Überraschende Senkung der Leitzinsen

An seinem zweiten Arbeitstag senkt der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die Leitzinsen im Euroraum von 1,5 auf 1,25 Prozent.

Schon an seinem zweiten Arbeitstag an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) hinterließ der Nachfolger von Jean-Claude Trichet mehr als nur eine Duftnote. Zur Überraschung vieler Analysten stutzte Mario Draghi am Donnerstag die Leitzinsen im Euroraum von 1,5 auf 1,25 Prozent. Die Zinsen waren erst heuer in zwei Schritten von 1,0 Prozent angehoben worden.

Draghi will mit diesem Schritt einen scharfen Einbruch des Wirtschaftswachstums vor dem Hintergrund der Schuldenkrise verhindern. Denn je niedriger die Zinsen, desto billiger werden Kredite. Mit billigem Geld der Banken sollen Investitionen der Unternehmen in Schwung kommen. "Der wirtschaftliche Ausblick bleibt sehr unsicher, die Abwärtsrisiken haben sich intensiviert", sagte der Italiener. Die Reduzierung der Wachstumserwartungen für 2012 sei sehr wahrscheinlich.

Draghi scheint die Konjunktur etwas mehr am Herzen zu liegen als Preisstabilität. Sein Vorgänger Trichet hingegen hat bei seinem Abschied extra diese Stabilität als oberste Maxime der EZB betont. Ziel der EZB ist eine Inflation von knapp 2,0 Prozent. In Österreich lag sie im September bei 3,6, in der gesamten Eurozone bei 3,0 Prozent. Die Leitzinssenkung wird die Inflation noch weiter anheizen. Bleibe das Wachstum weiter schwach, werde der Inflationsdruck mittelfristig zurückgehen, meint jedoch Draghi. 2012 soll sie nach seinen Angaben wieder unter zwei Prozent liegen.

Schlecht für Sparer

Leidtragende seiner Aktion sind nicht nur alle Konsumenten, sondern auch die Sparer. Die Zinsen für Einlagen werden weiter sinken. Schon jetzt macht man laut Berechnung der Oesterreichischen Nationalbank mit Sparbüchern aufgrund der hohen Inflationsrate Verluste. "Die Realverzinsung ist seit Beginn des Jahres unabhängig von der Bindung negativ", sagt OeNB-Statistik-Chef Johannes Turner. Bei täglich fälligen Geldern war das schon länger der Fall. Ein Jahr gebunden bringt derzeit maximal 2,77 Prozent.

Vorerst beobachten die Banken den Markt. "Wir gehen aber davon aus, dass sie in den nächsten Tagen und Wochen die Zinssenkung weitergegeben", heißt es bei der Erste Bank. Ihr Tipp: Die jetzt gebotenen Konditionen rasch sichern. Die RLB NÖ-Wien erhöhte sogar gestern vor der EZB-Sitzung den Zinssatz für neun Monate Bindung von 1,75 auf 2,0 Prozent. Bei der Bank Austria werden Kredite ab sofort billiger.

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