Wachstum im Osten unter Druck, Russland profitiert vom Rüstungsboom
Die 23 Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas geraten zunehmend unter Druck. Im zweiten Quartal schrumpfte nicht nur die Wirtschaft in Österreich, oder in Deutschland, sondern etwa auch in Polen, Ungarn und Tschechien. Im gesamten Jahr 2023 erwartet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) für die EU-Mitglieder in der Region im Durchschnitt ein Wachstum von 0,6 Prozent, was in etwa den Erwartungen für die gesamte Eurozone (0,5 Prozent) entspricht.
"Der traditionelle Wachstumsvorsprung der Ostmitteleuropäer gegenüber Westeuropa dürfte damit in vielen Ländern zumindest für den Moment dahin sein", sagt Branimir Jovanović, Ökonom am wiiw und Hauptautor der Herbstprognose. Gründe sind die Rezession in Deutschland, ein sich eintrübendes internationales Umfeld, die hohe Inflation und die Straffung der Geldpolitik als Reaktion darauf.
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Russland und Ukraine
In der Ukraine kommt es trotz des Krieges zu einer leichten Erholung (+3,6 Prozent). Die Wirtschaft des Landes habe die russische Invasion besser verkraftet als zunächst angenommen.
Trotz der russischen Schwarzmeerblockade und dem Bombardement von Getreidespeichern und Verladehäfen an der Donau nach dem Ende des Getreideabkommens stiegen die Exporte landwirtschaftlicher Produkte von Juli bis August um 16%. Aber die Risiken nehmen zu. „Das Importverbot für ukrainisches Getreide durch Polen und Ungarn ist ein ernstes Zeichen für die zunehmende Spaltung der EU in Bezug auf weitere Ukraine-Hilfen“, sagt Olga Pindyuk, Ukraine-Expertin des wiiw.
„Angesichts der hohen Kriegskosten, die 2023 für ein Budgetdefizit von 27% des BIP sorgen, wäre jede Kürzung der westlichen Hilfsgelder für die Ukraine verheerend“, warnt Pindyuk
Demgegenüber kann Aggressor Russland seine Wirtschaftsleistung vor allem aufgrund der Rüstungsindustrie um 2,3 Prozent steigern. "Die enorme Erhöhung der Militärausgaben befeuert einen Rüstungsboom, der gemeinsam mit stark steigenden Reallöhnen aufgrund des akuten Arbeitskräftemangels die Konjunktur nach oben zieht", analysiert Vasily Astrov, Russland-Experte des wiiw. Die Arbeitslosigkeit ist derzeit auf einem Rekordtief.
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Die Sanktionen funktionieren dabei scheinbar nur bedingt: "Russland beschafft sich alle für seine Rüstungsindustrie notwendigen Hightech-Bauteile aus dem Westen mittlerweile über Drittstaaten", sagt Astrov. Abseits der Rüstungsindustrie geht sich das aber nicht aus, was laut Astrov mittelfristig zu einer Primitivisierung der russischen Wirtschaft führen könnte.
Die Kriegskosten werden Russland nach Einschätzung des WIIW allerdings nicht aufhalten. Das daraus resultierende Budgetdefizit von 2,5 Prozent sei noch lange finanzierbar. Die Ukraine, andererseits, gibt mehr als ein Viertel ihrer Wirtschaftsleistung für den Krieg aus und ist somit jedenfalls auf westliche Hilfsgelder angewiesen.
Ausblick
Im Jahr 2024 soll es für die EU-Länder in Osteuropa mit einem durchschnittlichen Wachstum von 2,5 Prozent stärker bergauf gehen. In Anbetracht der volatilen internationalen Situation ist aber auch die Gefahr einer längeren Stagflation in der Region nicht gebannt, warnt das WIIW.
Die Inflation hat ihren Höhepunkt überschritten, dürfte allerdings auf absehbare Zeit hoch bleiben. Dafür spricht, dass die Kerninflation (ohne die schwankungsanfälligen Gruppen Energie und Lebensmittel) in den meisten Staaten inzwischen höher ist, als die gesamte Teuerungsrate. Trotzdem könnten die hohen Lebensmittelkosten in weniger wohlhabenden Staaten noch zu sozialen Verwerfungen führen.
Die Unternehmen haben durch die höheren Preise Rekordgewinne eingefahren. Sollten sie auf den heuer erwarteten Anstieg der Reallöhne wiederum mit Preisteigerungen reagieren, könnte auch das zu einer Verfestigung der Inflation führen, warnt das WIIW.
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