Weltweite Logistik wird ohne Russland neu geordnet

Containerhafen in der Provinz Jiangsu
Große Reedereien verdienen prächtig an den erneuten Verwerfungen der Lieferketten.

Der Krieg in der Ukraine hat die Lieferketten weltweit durcheinandergewirbelt. Luft- und Schifffahrt knüpfen die Nervenbahnen des Welthandels nun neu, um nach den Sanktionen gegen Russland ihre Kunden noch mit Waren versorgen zu können. "Russland wurde von der Karte getilgt, ist durch die Sanktionen praktisch nicht mehr existent", erklärt ein Insider bei einer großen Reederei. Dabei hat sich die globale Logistik längst nicht von den Folgen der Corona-Krise erholt.

Bedeutsamer noch als Russland ist für die See-Logistik China, wo derzeit die Pandemie neu aufflammt und mit dem stufenweisen Lockdown in der Hafenmetropole Shanghai längst überwunden geglaubte Probleme zurückkehren. "Wir beobachten sehr genau die Ereignisse in China mit einer weiteren Welle von Covid-19, die sich in mehreren Großstädten und Unternehmen ausgebreitet", sagte Gene Seroka, Exekutivdirektor des Hafens von Los Angeles unlängst. Los Angeles und der angrenzende Hafen von Long Beach an der Westküsten der USA sind ein Nadelöhr für den Containerschiffsverkehr. Dort warteten zu Spitzenzeiten mehr als 100 Schiffe auf ihre Abfertigung.

Inzwischen hat sich die Lage etwas entspannt, wie Seroka jetzt bei einer Veranstaltung der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd berichtete. Die Engpässe an der US-Westküste und in China gelten als Hauptgründe, warum die Linienreedereien weltweit schon seit längerem ihre Fahrpläne nicht mehr einhalten und die Transportkapazitäten knapp sind. Container stauen sich in den Häfen und Kunden müssen oft wochenlang auf ihre Ware warten.

Turbulenzen seit zwei Jahren

Ihren Ausgang nahmen die Turbulenzen mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor zwei Jahren in China, als Häfen dichtmachten. Container stauten sich an den Terminals und Lkw konnten sie nicht aus den Häfen abtransportieren. Ware drohte zu verderben, da es an den Terminals nicht genug Steckdosen gab. "Damals hat man zwei große Schiffe auf Reede liegen lassen, um die Steckdosen an Bord für die Kühlcontainer zu nutzen", erzählt der Sprecher der Maersk-Tochter Hamburg-Süd, Rainer Horn. Aus den Erfahrungen hätten die Reedereien gelernt und nach den Sanktionen gegen Russland die Ware schnell gestoppt.

Selbst Buchungen, bei denen der Transport bereits zugesagt war, seien storniert worden, berichtet Horn. Fleisch oder Früchte aus Südamerika etwa. "Kunden können gebührenfrei ein neues, alternatives Ziel für die Ladung festlegen." Dennoch laufen die Häfen an der Nordsee voll, weil Reedereien Container zwischenlagern müssen, die sie nicht nach Russland transportieren dürfen. Davon profitieren die Containerterminals. Beim Hamburger Hafen- und Logistikkonzern sprudelt der Gewinn schon länger, weil wegen der Corona-bedingt mehrwöchigen Schiffsverspätungen Container länger im Hafen stehen, für die die HHLA Standgelder kassiert.

In russischen Häfen stehen derweil Zehntausende leere Container ungenutzt herum, die sonst von den Schiffen auf der Rückfahrt mitgenommen werden, wenn ihre Ladung gelöscht ist. Die Container werden wegen der Engpässe andernorts dringend benötigt. 50.000 entfallen allein auf die dänische Reederei Maersk. Die versucht nun, die Stahlboxen mit dem Zug aus Russland herauszuschaffen. Doch auf einen Zug passen je nach Länge 80 bis 100 Container, auf einem Schiff können es leicht 10.000 und mehr sein. Im Westen fehlen unterdessen ukrainische Lkw-Fahrer, weil die im Krieg gegen Russland kämpfen.

Reedereien expandieren

Bei den großen Containerlinien wie MSC aus der Schweiz, der dänischen Maersk-Gruppe, CMA CGM aus Frankreich, der chinesischen Cosco und Hapag-Lloyd mit Sitz in Hamburg klingeln unterdessen die Kassen, weil Transportraum knapp ist und die Frachtraten emporschießen. Die Schifffahrtskonzerne nutzen diese finanzielle Macht, um Spediteuren Geschäft abzusaugen. "Die Spediteure leben davon, dass sie große Mengen an Ladekapazität auf bestimmten Strecken einkaufen und diese kleinteilig und teurer an ihre Kunden weiterverkaufen", beschreibt ein Vertreter einer Linienreederei das Geschäft. "Die brauchen wir im Moment nicht, weil die Nachfrage so groß ist." Das so genannte Arbitrage-Geschäft sei so gut wie tot. "Das machen wir selber, weil daran auch eine Marge hängt", sagt der Insider. "Wir liefern bis an die Haustür."

Ein volles Containerschiff

Auf den großen Frachtschiffen finden etwa 10.000 Container Platz.

Die Reedereien investieren in Fluglinien, Containerterminals und Lkw-Flotten, um ihren Kunden alles aus einer Hand anzubieten: Transporte vom Werkstor bis ins Lager der Abnehmer oder zu den Kunden nach Hause. Weltmarktführer MSC etwa hat zusammen mit der Lufthansa ein Auge auf die italienische Staatsairline ITA geworfen und will ein Luftfracht- und ein Passagiergeschäft aufbauen. Maersk und CMA haben Frachtflugzeuge bestellt. Die Dänen haben mit Maersk Air Freight schon ein Standbein im Luftfrachtgeschäft. Jetzt will der Konzern aus Kopenhagen das Logistikunternehmen Senator International übernehmen, eine große Luftfrachtspedition aus Hamburg mit weltweit rund 2.000 Mitarbeitern.

Der weltgrößte Onlinehändler Amazon will ebenfalls groß ins Frachtgeschäft einsteigen und gräbt den Speditionen seinerseits Geschäft ab. Medien berichteten unlängst, der US-Konzern wolle Kapazitäten in Containerschiffen und Frachtflugzeugen buchen. Der Logistikkonzern Kühne und Nagel hat bereits alle Spielarten von der Luft- über die Seefracht bis zum Transport auf Land im Angebot. Das Schweizer Transportunternehmen sieht die Auswirkungen der Krisen auf die Logistikketten weniger dramatisch als andere. "In der Luftfracht musste in den vergangenen Wochen viel umorganisiert werden, weil der russische Luftraum für westliche Airlines geschlossen ist. Die Flieger brauchen jetzt länger, um von oder nach Asien zu kommen", sagt Sprecher Dominique Nadelhofer. Insgesamt sorge die Branche aber dafür, dass die Ware an ihr Ziel komme.

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