Die Hauptversammlung (HV) ist das wichtigste Organ einer Kapitalgesellschaft. Einmal im Jahr müssen Aufsichtsrat und Vorstand Rede und Antwort stehen und werden für ihre Tätigkeit entlastet – oder nicht. Oft entwickeln sich harte Diskussionen, wenn Aktionäre die Strategie hinterfragen, die Gagen der Manager für nicht angemessen halten oder, wie in den letzten Jahren zunehmend, auf mehr Nachhaltigkeit pochen.
Mit der Pandemie erlaubte die Regierung im Gesellschaftsrechtlichen Covid-19-Gesetz erstmals die Abhaltung im Netz. Ende 2022 verlängerte die grüne Justizministerin Alma Zadic das Provisorium um ein halbes Jahr.
Modernisierung
Grundsätzlich sind sich alle Beteiligten einig, dass der Ablauf von HV modernisiert werden soll, aber über das Wie wird heftig gestritten und lobbyiert. Der Gesetzesentwurf für eine neue, dauerhafte Lösung liegt noch nicht vor, doch im Frühjahr beginnt schon die nächste HV-Saison.
Der Interessenverband für Anleger (IVA) plädiert für ein hybrides Modell. „Die Präsenz-Veranstaltung muss für alle börsenotierten Publikums-AGs die Basis sein, zusätzlich kann die HV ins Internet übertragen werden“, fordert IVA-Vorstand Florian Beckermann. Die Teilnahme an den digitalen HV 2020 und 2021 sei katastrophal gewesen, das Resümee privater Aktionäre sei „vernichtend“, warnt Beckermann vor „Zwangs-Virtualisierung“ und „Flucht ins Internet“.
Die Aktionäre müssen ihre Fragen vorher einreichen, Redezeiten werden oft beschränkt, unangenehme Fragen abgedreht, Nachfragen ist nicht möglich. Eine Notgesetzgebung könnte nun ohne Rücksicht auf die pandemische Lage zum „willkürlich gehandhabten Aktionärsausschuss“ genutzt werden. (Beckermann). Ältere, nicht so digital-affine Aktionäre, würden zudem benachteiligt.
Karl Fuchs, Geschäftsführer des Aktienforums, meint dazu, Österreich müsse bei Digitalisierungsbestrebungen im Gesellschaftsrecht am Puls der Zeit bleiben und „darf international keine Sonderrolle einnehmen“. Aktionärsrechte dürften dabei nicht eingeschränkt werden. Der Chef des industrienahen Lobbying-Vereines versteht nicht, warum die Grünen bei der virtuellen HV ebenso wie bei der Reform der Wertpapier-KESt „auf der Bremse stehen“. Wo doch grünaffine Wähler im Kapitalmarkt eine Riesenschance sähen.
Harald Hagenauer, Chef des CIRA (Cercle Investor Relations Austria), plädiert für Wahlfreiheit. „Es ist klar, dass eine Aktionärsversammlung in 10 Jahren nicht mehr so ablaufen wird wie in den letzten 25 Jahren, wir sollten rechtlich die Möglichkeiten dazu schaffen“. Die Unternehmen sollten die Wahlfreiheit in ihrer Satzung (Gesellschaftsvertrag des Unternehmens) verankern können. Für die jeweilige Veranstaltung könnten dann Vorstand und Aufsichtsrat entscheiden.
Freilich kann damit die Notwendigkeit einer Präsenzversammlung ausgehebelt werden. Die Covid-HV hätten gezeigt, dass neue, digital-affine Aktionäre aufgetreten seien, mit Interesse an grünen, nachhaltigen Themen, sagt Hagenauer. In einer ersten Umfrage hätte jedoch die Mehrheit der Unternehmen für die Präsenz optiert.
Wienerberger-Chef skeptisch
Wienerberger-Chef Heimo Scheuch möchte jedenfalls keine virtuelle HV mehr abhalten und lehnt eine Übernahme ins Dauerrecht grundsätzlich ab, schrieb er in einem Aktionärsbrief. „Ein authentischer und konstruktiver Austausch mit all unseren Aktionären muss ohne Zwang zur digitalen Teilnahme stattfinden können“. Wienerberger hat an der Wiener Börse den größten Anteil an Streubesitz.
Der Kartonhersteller Mayr-Melnhof und der Mischkonzern Frauenthal dagegen beriefen im Dezember 2022 schnell eine außerordentliche HV ein und änderten ihre Satzung. Damals wusste man noch nicht, dass das Provisorium verlängert würde.
HV ohne Barrieren
Für das Justizministerium ist die „Wahrung von Minderheiten- bzw. Kleinanlegerrechten zentral“. Die Teilnahme an einer HV müsse „einfach und frei möglich sein, ohne vermeidbare technische Barrieren“. Einem noch größeren Personenkreis solle ermöglicht werden, sich aktiv zu beteiligen. „Auch die Ausübung des Frage-, Antrags- und Stimmrechts muss sichergestellt werden. Personen, die nicht technik-affin sind, müssen Möglichkeiten haben, ihre Rechte wirksam ausüben zu können“, erklärt ein Zadic-Sprecher. Daher müsse eine Übernahme ins Dauerrecht sorgsam abgewägt werden, derzeit führe man mit der ÖVP konstruktive Gespräche.
In Deutschland ist die Digitalisierung bereits Gesetz, doch es gibt viel Kritik. 17 DAX-Konzerne kündigten kürzlich an, ihre Aktionärstreffen auch 2023 digital abzuhalten.
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