Was das Aus für Nord Stream 2 bedeutet
Olaf Scholz hat Nord Stream 2 wegen der Entsendung russischer Truppen in die Ukraine auf Eis gelegt. Am Dienstag verkündete er, dass der Zertifizierungsprozess der im Herbst vergangenen Jahres fertiggestellten Pipeline ausgesetzt werden soll.
Mit dem Bau der Pipeline, die das russische Ust-Luga direkt mit Deutschland verbindet, wurde 2018 begonnen. Sie verläuft über den Großteil der Strecke parallel zur 2011 in Betrieb genommenen Nord Stream Pipeline und hat mit 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr auch das gleiche Volumen. Insgesamt hat das Projekt etwa elf Milliarden Euro gekostet.
An der Finanzierung von Nord Stream 2 waren fünf europäischen Energiekonzerne mit je etwa 950 Millionen Euro beteiligt, darunter auch die österreichische OMV. Sollte das Projekte dauerhaft begraben werden, hieße das für die Unternehmen schlimmstenfalls buchstäblich in der Ostsee versenkte Milliarden. In den Aktienkursen der Unternehmen wirkt sich das mit Stand Dienstagnachmittag nicht merklich aus.
Wichtigster Lieferant
Russland ist Europas wichtigster Erdgaslieferant und ist etwa für die Hälfte des Importvolumens verantwortlich (siehe Grafik). Dass Europa von heute auf morgen darauf verzichten könnte, ist keine realistische Option, denn die anderen Lieferanten könnten den Ausfall nicht ersetzen.
Bisher hat Russland seine Lieferverpflichtungen stets eingehalten – auch während des Kalten Krieges. Im vergangenen Jahr waren die Europäer allerdings vor den Kopf gestoßen, denn Gazprom weigerte sich weitgehend, zusätzliche Mengen zu liefern, obwohl die Preise in Europa hoch und Kapazitäten in den Pipelines frei waren. Verstanden wurde das als Druck auf die Zulassung von Nord Stream 2. Russland hat in Europa zwar einen stabilen Abnehmer, verkauft inzwischen aber auch vermehrt Gas nach Asien.
Nicht gleich kalt, aber teurer
Analysten zufolge sollten die europäischen Gasvorräte bis zum Ende des Winters reichen. In Österreich sind die Gasspeicher laut der Regulierungsbehörde E-Control jedenfalls ausreichend gefüllt, den Bedarf der Haushalte deutlich über die Heizperiode hinaus abzudecken. Allerdings müssen sie im Sommerhalbjahr auch wieder aufgefüllt werden. Ohne ausreichende russische Gaslieferungen wird das nicht gehen.
Russland hat seit Monaten auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gedrängt und dabei auch zusätzliche Gaslieferungen in Aussicht gestellt. Dass die Absage an das Projekt von Scholz Russland dazu verleitet, Europa mehr Gas zu liefern, kann man daher getrost bezweifeln. "Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2.000 Euro pro 1.000 Kubikmeter Gas zahlen werden", kommentierte der frühere russische Ministerpräsident und jetzige Vize-Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates von Russland, Dmitri Medwedew auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.
Der europäische Gasmarkt reagiert sehr sensibel auf Nachrichten aus Russland, die Sorge um eine Knappheit heizt die Preise an. Nach Einschätzung von Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, ist ein Energiepreis-Schock auch ohne russischen Lieferstopp möglich. Am Dienstag stieg der richtungweisende Terminkontrakt (Großhandelspreis) um rund 12 Prozent auf 80,7 Euro je Megawattstunde.
Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält steigende Preise für wahrscheinlich. Er betonte, Deutschland müsse sich von der "Preis- und Kriegstreiberei" anderer Länder unabhängig machen. Eine Möglichkeit dazu sieht er im Ausbau erneuerbarer Energieträger.
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