Währungsexperte: "Der Euro wurde zerschmettert"

Währungsexperte: "Der Euro wurde zerschmettert"
Der Wechselkurs des Euro dürfte auf Gleichstand zum Dollar fallen – und sogar noch tiefer.

Euro in Dollar umrechnen könnte bald sehr einfach sein: Noch vor Jahresende werde der Kurs die Parität (ein Umtauschverhältnis 1:1) erreichen, erwartet Jens Klatt, Chefökonom von DailyFX, das zum börsenotierten Onlinebroker FXCM gehört. "Im Oktober wurde der Euro förmlich zerschmettert."

Der Grund für das Schwächeln der Währung: Die Wirtschaft und die Zinsen entwickeln sich in den USA und Europa stark auseinander. Die US-Notenbank Fed dürfte im Dezember die Zinsen anheben, im Euroraum ist davon noch viele Jahre keine Rede. Im Gegenteil: Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), hat jüngst eine weitere Ausweitung der Geldschwemme angedeutet (der KURIER berichtete). Das stärkt den Dollar und schwächt den Euro. "Eventuell beschleunigt sich mit dem Terror in Paris der Wille der EZB, eher früher als später aktiv zu werden", sagt Klatt im Gespräch mit dem KURIER. Der Euro könnte somit gegen Ende 2015 unter den Dollar-Gleichstand fallen – und tiefer: "Danach wäre in den nächsten zwölf Monaten sogar ein Stand von 0,95 oder 0,90 Dollar realistisch." Das wäre ein 13-Jahres-Tief, so tief lag der Euro-Wechselkurs zuletzt vor Einführung des Bargeldes.

Währungsexperte: "Der Euro wurde zerschmettert"

"Hausfrauen-Trade"

Sogar den Währungsexperten stimmt freilich skeptisch, wie vorhersehbar das ist: "Eigentlich ist das ein Hausfrauen-Trade." Damit ist eine Wette gemeint, die wie eine sichere Bank wirkt. Draghi habe klar gezeigt, wofür er stehe: "Den Euro so lang zu drücken, bis es keine Schwierigkeiten mit der Peripherie mehr gibt – koste es, was es wolle."

Die Schuldenkrise hält der Analyst nur für aufgeschoben. So seien Italiens Schuldenprobleme nicht gelöst – eine Pleite der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft würde Lehman Brothers zum "Kindergeburtstag" degradieren.

Währungsexperte: "Der Euro wurde zerschmettert"
Jens Klatt, Chefanalyst bei DailyFX Deutschland, Autor des deutschsprachigen Trading-Bestsellers "Forex Trading". Interview anlässlich FXCM-Konferenz in Wien, 6. 11. 2015
Ein Schreckensszenario, das kaum jemand auf der Rechnung hat. Woher sollte der Funke kommen? Schließlich sind für die Euro-Problemländer die Zinskosten dank der EZB-Aktionen gering wie nie. Klatt will aber Signale erkennen, dass die EZB Probleme habe, ihre Anleihenkaufziele zu erfüllen und das Spektrum auf weitere Papiere erweitern wolle. Und außer der EZB gebe es momentan kaum Käufer für Staatsanleihen. Die Aktien profitieren vom billigen Geld. "Der Oktober war für den deutschen Leitindex DAX der beste Monat seit 2011." Klatt hält eine Jahresendrallye deutlich über 11.000 Punkte für möglich. "Man scheint im Markt Unterstützung von allen Seiten im Kampf gegen den Terror zu erwarten." Das betreffe auch die Stabilisierung der Wirtschaft. Der Start ins Jahr 2016 könnte dafür weniger solid ausfallen als heuer.

Frankenkredite

Für jene Österreicher, deren Fremdwährungsschulden parallel zum Schweizer Franken gestiegen sind, hat Klatt wenig Trost. Viele Kredite wurden bei 1,45 bis 1,55 Franken je Euro abgeschlossen. Die Chance, dass diese Kursstände erreicht werden, sei gering: "Wenn, dann nur auf sehr lange Zeit." Der Franken gelte als sicherer Hafen, der in turbulenten Zeiten angelaufen werde. Diese Geldzuflüsse treiben aber den Wert der Währung hoch – schlecht für Schweizer Exporteure und Frankenkreditnehmer im Ausland.

Jens Klatt ist Chefökonom von DailyFX, der Research-Abteilung des Onlinebrokers FXCM (Forex Capital Markets), und war für eine Investorentagung in Wien. Solche Handelsplattformen ermöglichen es privaten Spekulanten, hochriskante Währungswetten einzugehen – unter anderem mit Differenzkontrakten, bei denen der Wetteinsatz vervielfacht wird. Dieser Hebel kann nicht nur zu Totalverlusten des Kapitals führen, sondern auch Nachschusspflichten auslösen, die Investoren um Kopf und Kragen bringen.

Und nicht nur sie – 2015 war für viele Broker ein Horrorjahr: Die überraschende Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im Jänner 2015, die Obergrenze des Frankenkurses aufzuheben, traf viele Zocker auf dem falschen Fuß. Sie verzeichneten Verluste in Millionenhöhe - und mit ihnen etliche kleinere Broker, die bankrott gingen und zusperren mussten. FXCM, nach Eigenangaben mit 220.000 Kunden und 7 Billionen US-Dollar Handelsvolumen (2014) einer der größten Player, konnte sich durch einen eilig abgeschlossenen Notkredit retten. Die FXCM-Aktie, die an der New Yorker Börse notiert, hat seit Jahresbeginn allerdings fast 95 Prozent ihres Wertes eingebüßt.

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