Nino Angelo Stursa (33), begann 2004 als Lehrling in der Gastronomie. Als er gleich zu Beginn der Corona-Pandemie seinen Job als Kellner verlor, zögerte er nicht lange. „Ich hab nebenbei schon immer gerne Apps programmiert. Bin daher gleich zum AMS und hab gefragt, ob ich eine Ausbildung machen kann“, erzählt Stursa dem KURIER.
Nach einem halbjährigen Programmierkurs beim bfi Wien dauerte es nicht lange und Stursa wurde als Junior Developer eingestellt. „Wir waren im Lockdown von der Arbeit quasi ausgeschlossen, da haben sich viele umorientiert“, weiß Stursa. Er sei jetzt 33 und werde auch mal eine Familie haben, „da ist ein Job in der IT sicherer als in der Gastronomie“.
Auch der ehemalige Oberkellner und stv. Restaurantleiter Kostjantyn Lytwynenko lässt sich gerade zum Software-Entwickler umschulen und will in der IT-Branche neu durchstarten. „Ich habe ein Kind und da denkt man anders über einen Gastro-Job“, sagt er. Zurückkehren möchte er nicht mehr, „aber gut zu wissen, dass man es jederzeit könnte“.
Personalflucht
Wie die beiden Kellner, so haben sich im Tourismus während der Pandemie Tausende beruflich umorientiert, das zweite Standbein zum ersten gemacht oder eine neue Qualifikation erlernt. Schätzungen gehen von bis zu 20.000 Branchenwechslern aus. Das AMS bot mit der Corona-Job-Offensive Umschulungen an, viele Tourismus-Beschäftigte nahmen Corona-Jobs an, ließen sich zur Pflegekraft ausbilden oder kamen wie Stursa in der IT-Branche unter. Auch Verkaufs- und Bürojobs wurden aufgenommen, ein Teil machte sich selbstständig. Und ausländische Arbeitskräfte suchten sich während der Pandemie in ihrem eigenen Land einen Job.
Neueinsteiger fehlen
Der Tourismus, besonders die Gastronomie, hat nun ein veritables Personalproblem. Je nach Betrachtungsweise fehlen zwischen 25.000 und 35.000 Arbeitskräfte. Beim AMS sind 15.000 offene Stellen verfügbar, etwa doppelt so viele wie 2019. AMS-Vorstand Johannes Kopf relativiert aber die Zahlen. Einen Personal-Exodus größeren Ausmaßes kann er nicht bestätigen. Tatsächlich lagen die Beschäftigungszahlen im April nur noch um 4.000 unter dem Vorkrisenniveau.
Im Tourismus gäbe es traditionell eine sehr hohe Fluktuation, es werde quasi permanent Personal gesucht. Dazu kommt: Jeder Vierte ist in der Gastronomie nur geringfügig angestellt. Nach einem Jahr verlassen gut 30 Prozent der Beschäftigten die Branche wieder und neue werden aufgenommen. Vor der Pandemie gingen pro Jahr 40.000 Arbeitskräfte in den Tourismus, 2020 und 2021 waren es halb so viele. „Diese Neueinsteiger gehen jetzt ab, es fehlen quasi zwei Jahrgänge“, erläutert Kopf. Um die Fluktuation zu verhindern, hätten die Betriebe in der Pandemie Personalbehalte-Pakete schnüren müssen. Schwierig, denn die Branche war am stärksten von den Corona-Maßnahmen betroffen.
Beschäftigungsrekorde
Weil derzeit alle gleichzeitig suchen, ist der Fachkräftepool im Inland fast leer gefegt. Im Mai gab es die niedrigste Arbeitslosenrate seit 14 Jahren, in einigen Bundesländern wird wieder die „Vollbeschäftigung“ ausgerufen.
Wie die Statistik zeigt, liegen die Personalstände zumeist sogar über dem Stand von 2019. Am meisten neue Jobs entstanden pandemiebedingt im Gesundheits- und Sozialbereich, im Handel, wo es die meisten offenen Stellen gibt, und in der Baubranche. Auch die Industrie ist trotz Unkenrufen über Vorkrisenniveau. Weniger Personal haben Transportbranche und Finanzsektor (siehe Grafik oben).
Als Gründe für den Jobboom nennt Kopf zum einen die Nachzieheffekte nach der Pandemie mit einem Turbowachstum im ersten Quartal, das stetige Bevölkerungswachstum und das noch Ausbleiben der negativen Effekte durch den Ukraine-Krieg. Knapp 5.000 ukrainische Staatsbürger wurden inzwischen vom AMS vermittelt, zum Großteil Frauen. Im Tourismus kamen nur wenige unter, so Kopf, auch wegen der für Mütter mit kleinen Kindern ungünstigen Arbeitszeiten.
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