"Nullzinsen schaffen Wachstum? Ein Irrglaube"

Radikale liberale Ansichten: Charles Gave (GaveKal Research)
Vermögensberater Gave: Warum die Notenbanken falsch liegen - und ein gefeuerter Beamter drei neue Jobs schafft.

Die Notenbanker sind völlig auf dem Holzweg: Davon ist Charles Gave, Gründer der Beratungs- und Vermögensverwaltungsfirma GaveKal, felsenfest überzeugt. "Sie glauben, niedrige Zinsen schaffen Wachstum. Das ist aber ein religiöser Irrglaube", sagte der Franzose im Gespräch mit dem KURIER. Vielmehr würden dadurch Geldströme und Investitionen falsch gelenkt. Dadurch sinke die Produktivität und in der Folge das Wachstum.

Und was ist mit dem Argument, das Zinstief soll die drohende Deflation (dauerhaft fallende Preise) abwehren? Die Notenbanken könnten gar nicht für steigende Preise sorgen, glaubt Gave, der auf Einladung der Bank Gutmann in Wien war. Sie würden zwar Unmengen Geld in den Markt pumpen, zugleich falle dessen Umlaufgeschwindigkeit aber "wie ein Stein". Was sich neutralisiert. Gave hält freilich die bei Notenbankern gefürchtete Deflation sogar für den Normalfall im Kapitalismus: Schließlich strebe doch jeder Unternehmer danach, dass seine Produkte besser und billiger werden.

Fehlkreation Euro

Wie erklärt er sich dann die jahrzehntelangen Phasen mit stabil positiven Teuerungsraten? Dafür seien hohe Staatsausgaben verantwortlich gewesen, entweder in Kriegszeiten oder zuletzt im Kampf gegen die Armut. Die Notenbanker nennt Gave "Kreationisten": Sie würden an eine quasi göttliche Schöpfung aus dem Nichts glauben.

Es ist die Gretchenfrage, an der sich seit jeher die politischen Geister scheiden: Was ist für Wachstum entscheidend? Dass die Konsumenten Geld in der Tasche haben (die Nachfrage)? Oder sind es Unternehmen mit attraktiven Produkten (das Angebot)? Gave bezeichnet sich als "Darwinisten": Wachstum kommt für ihn einzig und allein durch Innovation zustande. "Kreative Zerstörung" im Sinne von Joseph Schumpeter.

Der aufgeblähte Staat und die hohen Schulden sind für den Anlageexperten hingegen das Grundübel. Den Euro sieht er über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt – Europa sei keine Nation und werde in den nächsten 500 Jahren auch keine werden.

Defensive aufs Feld

Die Regierungen sollten sich an der Schweiz oder Großbritannien orientieren. Dort stutzt Premier Cameron den Staatsapparat radikal zurück. Gave ist überzeugt: Drei neue Arbeitsplätze entstehen, wenn man einen Beamten rausschmeißt. "Das lässt die Nachfrage kollabieren? Aber wo! Diese Menschen machen endlich was Sinnvolles." Den "Brexit", den Austritt aus der EU, hält er für fast unvermeidlich: "Müssen sich die Briten zwischen Brüssel und Demokratie entscheiden, werden sie Demokratie wählen." Um den Finanzplatz London sorgt sich Gave, der in Hongkong lebt und arbeitet, dennoch nicht. Frankfurt sei keine Alternative: "Die Deutschen sind gute Industrielle, aber keine Financiers. Dafür nehmen sie Geld viel zu ernst." London, New York, Hongkong: Alle großen Geldzentren hätten Briten gegründet. Bei seinen Anlagetipps nimmt Gave Anleihen beim Football: Jetzt sei der Zeitpunkt, die Defensive aufs Feld zu schicken – also sich abzusichern. In einem Deflationsumfeld solle man auf Aktien setzen, die bei sinkenden Preisen höhere Umsätze erzielen, etwa im IT-, Gesundheits- oder Tourismusbereich. Ausbalancieren würde der Profi sein Portfolio mit langlaufenden US-Staatspapieren (30 oder 40 Jahre), auch als Nullkuponanleihen. Deren Kursanstieg sollte helfen, einen möglichen Börseneinbruch auszugleichen.

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