieträger soll massiv beschleunigt und verstärkt werden, um den Klimaschutz voranzutreiben; und nicht zuletzt gilt es, das weitere Steigen der Energiepreise abzumildern.
Die Kosten für dieses Mega-Programm werden mit rund 210 Milliarden Euro binnen der nächsten fünf Jahre beziffert, bis 2030 könnten sie auf rund 300 Milliarden Euro steigen.
Über die zahlreichen geplanten Maßnahmen müssen EU-Regierungen und EU-Parlament noch beraten. Die Zeit drängt: Bis spätestens Ende des Jahrzehnts will sich die EU von Russlands fossiler Energie endgültig verabschiedet haben.Die drei Säulen der Vorschläge:
Diversifizierung
Drei Milliarden Euro überweisen die EU-Staaten jede Woche für ihre Gaseinkäufean Russland. Ende des Jahres, so der Plan der EU-Kommission, soll es nur noch eine Milliarde pro Woche sein. Einen fixen Zeitpunkt für den endgültigen Ausstieg aus russischem Gas nennt Brüssel nicht – inoffiziell ist von 2027 die Rede. Russische Kohle kommt ab August nicht mehr in die EU. EU-Ölimporte sollen bis Jahresende stoppen.
Neue Anbieter
Statt russischem Gas wird nun vermehrt Flüssiggas (LNG) aus den USA, Katar, Ägypten, Norwegen und Kanada geliefert. Via Pipelines kommt mehr Gas aus Aserbaidschan und aus Algerien. Der Nachteil: Flüssiggas ist erheblich teurer – und die Mengen reichen noch nicht, um das russische Gas vollständig zu ersetzen.
LNG-Häfen, Pipelines
Die auf russische Energie ausgerichtete Öl- und Gasinfrastruktur vor allem Osteuropas muss umgerüstet werden. Nötig ist der Bau neuer LNG-Häfen, neuer Pipelines, und die gesamte Infrastruktur Europas muss besser verknüpft werden.
Sonne statt russisches Gas - die Erneuerbaren
Bis 2030 müssen 45 Prozent der Energie in der EU aus erneuerbaren Quellen kommen.
Solardächer-Pflicht
Laut EU-Plan sollen alle Industrieanlagen sowie alle öffentlichen Gebäude, wo dies möglich ist, Solarstromanlagen erhalten. Bei Neubauten soll dies ebenfalls Pflicht werden. Die Vorgabe: Bis 2025 soll sich die Zahl der Solaranlagen in der EU verdoppeln, bis 2030 vervierfachen. Dafür soll eine eigene Solar-Industrie in Europa gefördert werden. Ziel ist es, nicht in die Abhängigkeit von China zu geraten, wo derzeit am meisten Solaranlagen produziert werden
Schnelle Genehmigungen
Bisher konnte es bis zu neun Jahre dauern, bis die Genehmigungen für die Errichtung eines Windrades gegeben waren. Von nun an sollen Genehmigungsverfahren für die Errichtung erneuerbarer Energieträger maximal ein Jahr dauern. Staaten werden zudem dazu angehalten, „to-go“-Areale auszuweisen. Dort kann die Errichtung etwa eines Windrades erzwungen werden, wenn es„im öffentlichen Interesse“ ist.
Der Preis und die Kosten für die Energiewende
Um die gestiegenen Energiepreise für die Bürger abzufedern, gibt Brüssel den EU-Staaten die Erlaubnis: Sie dürfen sogenannte Zufalls- oder Übergewinne von Energiekonzernen („windfall profits“) besteuern und diese Einnahmen an die Bürger umverteilen. Griechenland, Italien und Spanien tun dies bereits.
Preise für Benzin im März, Schwedenplatz, Wien
Erlaubt wäre überdies auch ein Deckel auf Gaspreise – etwa, falls Russland die Versorgung tatsächlich kappt
Energiesparen
Der „schnellste und billigste Weg“, der aktuellen Energiekrise zu begegnen, sei es aber, Energie zu sparen, heißt es im Kommissionsplan. Durch Sparmaßnahmen könnten bis 2030 13 Prozent des Energiekonsums reduziert werden. Informationskampagnen sollen demnächst in ganz Europa anlaufen und den Bürgern zeigen, wo und wie sie in ihrem Alltag Energie sparen können
Woher kommt das Geld?
300 Milliarden Euro bis 2030 – sie sollen aus dem Regionalfonds und dem Agrarfonds der EU kommen bzw. aus Einnahmen aus dem Emissionshandel.
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