Volkssport Skifahren: Österreichischer Mythos oder Realität?

Der Osten Österreichs startet in die Semesterferien und aus Peking erreichen uns in Echtzeit die Bilder der Olympischen Winterspiele. Den gängigen Klischees nach, ist der typische Österreicher damit im Freizeitstress.
Es zieht ihn auf die Piste – Skifahren ist schließlich Volkssport Nummer eins. Genauso wie das Anfeuern rotweißroter Athleten bei allen Sportarten, die mit Schnee zu tun haben. In Sachen Wintersport haben die Österreicher schließlich ein Wörtchen mitzureden. Als Aktiv- und Passivsportler. Oder?! Der KURIER hat nachgefragt, was wirklich noch an diesem Klischee dran ist.
Aus Sicht des Tourismus- und Freizeitforschers Peter Zellmann nicht viel. "Die Zahl jener, die nie Skifahren gehen, ist binnen 30 Jahren um 50 Prozent gestiegen", sagt Zellmann. Demnach sind mehr als 60 Prozent der Österreicher keine aktiven Skifahrer mehr, in den 1990er Jahren lag die Quote noch bei 40 Prozent.
Skifahrer
In der Wintersaison 2019/20 haben Österreichs Seilbahnen 511 Millionen Kunden transportiert.
Winterurlauber
Rund zwei Drittel der Gäste kommen zum Skifahren nach Österreich. Dabei werden jährlich über 50 Millionen Skitage erzielt, das entspricht einem Sechstel des Weltmarktes.
5,7 Millionen
Gästenächtigungen wurden vorige Wintersaison (November 2020 bis April 2021) gezählt. Das waren laut Statistik Austria um 90,7 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dass es trotz Lockdown überhaupt Nächtigungen gab, lag an den Ausnahmeregelungen – etwa für Kuraufenthalte oder Geschäftsreisen.
225,7 Euro am Tag
gibt ein Skiurlauber statistisch gesehen aus. Davon entfällt ein Drittel auf die Beherbergung, 15,5 Prozent auf die Seilbahnen, 15 auf die Gastronomie und 14 Prozent auf den Transport (Zahlen aus 2018/’19). Im Durchschnitt geben Winterurlauber mehr Geld aus als Sommerurlauber.
Seilbahnen
Die Kassenumsätze lagen 2019/’20 laut Branchenangaben bei 1,412 Milliarden Euro. In den vergangenen zehn Jahren hat die Seilbahnwirtschaft zehn Milliarden Euro investiert, 1,4 davon in die Schneesicherheit. Von 23.700 Hektar Pistenfläche sind aktuell 70 Prozent beschneibar.
Klingt dramatisch für die Wintersportorte, ist aber relativ. Denn der klassische Ski-Urlaub war von jeher ein Oberschichtenprogramm, sagt der Freizeitforscher: "Es war immer das oberste Einkommensdrittel, das sich einen Skiurlaub geleistet hat und dieses Drittel ist von der aktuellen Entwicklung völlig unbeeindruckt." Sprich, die Oberschicht gönnt sich den Ski-Urlaub. Komme, was wolle. Nicht nur in Österreich, auch in wichtigen Herkunftsmärkten wie Deutschland.
Milliarden-Geschäft
Das belegen auch die Zahlen der Seilbahnwirtschaft. Macht den Liftkaisern nicht gerade die Pandemie einen Strich durch die Rechnung, ist in deren Umsätzen von einer sinkenden Zahl an Skifahrern nichts zu bemerken. Im letzten "normalen" Winter, also in der Saison 2018/2019 und damit vor Corona, zählten die Seilbahner mehr als 54 Millionen Ersteintritte auf ihren Pisten (genannt Skier Days).
Das hat sich in einem Kassenumsatz von 1,545 Milliarden Euro niedergeschlagen. Dazu kommen die Ausgaben entlang und abseits der Piste – in Summe mehr als 11 Milliarden Euro, hat das Manova-Institut in einer Wertschöpfungsstudie im Auftrag der Seilbahnwirtschaft errechnet. Demnach gibt der typische Winterurlauber exakt 225,70 Euro pro Tag aus, den größten Teil davon (33 Prozent) für die Unterkunft.
Die Ski-Urlauber kommen also weiterhin. Im Gegensatz zu den Tagesgästen.
"In den 1970er Jahren haben 15 Prozent der Wiener Familien Ski-Ausflüge in die Umgebung gemacht. Es war selbstverständlich, dass Kinder mit den Skibussen rausgefahren sind und dann von der Bushaltestelle noch eine Viertel Stunde bis zum Lift gegangen sind“, erinnert sich Zellmann. Solche Ausflüge sind heute ein Minderheitenprogramm. Viele kleine Liftanlagen haben für immer geschlossen – mangels Schneesicherheit und Kundschaft. "Daran ändern auch die Bilder von überfüllten Parkplätzen am Stuhleck nichts", sagt Zellmann. Es handle sich dabei schließlich um Momentaufnahmen, gemacht an wenigen Wochenenden im Jahr.
Keine Preisfrage
Das Argument, dass Skifahren für Otto-Normalverbraucher schlicht zu teuer ist, lässt der Freizeitforscher aber nicht gelten. Auch wenn das Tagesticket für Erwachsene in der Region Ski Amade oder am Arlberg 61 Euro kostet. "Wer es sich vor 30 Jahren leisten konnte, Skifahren zu gehen, kann es sich auch heute leisten.“ Das würde die Statistik belegen.
Während sich die Haushaltseinkommen demnach binnen der vergangenen drei Dekaden in etwa verdoppelt haben, sind die Kosten für einen Ski-Urlaub deutlich moderater gestiegen, sagt Zellmann. Was aber nichts daran ändere, dass viele ihr Geld lieber für anderes ausgeben.
"Das Erlebnis Winter ist nicht mehr ausschließlich Skifahren“, bringt es Zellmann auf den Punkt. "Die Menschen gehen auch im Winter wandern, laufen und mountainbiken – und geben ihr Geld für entsprechende Ausrüstungen aus." Von Alternativen wie diversen Streaming-Diensten ganz zu schweigen. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen."
Schulskikurse
Auch nicht mit verpflichtenden Schulskikursen, wie es sie noch in den 1980er Jahren gegeben hat und die sich manche Lobbyisten sehnlichst zurückwünschen. „Warum sollte eine Schulskiwoche wieder Teil des Lehrplans sein, wenn die Städter ohnehin keine Möglichkeit haben, in der Nähe Skifahren zu gehen“, fragt Zellmann.
Am 5. Februar 1976 war Österreich übrigens in einem quasi historischen Skifieber. Der damals 22-jährige Franz Klammer hat bei den Olympischen Spielen in Innsbruck Gold für Österreich geholt, was das halbe Land in einen Siegestaumel versetzt hat. Können solche Skihelden heute eigentlich noch Lust aufs Skifahren machen? Zellmanns Antwort fällt ernüchternd aus: „Nein. Die Strahlkraft solcher Idole ist seit den 1970-er Jahren verblasst, in den 1980-er Jahren ausgeklungen. Heute spielen sie keine Rolle mehr, wenn es um die Motivation geht, eine bestimmte Sportart zu erlernen.“
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