Tim Mälzer: "Ihr seid ja auch alle ein bisschen irre"
Der Gastronom und Fernsehkoch über Crème fraîche, die man von der Schieferplatte lecken muss, hyperaggressive Küchenchefs und Menschen, die aus seiner Sicht besser daheim ihr Schnitzel essen.
Tim Mälzer sieht sich selbst zunehmend in der Rolle des alten, pöbelnden Mannes, der mit den Jungen nicht mehr mithalten kann. Er findet, dass alles gleich schmeckt und wie Kinderessen ausschaut. Von Kaffeehausketten hält er ähnlich wenig wie von der Haute Cuisine.
KURIER:Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich vor der Kamera und wie viel in der Küche Ihres Restaurants Bullerei?
Tim Mälzer: Ich habe mehr oder weniger eine 100/100/100-Regel: 100 Tage mindestens in der Bullerei in Hamburg, 100 Medientage und 100 Tage privat und mit diversen Projekten unterwegs. Ich hab mir also ein normales Leben aufgebaut, mit immer noch dichtem Programm, aber dem Prinzip, dass ich am Wochenende nicht mehr arbeite. Da bin ich strikt.
Strikt sind Sie auch mit Ihren Ansagen. Bei Ihrem Idol, dem britischen Star-Koch Marco Pierre White, haben Sie einst nach nur einen Tag gekündigt. Was ist da passiert?
Ich glaub, es waren keine 20 Minuten, die ich bei ihm gearbeitet habe. Das war 1996/97 und ich hab ein unbezahltes Praktikum bei ihm gemacht. White hatte den Ruf als hyperaggressiver Küchenchef, ich arbeite wahnsinnig ungern in solchen Atmosphären.
Was ist passiert?
Ein Kollege wurde mit Absicht verbrannt, hat also ein Branding bekommen. Ich hab währenddessen Spargel geschält und mich gefragt, was sie mit mir machen werden, wenn ich was falsch mache. Mich häuten? Verbal halt ich viel aus, aber körperliche Angriffe gehen zu weit. Das lass ich mir nicht gefallen. Ich wusste, es ist besser gleich zu gehen, als später wegen Totschlags in den Knast zu gehen (lacht).
Geht es in den Spitzen-Küchen noch immer so zu?
Es ist besser geworden, viele Köche haben sich gebessert. Aber es herrscht noch immer ein für die Außenwelt harter Ton. Das System, dass man für wenig bis kein Geld an einer bestimmten Adresse arbeitet, funktioniert aber noch heute. auch in anderen Branchen, wie der Mode. Schon witzig ...
Warum witzig?
Wenn ich erzähle, dass ich im Ritz gearbeitet habe, finden das alle toll. Dabei hab ich dort den ganzen Tag nur Kartoffel geschält und mich beleidigen lassen. Das ist der Laden, bei dem ich am wenigsten gelernt habe, aber alle sind begeistert. Die Jungköche heute agieren aber anders – denken Sie nur an Lukas Mraz aus Österreich.
Den wollten Sie doch einmal abwerben, oder?
Er ist ein grenzgeniales, mistbockiges Kochkind. Ich hab ihm gesagt, wenn er von der Cordobar in Berlin die Schnauze voll hat, soll er sich melden und wir machen gemeinsam was. In meiner Arroganz hab ich mich als Mäzen präsentiert, der diesen Rohdiamanten erkannt hat. In meinen Augen ist er einer der Besten, noch lang nicht dort, wo er mal hinkommt. Ich dagegen werden langsam zum Reich-Ranicki der Köche. Also zum alten, pöbelnden Mann, der mit den Jungen nicht mehr mithalten kann.
Und sich auch über die Gerichte von Mraz lustig macht ...
Über Dinge wie seine selbst gemachte Crème fraîche, die man von der Schieferplatte lecken sollte, weil er das ohne Besteck serviert hat. So wollte er wohl die Welt der Hochkulinarik durchbrechen. Das ist mir als Bauernlümmel natürlich viel zu philosophisch gewesen.
Gastronom SeppSchellhorn, gegen den Sie auch bei Kitchen Impossible schon gekocht haben, hat kürzlich mit seinem 28 Euro Schnitzel Schlagzeilen gemacht. Wie viel kostet das Schnitzel bei Ihnen?
Ach, das Schnitzel scheint im deutschsprachigen Raum als Grundrecht zu gelten – wie klares Wasser aus der Leitung. Wie ein Religionskampf ist das. Ich betreibe einen relativ großen Laden mit hohen Grundkosten, die ich aufs Schnitzel draufschlagen muss. Andere, mit weniger Nebenkosten und einer höheren Schlagzahl bei der Menge, können auch billiger anbieten. Man muss den Preis im Kontext sehen. Wer das nicht versteht, muss zu Hause bleiben und sich selbst ein Schnitzel machen. Und dann nachrechnen, was es kostet, das Essen daheim auf den Tisch zu bekommen.
Deutlich weniger, so viel ist schon mal sicher ...
Ok, gehen wir mal von 1.000 Euro Miete aus, durch 30 Tage sind wir bei 33 Euro am Tag, die wir anrechnen müssen. Dann Investitionskosten für Herd, Kosten für Strom, Wäsche, Lagerung und die Arbeitskosten, bis das Essen am Tisch und danach alles wieder weggeräumt und sauber ist. Und dann bin ich gespannt, ob man das Schnitzel für die angeblich geforderten 10 oder 12 Euro auf den Tisch bekommt. Wissen Sie, was mich aufregt?
Sie werden es gleich sagen ...
Internationale Kaffeehausketten, die für den Latte macchiato 6,50 Euro nehmen. Soviel Geld für einen mittelklassigen Kaffee zu zahlen, den man dann auch n och selbst abholen muss, halte ich persönlich für dumm. Aber alle hauen immer auf die Individualgastronomen hin. Wenn ihr sie nicht mögt, geht einfach nicht zu ihnen und hört auf, euch das Maul über sie zu zerreißen. Wenn ihr sie mögt, umso besser.
Für Zuhause gibt es jetzt jedenfalls das neue Kochbuch von Ihnen „Vierundzwanzigsieben kochen“. Klingt wie eine Drohung, in Zeiten, in denen man immer schwerer ein offenes Lokal mit offener Küche findet ...
Die FAZ hat mal geschrieben, ich würde das Kochen banalisieren und proletarisieren. Stimmt, ich bin der Koch für Dummies. Jeder der einigermaßen geradeaus laufen und eine Schleife binden kann, kann mit meinen Rezepturen was anfangen. Die Leute setzen ihre Ansprüche oft zu hoch an, weil sie meinen, wie in einem Restaurant kochen zu müssen. Das ist doch Quatsch. Was mir noch auffällt: Alles schmeckt gleich. Ich finde, wir sind in einer Süß-Sauer, Ketchup-Mayo-Phase.
Einfach salziges Essen gibt es kaum noch, alles ist zu kräftig gewürzt. Schauen Sie nur die Foodblogger an. Auf jedem Gericht ist so ein Stripe mit irgendeiner Mayo drauf. Das ist doch alles Kinderessen.
Sind Sie vor der Kamera ein anderer Mensch? Sie fluchen heute ja gar nicht ...
Nein, würd ich so nicht sagen. Ich bin, wie ich bin.
Tim Mälzer
Der 52-Jährige ist verheiratet und Vater von drei Kindern
Fernsehkoch
Seit 20 Jahren kocht er in diversen TV-Shows, von Kitchen Impossible gibt es bereits acht Staffeln
Bullerei
In seinem Lokal im Hamburger Schanzenviertel hat er 80 Mitarbeiter
Neues Buch
„Vierundzwanzigsieben kochen“, Mosaik Verlag, 28,80 Euro
Erstaunlich unaufgeregt, für jemanden, der in seinen Koch-Shows ständig flucht ...
Kitchen Impossible arbeitet auch Nonstop daraufhin, mich zu provozieren. Ich weiß, dass ich in der Sendezeit zum Scheitern verdammt bin. Ich will für jedes Gericht zehn Punkte und bekomm sie nicht.
Ihr Lokal in Wien ist Geschichte. Keine Lust mehr, etwas in Österreich zu starten?
Wenn jemand sagt, den Mälzer können wir neben den ganzen anderen, die wir hier schon haben, noch ertragen, ergibt sich vielleicht was. Ich fühl’ mich der österreichischen Gastroszene oft enger verbunden als der klassischen deutschen. Ihr seid ja auch alle ein bisschen irre. Max Stiegl oder Konstantin Filippou – die haben alle schwer einen an der Latte. Ich mag solche Leute.
(kurier.at, sh)
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Aktualisiert am 17.09.2023, 08:45
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