Tourismus: "Bis die Stimmung steigt, ist der halbe Winter vorbei"
„Bis die Infektionszahlen sinken und die Stimmung steigt, ist der halbe Winter vorbei“, sagt Andreas Reiter offen heraus, was viele Hoteliers gar nicht zu denken wagen.
Der Gründer und Geschäftsführer des ZTB Zukunftsbüros berät zahlreiche Tourismusregionen im deutschsprachigen Raum und hält selbst das Wifo-Worst-Case-Szenario von minus 50 Prozent weniger Gästenächtigungen in der anlaufenden Wintersaison für zu optimistisch: „Ich gehe nicht davon aus, dass noch vor Februar ein signifikanter Tourismus mit Gästen aus dem Ausland stattfinden wird.“
Zur Orientierung: Im Winter sind ausländische Gäste in normalen Jahren für rund drei Viertel der Gästenächtigungen verantwortlich. Am ehesten können sich aus Sicht den Experten Seilbahnbetreiber im Westen des Landes über die Saison retten – dank heimischer Skifahrer und Tagestouristen aus den angrenzenden Ländern. „Die großen Leidtragenden sind die Hoteliers.“
Mit den Werbebildern von verschneiten Hütten und Skitouren-Gehern könne jedenfalls nichts gerettet werden. „Man kann nicht in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg so tun, als könnte es der schönste Winter aller Zeiten werden, wenn wir nur durch den Schnee stapfen“, kritisiert Reiter das mangelnde Einfühlungsvermögen der Werber. In Wirklichkeit denke derzeit überhaupt niemand an Urlaub, die Leute hätten andere Sorgen. Nicht nur in Österreich, in allen wichtigen Herkunftsmärkten. „Pandemisches Marketing darf das nicht ignorieren, es muss die Menschen und ihr Lebensgefühl abholen.“ Fragt sich nur wie.
Das Motto lautet aus seiner Sicht „Friluftsliv“. Hinter dem norwegischen Begriff steckt eine Umschreibung des skandinavischen Lebensgefühls, es geht also ums draußen sein, Einklang mit der Natur. In der Pandemie, in der in geschlossenen Räumen sowieso keine Veranstaltungen und Feste stattfinden, werde das für immer mehr Menschen zum Thema. „Die Wenigsten wollen sich jetzt aber beim Skilift anstellen oder hyperaktiv den ganzen Tag rauf und runterfahren“, meint Reiter. Es gehe nicht mehr um die Beherrschung der Natur, sondern um den Einklang mit ihr. „Solche Botschaften muss man in der pandemischen Werbung glaubwürdig vertreten.“ Nicht zu werben, sei jedenfalls keine Option. Am Ende der Pandemie würden die Märkte neu verteilt werden.
Als Positivbeispiel in Sachen Werbung nennt Reiter übrigens den Wien Tourismus. Deren Werber verschweigen erst gar nicht, dass derzeit Schluss mit lustig ist. „A bissl dauerts noch“ bis zum „Happy End“, so die Pandemie-bedingte Werbebotschaft, die Bezug auf niemand geringeren als Kaiser Franz Joseph nimmt. Der hatte einst verfügt, dass alle Stücke am Wiener Burgtheater ein glückliches Ende haben müssen. Das Leben sei schließlich schon deprimierend genug.
Drohende Pleiten
Deprimierend sind auch die Prognosen zu einer anrollenden Pleitewelle. Bis zu 10 Prozent der Betriebe könnten vom Markt verschwinden, orakeln Berater. Eine längst fällige Marktbereinigung, finden einige. Doch Reiter sieht das differenzierter: „Das Schlimme bei so einer Bereinigung ist ja, dass es ja nicht nur die schlechten Betriebe trifft.“ Als Beispiel nennt er ein Business-Stadthotel, das gerade Millionen investiert hatte und nun vor dem Aus steht, weil es so gut wie keine Geschäftsreisen mehr gibt. Reiter: „Es wird Ausstiegsprämien für familiengeführte Häuser geben müssen.“
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