Irans Nationalteam in Katar: Blutiges Ende einer Liebesbeziehung
Dass sich Alireza Biranvand und Roozbe Cheshmi vor Präsident Ebrahim Raisi verneigten, war eindeutig zu viel. Die vom Nationalteam angenommene Einladung bei der Person, die als Staatschef für Leid und Unterdrückung der iranischen Bevölkerung letztverantwortlich ist, war für viele das endgültige Ende einer großen Liebesbeziehung.
Das iranische Fußball-Nationalteam, „Team Melli“ genannt, galt einst als der Stolz des iranischen Volkes. Es hatte bis dahin die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und Ethnien im Iran miteinander verbunden. Ihm gehörten die Herzen vieler Iraner und Iranerinnen. Vergangene Woche aber brannten Plakate der Nationalelf bei den Aufständen gegen das iranische Regime. Das mit den Herzen scheint Vergangenheit zu sein.
Die Fußballstars hatten sich in den Augen der seit Wochen demonstrierenden Bürger mit dem Besuch im Präsidentenpalast gegen das Volk entschieden. Das Symbol dafür hielt Präsident Raisi bei dem Treffen selbst in der Hand: ein Teamdress mit der Nummer 12. Nicht mehr das Volk sei der „Zwölfte Mann“, sondern der Präsident.
Zum sechsten Mal ist der Iran für eine WM-Endrunde der Männer qualifiziert. Internationale und iranische Aktivisten hatten wegen Menschenrechtsverletzungen vor wenigen Wochen noch den Ausschluss vom Turnier gefordert. Doch die FIFA blieb stumm. Stattdessen schrieb sie einen offenen Brief an alle Teilnehmer-Verbände, sich während des Turniers in Katar auf den Fußball, statt auf Politisches zu konzentrieren.
Iran-Proteste
Auslöser: Am 16. September wurde Mahsa Amini (22) in Teheran verhaftet, weil sie ihren Hidschab nicht korrekt trug. Sie starb in Polizeigewahrsam. Seither gehen immer mehr Menschen im Iran Tag für Tag auf die Straße und demonstrieren gegen das streng religiöse Mullah-Regime.
Fußball
Die sechste WM-Teilnahme und die Spiele gegen Erzfeind USA, England und Wales haben hohen politischen Prestige-Wert für Irans Regime.
Alle Augen waren gespannt auf die Nationalmannschaft gerichtet. Würden sich die Sporthelden, so wie viele andere bekannte Persönlichkeiten, für die Proteste einsetzen? Zunächst war die Hoffnung groß: Stürmerstar Sardar Azmoun von Bayer Leverkusen hatte sich im Rahmen eines Trainingslagers in der Nähe von Wien via Social Media an die Öffentlichkeit gewagt. „Ich kann das Schweigen nicht mehr ertragen“, schrieb er. Sein Profilbild stellte er schwarz und kritisierte Regierung und Sicherheitsdienste. Der Preis für seinen Protest (der mögliche Verlust seines Platzes im Nationalteam) sei ein kleiner gegen den, den die Demonstrantinnen in der Heimat Tag für Tag zahlen müssten, so der Deutschland-Legionär.
Zwar folgten ihm einige Mitspieler, allerdings eher halbherzig. Auch etwa Feyenoord-Spieler Alireza Jahanbakhsh. Viele gingen nicht weiter als das schwarze Profilbild.
Der Grund: Angst. Regimegegner und deren Familienmitglieder sind bis dato zu Zigtausenden verhaftet worden. Ihnen droht die Todesstrafe. Wer im Iran lebt oder Verwandte dort hat, muss mit Kritik vorsichtig sein. Am Trainingslager in Österreich waren ständig Mitarbeiter der Botschaft an der Seite der Sportler. Auch an der Seite des Teams in Katar vermuten Insider die Anwesenheit von Geheimdienst- und Sicherheitsdienst-Mitarbeiter.
Die Nationalspieler Aref Gholami und Sorush Rafiei, die beide in Teheran spielen, haben sich auch für das Volk ausgesprochen – die Konsequenz: Sie wurden nicht in den Kader der WM einberufen. Rafiei wurde in Teheran kürzlich verhaftet, weil er einer Demonstrantin half.
Teure Autos
Ob den Spielern der Nationalmannschaft offen gedroht wurde, ist nicht bekannt. Mit großzügigen finanziellen Zuwendungen (die Spieler sollen teure Autos geschenkt bekommen haben) versucht das Regime aber offenbar, letzte Zweifel zu beseitigen.
Regierung und Fußballbund – geleitet von Mehdi Taj, einem wichtigen Mitglied der Revolutionsgarden – dürften überzeugend sein. Der portugiesische Trainer Carlos Queiroz schweigt bei Pressekonferenzen ebenfalls brav.
Während Regimegegner bei den Protesten und in Gefängnissen starben, ließen sich einige Spieler lachend und jubelnd im Teamdress für den Verband ablichten. Die Fotos werden bei Protesten verbrannt oder online mit Photoshop mit Blutflecken und Sprüchen versehen.
Auch Sardar Azmoun war beim Shooting. Auch er ist in Katar mit dabei. Seit er mit dem Team zusammen ist, hat er nichts Kritisches mehr gepostet. Auf den Topstürmer, der in den vergangenen acht Jahren in 65 Spielen fürs Team 41 Tore erzielen konnte, kann man offenbar nicht verzichten. Denn dabeisein ist für Iran bei dieser WM beim Nachbarn Katar nicht alles. In der Gruppe mit Favorit England und USA und Wales ist das Ausscheiden keine Schande, aber ein Aufstieg ins Achtelfinale nicht unrealistisch – und wäre vor allem gegen Erzfeind USA ein riesiger Prestigeerfolg.
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