Glauben Sie auch, dass die ersten kleinen Verbesserungen im Umgang mit den Gastarbeitern, von denen Tausende beim Bau der Stadien gestorben sein sollen, von Dauer sein werden?
Wenn es Katar auch um „Soft Power“ geht, also aus eigenen Sicherheitsinteressen auf dem Radar der Weltöffentlichkeit zu bleiben, dann bedeutet das zugleich, sich der Aufmerksamkeit nicht entziehen zu können, ob die eingeleiteten Reformen Bestand haben. Dann könnte diese WM einen Beitrag zu einem positiven, nachhaltigen Wandel leisten. Es wäre mit einem enormen Reputationsschaden für das Land verbunden, wenn beispielsweise hinsichtlich der Gründung von Gewerkschaften die Zeit wieder zurück gedreht würde.
Katar ist über die letzten Jahre zu einem Big Player im Sportbusiness aufgestiegen – vor allem im Fußball von Paris Saint-Germain bis zum Sponsoring von Bayern München. Welche wirtschaftliche Bedeutung hat jetzt die WM in dem Emirat?
Kurzfristig kommen die Effekte vor allem aus den Baumaßnahmen, denn nahezu die gesamte Infrastruktur musste neu errichtet werden. Hinzu kommt die touristische Nachfrage und als dritter Faktor die Ausgaben aus dem Veranstaltungsbudget. Würde die Veranstaltung im Sommer stattfinden, würde auch in Österreich das immer wichtiger werdende Public Viewing profitieren.
Und längerfristig?
Da lauten die beiden entscheidenden Fragen, wie zum einen die Nachnutzungskonzepte für die Stadioninfrastruktur aussehen und wie viel zum anderen in die Verkehrs- und Breitbandinfrastruktur investiert wurde.
Konnten auch österreichische Firmen ein Stück vom großen Kuchen ergattern?
Ja, wenn auch relativ wenig im Vergleich zu früheren Groß-Events in Europa. Das spielt sich unserer Schätzung nach im zweistelligen Millionen-Bereich während des betreffenden Zeitraumes ab. Wir reden hier von österreichischen Bauunternehmen und von Sicherheitsausrüstern.
Autoritäre Regime betreiben gerne „Sportswashing“, sie wollen über Sport-Großveranstaltungen ihr Image aufpolieren. Ist das nicht auch bei Katar die Hauptmotivation? Das Land hat ja keine nennenswerte Fußballtradition ...
Das ist ein relevanter Aspekt. Wie sind Vergabeprozesse in der Vergangenheit abgelaufen? Welche Schlussfolgerungen sind daraus für die Zukunft zu ziehen? Die Prozesse müssen wesentlich transparenter werden und dürfen nicht mehr unter Korruptionsverdacht stehen. Es bedarf der Formulierung nachvollziehbarer Vergabekriterien. Dabei sollte auch die Meinung der Spieler zum Austragungsort einfließen können.
80 Prozent der Einnahmen Katars stammen ja aus dem Gas- und Ölgeschäft. Um den Reichtum des Emirats braucht man sich keine Sorgen machen. Also wird die WM offensichtlich aus rein politischen Gründen in dem Emirat ausgetragen ...
Als sehr kleines Land mit einem hohen Reichtum ist Katar bestrebt, sich international unverzichtbar zu machen. Das weckt immer wieder Begehrlichkeiten, wie seinerzeit bei Kuwait. Hat aber auch schon in positiver Weise funktioniert, etwa in der Vermittlerrolle Katars zwischen den USA und Taliban.
Katar sitzt auf den drittgrößten Erdgasreserven der Welt und liegt auf Platz 13 bei den Ölreserven. Europa ist der größte Importeur von Flüssiggas aus Katar, kritisiert aber gleichzeitig die Zustände im Land scharf. Ist das nicht klassische Doppelmoral?
Das ist Doppelmoral, durchaus! Wir sollten trennen zwischen berechtigter Kritik am Großevent Fußball-WM einerseits und einer Instrumentalisierung des Fußballs andererseits. Die vom Vergabeprozess bis zu den Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien reichende Kritik weist einen unmittelbaren FIFA-WM-Bezug auf. Ich erachte Sie nicht nur für legitim, sondern auch für geboten. Ich halte es allerdings für unzulässig, das westliche Weltbild in Bezug auf andere Kulturen und Religionen auf die WM als Großsportereignis zu projizieren. Beispielsweise haben unzureichende Frauenrechte nichts spezifisch mit Fußball zu tun. Auch der katarische Umgang mit Homosexualität hat nichts mit Fußball zu tun. Hier wird die Bühne der FIFA-WM für andere Zwecke genutzt, so berechtigt die Vorhalte an sich auch sein mögen.
IV-WM-Studio
Der KURIER will die Fußball-WM nicht nur in sportlicher Hinsicht begleiten, sondern in der Berichterstattung um wirtschaftliche Analysen ergänzen. Dazu gibt es auch eine Kooperation mit der Industriellenvereinigung (IV), die ab heute, Samstag, ein eigenes WM-Studio mit ihrem Top-Experten Christian Helmenstein eingerichtet hat und das sportliche Großereignis von Wien aus kommentiert.
Geplant sind Experten-Talks, in denen u.a. interessante Wirtschaftsräume analysiert werden. Im Folgenden das Auftakt-Video, weitere Folgen sind geplant.
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