Frequentis-Chef: "Niemand glaubt, dass man den Flugverkehr einstellen kann"
Frequentis-Chef Norbert Haslacher erweitert den Konzern sukzessive um Lösungen im Bereich grüner Luftfahrt.
KURIER: Die Kriterien der Nachhaltigkeit werden immer wichtiger. Wie positionieren Sie sich da als Luftfahrtzulieferer bei dem oft als Klimakiller verschrieenen Luftverkehr?
Norbert Haslacher: Technologie ist nicht aufhaltbar, auch nicht durch Nachhaltigkeitsregeln. Niemand glaubt, dass man den Flugverkehr einstellen kann. Man kann nur versuchen, den Flugverkehr so optimiert wie möglich zu gestalten. Der Flugverkehr ist nur für 2,5 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, was nicht heißt, dass man da eh nichts tun muss. Man kann auch da noch optimieren.
Inwiefern?
Wir haben bei unseren Akquisitionen im Vorjahr den Schwerpunkt auf Green Aviation gesetzt. Das eine Unternehmen hat eine Softwarelösung namens Arrival Management. Dabei werden die Anflüge so optimiert, dass das Kreisen vermindert wird. Das verhilft hier zu CO2-Einsparungen von 25 Prozent. Das andere namens Atrix bietet Optimierungen auf dem Rollfeld. So konnten in nur einem Jahr beim Airbus A320 am Flughafen Frankfurt 30 Millionen Dollar an Einsparungen bei Sprit erzielt werden.
Der Flugverkehr ist angesichts der Pandemie ziemlich eingebrochen. Wie sehr hat sich das auf das Geschäft von Frequentis ausgewirkt?
Es sind nicht die Airports, sondern die Flugsicherungen unsere Kunden. Dort gibt es regulatorische Vorschriften; egal, ob 100 oder 1.000 Flieger in der Luft sind, die Infrastruktur muss dafür vorhanden sein. Und große Länder wie USA beginnen die Zeit zu nutzen, um ihre Infrastruktur zu erneuern. Und vielleicht ist das Wachstum in dem Bereich schwächer, aber es ist nicht das eingetreten, was nach 9/11 im Jahr 2001 passiert ist, nämlich dass die Budgets auf Null gesenkt wurden. Und wir reden nur von einem unserer fünf Segmente. Nervös wäre ich, wenn wir nur in Österreich tätig wären. Aber nachdem wir 98 Prozent Exportquote haben und diese auf 150 Ländern verteilt, haben wir auch da eine gute Balance. In Asien werden wie verrückt Airports gebaut, abseits von China etwa in Indien, Vietnam, Indonesien oder Thailand.
Frequentis ist auch in der militärischen Flugsicherung tätig. Die Konflikte nehmen zu. Sind sie ein Krisengewinner?
Nein, die Umsätze sind ziemlich stabil geblieben. Wir sind nur durch den Zukauf von ATC Solutions in dem Bereich gewachsen.
Wie lief das Geschäftsjahr 2021?
Grundsätzlich global von Corona geprägt. Zahlen veröffentlichen wir erst am 5. April, aber wir haben ein gutes Gefühl. Das liegt an guten Auftragseingängen und Einsparungen auf der Kostenseite infolge weniger Reisen und vielen Absagen von Messen. Die Kunden sind zuversichtlich, aber mit Entscheidungen langsam, weil sie auch im Lockdown waren. Das war teilweise sehr mühsam. Es war ein anstrengendes Jahr für uns alle.
Wie ging es den Mitarbeitern?
Die Mitarbeiter waren sehr flexibel und haben hohe Bürden auf sich genommen, um in ein Land zu reisen und dort ein Projekt abzuwickeln. Teilweise waren sie 14 Tage unterwegs. Und die Kunden haben viel virtuelles akzeptiert. Es war 2019 noch undenkbar, dass ein Kunde ein Projekt im sicherheitstechnischen Bereich virtuell abnehmen könnte. Das hat sich massiv geändert. Das wird sich auch so etablieren, dass man für ein zweistündiges Meeting nicht mehr nach Sao Paulo reisen muss. Das gilt auch für Projektabnahmen.
Wie hat sich das alles auf die Effizienz der Mitarbeiter ausgewirkt?
Ich verfolge eher einen Vertrauensgrundsatz, jeder arbeitet bestmöglich für ihre Firma. Wir geben den Leuten die Flexibilität, wann sie arbeiten, die Performance ist vergleichbar mit jener der Vergangenheit. Ausgenommen bei Reisen, weil die Mitarbeiter so lange unterwegs sind. Die sozialen Kontakte wurden im Herbst mit einem Sonderbudget gestützt, damit die Teams wieder gemeinsam etwas machen können.
Wie sind ihre Erwartungen für das begonnene Jahr?
Ich bin sehr positiv gestimmt trotz Corona. Zum einen, weil wir Akquisitionen getätigt haben, die auch bereits gut integriert ist. Zum anderen planen Kunden mehr Budgets und Projekte ein. Ob sie es schaffen, diese auch 2022 zu vergeben, muss aber erst bewiesen werden. Denn das sind alles öffentliche Vergabeverfahren.
Ist Frequentis vom Rohstoffmangel betroffen?
Nein, den spüren wir nicht. Wir haben langfristige Kundenbeziehungen. Und mehr als 90 Prozent der Materialien sind aus Europa. Und wir kaufen die Bauteile für den Allzeitbedarf. Ja, das erhöht das Lager ein Stück weit, gibt mir aber die Sicherheit der Unabhängigkeit. Das hat sich in den vergangenen zwei Jahren bewährt. Und wir erhalten alte, funktionstüchtige Bauteile von den Kunden zurück und verwenden diese in neuen Geräten, etwa in Back-up-Systemen, wieder. Das ist auch ein Stück Green Technology. Die Lieferzeit für IT-Equipment hat sich aber verlängert. Auf einen Server oder einen Laptop warten wir teilweise Monate.
Wo soll Frequentis noch wachsen?
Wir sind weiter auf Kaufkurs. Ich möchte die Balance zwischen den Segmenten dabei nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht bringen. Daher schauen wir derzeit in den Bereichen Öffentliche Sicherheit sowie maritime und Bahn-Produkte. Ich suche immer weltweit , am liebsten Familienunternehmen, die kulturell gut zu uns passen. Am besten sind Komplettübernamen, aber zumindest 51 Prozent, wobei mir ist es manchmal sehr recht, wenn der Gründer noch an Bord bleibt. Weil das zeigt, dass man nicht nur Kassa machen möchte, sondern Interesse hat, die Firma weiterzuentwickeln.
Spürt Frequentis auch den Fachkräftemangel?
Wir spüren einen enormen Kampf um Talente am Markt. Die jungen Leute sind auch sehr flexibel, was Jobwechsel betrifft. Als Dienstgeber muss man eine Arbeitsumgebung bieten, die die jungen Leute wirklich interessiert. Wir haben aber nicht das Gefühl, dass wir im Vergleich zu anderen zu wenig zahlen. Wir müssen aber der Sinnhaftigkeit, was wir tun, ein Stück mehr Gewicht geben. Wir schützen Menschenleben und sind global aufgestellt, die Mitarbeiter können für 2 oder 3 Jahre ins Ausland gehen und machen Sommercamps für die Kinder der Mitarbeiter. Technische Herausforderungen gibt es in jedem Unternehmen. Es kommt aber auf die Benefits an und die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit. Das hilft uns trotzdem die Leute zu kriegen, auch wenn es schwieriger geworden ist. Aktuell suchen wir 38 Mitarbeiter in Wien.
Wie zufrieden sind Sie mit der heimischen Wirtschaftspolitik?
Zum jammern gibt es immer etwas, wir benötigen ein gutes Klima für Forschungsprojekte. Wir investieren 20 Millionen jährlich in Forschung und Entwicklung, Kunden weitere 20 Millionen. Für das, was man hier an Steuern zahlt, kann man sich auch ein gutes Forschungsklima erwarten. Wir würden uns ein Besseres wünschen.
Frequentis hat in der Causa Commerzialbank rund 30 Millionen verloren. Wie ist da der Stand der Dinge?
Wir haben mehrere Klagen eingebracht, das sind alles laufende Verfahren. Die gesamte Summe haben wir schon 2020 abgeschrieben, alles, was jetzt passiert, kann nur zu einer positiven Überraschung führen.
Frequentis erzielte 2020 mit 2.200 Mitarbeitern (davon 1.200 in Österreich) einen Umsatz von knapp 300 Mio. Euro und einen Verlust von 3,4 Mio. Euro. Grund für das Minus waren Einlagen bei der Pleite gegangenen Commerzialbank. Dort verlor Frequentis 30,9 Mio. Euro. Die Summe wurde zur Gänze abgeschrieben, auf dem Rechtsweg versucht Frequentis aber davon etwas zurückzuholen
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Der börsenotierte Konzern entwickelt sicherheitskritische Informations- und Kommunikationssysteme für die zivile Luftfahrt, Verteidigung, öffentlicher Sicherheit, Schifffahrt und öffentlicher Verkehr. Gegründet 1947, wurde Frequentis 1986 vom damaligen technischen Geschäftsführer Hannes Bardach im Zuge eines Management Buy-outs übernommen. Er baute das noch kleine Unterneh-men (45 Mitarbeiter; 2,9 Mio. Euro Umsatz) sukzessive aus und kon-zentrierte sich auf die Entwicklung von Sicherheitssystemen, zunächst im Flugbereich. Dort ist Frequentis heute in drei Bereichen Weltmarktführer mit Anteilen von 30 bis 40 Prozent.
Norbert Haslacher (50) ist seit 2015 im Frequentis-Vorstand und seit 2018 Vorstandschef
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