Knüppel und Kanonen
Dieser Tage ist der Vulkan auf ein neues explodiert, das Massaker von Aban hat sich gejährt: Vor drei Jahren sind die Benzinpreise über Nacht um 200 Prozent gestiegen, was die Massen zum Protest auf die Straßen getrieben hat. Das Regime reagierte wie gewohnt: Mit Knüppeln und Kanonen. Damals wurde das Internet abgedreht und über 1.500 Menschen wurden innerhalb von drei Tagen getötet.
Die Menschen im Iran vergessen ihre Toten nicht. So wie sie der mehr als 350 Menschen gedenken (darunter über 50 Kinder), die in den vergangenen zwei Monaten ums Leben gekommen sind. Die Zahlen sind sehr wahrscheinlich eine grobe Untertreibung, denn das Regime hat es perfektioniert, Morde zu vertuschen. Totenscheine werden systematisch gefälscht, zu den beliebtesten Todesursachen gehören etwa Fenstersturz, Herzinfarkt oder Medikamentenüberdosis. Ärzten ist es verboten, verletzte Demonstranten zu behandeln. Wer dagegen verstößt, muss selbst mit Haft und Folter rechnen.
Die Familien der Toten werden unter Druck gesetzt, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Wer nicht mitspielt, bekommt die Leiche nicht ausgehändigt. Der Körper wird stattdessen irgendwo anonym verscharrt. Jede Totenfeier artet zu einer großen Protestveranstaltung aus – die Schergen der Mullahs sperren die Straßen ab und schießen mit Tränengas und scharfer Munition auf die Trauernden.
Israel und der Westen
Unterdessen versuchen die Mullahs den Deckel auf dem Vulkan zu halten. In den offiziellen Nachrichten schiebt man die Proteste den Lieblingsfeinden Israel und westlichen Gegnern in die Schuhe und bemüht sich um ein Bild der Stabilität. Die zwei Journalistinnen, die erstmals über den Tod von Jina Mahsa Amini berichtet haben, sind wegen Spionage angeklagt.
Die 22-jährige kurdische Iranerin wurde wegen eines Verstoßes gegen die Kopftuchregeln in Haft genommen und offenbar so geschlagen, dass sie kurz darauf verstarb. Die Inhaftierung und Vergewaltigung von attraktiven Frauen, die sich den Regeln widersetzen, hat System. Aminis Tod gilt als Auslöser der Proteste und als Codewort für die vielen anderen Toten, die den Repressionen des Regimes zum Opfer gefallen sind.
Das von den Mullahs gewünschte Bild der Stabilität bröckelt intern schon: Erste Imame und Abgeordnete finden schärfere Worte gegen die gnadenlose Gangart des Regimes. Und auch die Helden, des sonst an Alltagsfreuden armen Landes widersetzen sich: Bei Sportevents sangen zuletzt etliche Nationalteams die Hymne der Islamischen Republik nicht mit. Pokale wurden mit ernsten Mienen entgegengenommen. Das iranische TV hat die Bilder notdürftig überblendet.
Kommenden Montag spielt das iranische Nationalteam bei der WM gegen England. Die Spieler sollen unter großem Druck stehen, sich keine Aktionen zu leisten, die eine Unterstützung der Proteste andeuten könnte.
Gleichzeitig haben mehr als zwei Drittel der Abgeordneten den Weg frei gemacht, um sogar die Todesstrafe über die rund 15.000 inhaftierten Demonstranten verhängen können. Die ersten Todesurteile wurden nach Blitzverfahren ohne eigenem Anwalt ausgesprochen. Das Vorgehen erinnert Iraner mit Grauen an das Jahr 1988, wo rund 30.000 Regime-Gegner hingerichtet wurden. Eine Schlüsselrolle bei den Massenexekutionen damals spielte der heute amtierende Präsident Ebrahim Raisi.
Soziale Medien
Im Gegensatz zu damals passieren die Gräueltaten heute – dank sozialer Medien – vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Das Regime drosselt zwar das Internet, ist aber selbst darauf angewiesen, um seine Geschäfte abzuwickeln. So gelangen unzählige Beweisvideos und Berichte hinaus. Der am häufigsten geäußerte Wunsch an die Weltpolitik, wo die Islamische Republik noch anerkannt wird: „Wir müssen nicht gerettet werden, das tun wir selbst. Aber hört auf, die Mullahs zu retten.“
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