Nach Druck von allen Seiten: Deutschland für "gezielte" Einschränkung von Swift

Nach Druck von allen Seiten: Deutschland für "gezielte" Einschränkung von Swift
Nun auch Italien und Frankreich für eine Abkopplung aus dem Banken-Netzwerk. Deutschland zögerte bis vor kurzem.

In der EU dürften die Diskussionen über einen Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zahlungsverkehr laut französischen Regierungskreisen weit fortgeschritten sein. Kein EU-Mitgliedsstaat blockiere einen solchen Schritt, sagt ein Vertreter des Pariser Präsidialamts, der namentlich nicht genannt werden will. Die Gespräche dauerten aber noch an. Auch Litauens Regierungschefin Ingrida Simonyte hatte erklärt, dass sich eine Einigung über schärfere Sanktionen abzeichne.

Die Außenminister der Europäischen Union wollen am Sonntag weitere Entscheidungen im Zusammenhang mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine treffen. Man werde virtuell zusammenkommen, um weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine und gegen die Aggression Russlands zu beschließen, erklärt der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Ich werde ein Nothilfepaket für die ukrainischen Streitkräfte vorschlagen, um sie in ihrem heldenhaften Kampf zu unterstützen", twittert er.

Angaben von Spitzenbeamten zufolge sollte es am Samstagabend auch eine Videokonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Regierungschef Mario Draghi geben. Ziel sei eine Verständigung auf weitere Sanktionen, hieß es.

Andere Maßnahmen denkbar

Den Angaben zufolge könnten dabei zudem auch noch andere Strafmaßnahmen vereinbart werden. Etwa, die Auslandsvermögen russsicher Oligarchen einzufrieren. Zudem sollen weitere russische Banken und insbesondere die russische Zentralbank ins Visier genommen werden. Damit könnte unter anderem verhindert werden, dass Russland seine Devisenreserven zur Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine nutzen kann.

Am Samstag hat auch die deutsche Bundesregierung ihre Meinung zum Ausschluss Russlands aus Swift öffentlich geändert: Sie hat sich wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine für eine "gezielte und funktionale" Einschränkung des internationalen Zahlungssystems Swift ausgesprochen. Es werde "mit Hochdruck" daran gearbeitet, wie eine Abkopplung Russlands von Swift so eingegrenzt werden könne, "dass sie die Richtigen trifft", erklärten die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) am Samstag.

Zuletzt hat auch der britische Premierminister Boris Johnson erneut den Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationssystem Swift gefordert. Er habe mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte über das Thema am Telefon gesprochen, teilte Johnson am Samstag per Twitter mit. Ein Ausschluss Russlands sei dringend notwendig, so der Premier weiter.

Appell an EU

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor an die EU appelliert, zusätzlich zu den bereits beschlossenen Sanktionen Russland vom Swift-System auszuschließen. Bis auf Deutschland hatten sich im Lauf des Samstags alle anderen EU-Staaten für diesen Schritt ausgesprochen.

Nachdem sich die EU am Freitag noch uneinig über einen Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT gezeigt hatte, hat es am Samstag zunehmend Stimmen für ein derartiges Vorgehen gegeben. So gehört der italienische Ministerpräsident Mario Draghi nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj inzwischen zu den Unterstützern. Ähnliches gilt für Frankreich, wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Samstag sagte.

Druck auf Scholz

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian habe sich in einem Telefongespräch mit Selenskiy dafür ausgesprochen, Russland vom globalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen. "Wir haben bereits fast die volle Unterstützung der EU-Länder für die Abkopplung Russlands von SWIFT. Ich hoffe, dass Deutschland und Ungarn den Mut haben werden, diese Entscheidung zu unterstützen. Wir haben den Mut, unser Heimatland und Europa zu verteidigen", meinte Selenskiy am Samstag in einer Videobotschaft.

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) geriet zuletzt in dieser Sache immer stärker unter Druck. Mit seinem Nein zu einem sofortigen Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT stand er in der Europäischen Union am Samstag weitgehend isoliert da. Am Freitag und Samstag gaben nacheinander Österreich, Italien, Zypern und Ungarn ihren Widerstand auf.

Auch SPD nicht mehr geeint

Auch die Kanzler-Partei SPD stand nicht mehr geschlossen hinter dem Kurs des Regierungschefs. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal forderte am Samstag, alle Sanktionsmittel zu nutzen, die zur Verfügung stehen. "Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus SWIFT", sagte die Chefin des SPD-Jugendverbandes. "Damit können wir der russischen Regierung richtig wehtun. Wir sollten hier der Forderung unserer osteuropäischen Partnerländer nachkommen." Die Jusos stellen knapp ein Viertel der SPD-Abgeordneten im Bundestag.

Zwei von den osteuropäischen Partnern, die vehement für möglichst scharfe Sanktionen gegen Russland eintreten, wurden am Samstag überraschend bei Scholz vorstellig: Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Litauens Präsident Gitanas Nauseda flogen zu einem kurzfristig angekündigten Treffen im Kanzleramt ein. Morawiecki schrieb zu dem Besuch auf Facebook: "Ich bin gekommen, um das Gewissen Deutschlands aufzurütteln, damit es endlich wirklich durchschlagende Sanktionen beschließt, die die Entscheidungen des Kremls und Putins beeinflussen werden, mit den Angriffen auf die Ukraine aufzuhören."

Klarstellung

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto wies indessen Berichte zurück, wonach sich sein Land gegen den Ausschluss Russlands stellen würde. „Es wird die Lüge verbreitet, dass Ungarn einen Teil der Sanktionen gegen Russland blockieren würde, zum Beispiel jene im Zusammenhang mit dem Swift-System“, schrieb Szijjarto am Samstag auf seiner Facebook-Seite. Dies sei nicht wahr, fügte er hinzu. Auch Zypern wies inzwischen zurück, je gegen den SWIFT-Ausschluss gewesen zu sein. Beide Staaten wurden zuvor in Medienberichten den Gegnern einer derartigen Maßnahme zugeordnet.

Mit "bloßen Worten" nicht getan

Mit der Feststellung, "bloße Worte" würden nicht mehr reichen, trat auch der tschechische Präsident Milos Zeman für ein SWIFT-Aus ein. Dies sagte er noch am Freitag bei einer Online-Konferenz mit den Staatsoberhäuptern osteuropäischer NATO-Staaten. Die von westlichen Staaten wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine bereits verhängten Sanktionen kritisierte der 77-Jährige darin als zu wenig konsequent. Zemans Forderung ist besonders daher beachtlich, weil er bis zum russischen Angriff auf die Ukraine als Kritiker von harten EU-Sanktionen gegen Russland galt. Er wurde deshalb oft als zu russlandfreundlich kritisiert.

Die baltischen Staaten pochten bereits von Anfang an für die Abkopplung, jedoch reagierten etwa Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien vorerst zurückhaltend.

Nur eine Frage der Zeit

Aus EZB-Kreisen heißt es, dass eine Entscheidung, Russland von SWIFT auszuschließen, binnen weniger Tage getroffen werden könnte. "SWIFT ist nur eine Frage der Zeit, einer sehr kurzen Zeit, von Tagen", sagt der Chef einer Zentralbank aus der Eurozone zu Reuters, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Die deutsche Regierung hatte sich zuletzt noch zurückhaltend zu einem SWIFT-Ausschluss Russlands geäußert. Auch Österreich gehörte dem Vernehmen nach in dieser Frage am Freitag noch zu den Bremsern. Am Freitag verständigte sich der Nationale Sicherheitsrat jedoch in einer Sitzung darauf, dass sich Österreich auf internationaler Ebene für einen Ausschluss Russlands aus SWIFT einsetzen soll.

Ein Ausschluss Russlands vom internationalen Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT muss nach Einschätzung von Experten mittel- und langfristig nicht zu einer kompletten finanziellen Isolation führen. Russland stünden im Bereich der Digitalwährungen zumindest theoretisch zwei SWIFT-Alternativen zur Verfügung, sagte Philipp Sandner, Wirtschaftswissenschaftler an der Frankfurt School of Finance & Management, der dpa.

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