Streeruwitz: "Wir werden angehalten, zu strampeln"

Streeruwitz: "Wir werden angehalten, zu strampeln"
Die KURIER-Sommerserie zur Wirtschaft, der Krise und alternativen Sichtweisen – mit Schriftstellerin Marlene Streeruwitz.

Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz über die Krise, Occupy und die Hürden der Frauen in der Arbeitswelt.

Kurier: Sie haben einen Text geschrieben: "Die Krise. Europa. Österreich." Was läuft in Österreich falsch?

Streeruwitz: Es war nie möglich, die Untertanenmentalität und Identifikation mit der Macht vollkommen in eine demokratische Grundgesinnung umzubauen. Weil die Macht sich auf so vielen Ebenen und hinterrücks verborgen hat. Die Politiker müssten heute für uns revolutionär handeln und die Banken stürmen, doch das trauen die sich nicht, die sind zu machtlos.

Welche Folgen hat das?

Wir sollen auf ein Drittel unserer Besitztümer und unserer Seele reduziert werden. Wir werden dauernd verletzt und verwundet. Da stehen wir. Staatsbankrott als Krieg gegen die Bürger. Wir werden angehalten, zu strampeln.

Was bewirkt das Verlagern der Macht nach Brüssel?

Das kommt den Eliten hierzulande entgegen, weil sie ihre Strategien ohne Versteckspiel ausleben können. Schlimm ist, dass den Mächtigen nicht genug Informationen abverlangt werden. Es kann gewusst werden, dass die Banken wieder mehr Geld brauchen. Es gibt ein Desinteresse an der Wirklichkeit, das halte ich für wirklich gefährlich.

Sind die Männer schuld an der Finanzkrise?

Die Männer per se natürlich nicht, aber die Krise ist von einer Elite gemacht, die wie eine Armee agiert. Das ist eine eigene Form von Geschlecht, das traditionellerweise Männern anerzogen wird. Ich habe über Aufnahmerituale für Banken in London geschrieben. Es werden Bewerber ausgesucht, die mit der Gewalttätigkeit der Sache kein Problem haben. Wenn die Schwierigkeiten sehr groß werden, sind es die Frauen, die aufräumen.

Sind Frauen die besseren Politikerinnen?

Wir haben eine Politik, die der Geldmacht unterworfen ist. Diese Politik kann man nicht besser machen. Was ich an der Occupy-Bewegung so bewundere, ist das Jobsharing oder Politik-Sharing. Es geht nicht um eine Stimme, die immer anwesend ist und sich zu Wort meldet, sondern wir müssen uns besser aufeinander verlassen können. Parteien sind in langen Redesitzungen und Trinkgelagen entstanden. Das ist das Altmodische an den Parteien. Das ist zu wenig, um einen Staat führen zu können, der immer wichtiger wird, weil er zu unwichtig geworden ist.

Sie haben in der "Emma" über die Occupy-Bewegung geschrieben. Da ist von "sich selbst besetzen" die Rede.

Es geht darum, die eigene Interessenslage herauszuarbeiten, vor allem für Frauen, die heute im Lebensarbeitszeitdurchrechnungszeitraum eingesperrt sind. In diesem Punkt ist die Frauenbewegung von den Männern grandios ausgenützt worden, indem sie alle familiären Verpflichtungen von sich geworfen und an den Staat abgegeben haben.

In der Krise hat sich die Situation für Frauen am Arbeitsmarkt verschlechtert.

Etwas beruflich auszuprobieren wird immer schwieriger, die Entwertung am Arbeitsplatz führt zu einer Entwertung von sich selbst. So fallen wir wieder vor die Frauenbewegung zurück mit der Vorgabe, dass wir auch noch selber dran schuld sind. Soziologen sagen, dass Frauen mit einem Abstieg oder Arbeitslosigkeit kreativer umgehen als Männer, das wird in Zukunft vielleicht eine Tugend sein.

Womit haben Frauen in der Arbeitswelt zu kämpfen?

Ein Betrieb muss damit umgehen können, dass Frauen zwei oder drei Mal wegen einer Schwangerschaft ausfallen. Es muss auch möglich sein, dass Frauen auf derselben Stufe wieder einsteigen. Dabei ist Jobsharing wichtig. Meine Tochter ist Ärztin in England und kann weitermachen wie vor der Schwangerschaft, so bleibt sie motiviert.

Was sollte sich ändern?

Die Befürsorgung des Zustands Kinderhaben ist nicht unbedingt der richtige Weg. Dort, wo sich die Betroffenen selbst organisieren müssen, sind die Lösungen kreativer. Die Enge durch das Kindergeld samt Rückzahlungen ist zu bürokratisch. Das Kinderkriegen wird zu einer seltsamen Staatsaufgabe, die nicht geschätzt wird. Im Grund ist ein Mutterleben ein Kümmerzustand, es macht Angst und atemlos.

Dem Buchhandel ist es schon einmal besser gegangen, wie gut können Sie als Autorin leben?

Es geht sich irgendwie aus, gerade über das Kümmerleben hinaus. Ich habe ganz schlimme Zeiten erlebt, aber das war in den 80er-Jahren leichter zu bewerkstelligen.

Die Piratenpartei will geistiges Eigentum wie Bücher, Bilder und Filme frei zugänglich machen.

Das ist eine ganz rechte, antidemokratische Entwertungswelle, die uns in eine gesellschaftliche und geistige Umwandlung führen wird, ähnlich der Inflation nach dem 1. Weltkrieg. An den Musikern können wir die Folgen sehen, was es heißt, gratis arbeiten zu müssen und das für fragwürdige Freiheitsbegriffe.

An welchem Text arbeiten Sie gerade?

An einem Musical für das Volkstheater, zu sehen 2013. Es geht um Rassismus und Ausgrenzung.

Wichtige Stimme der Gegenwartsliteratur

Marlene Streeruwitz ist eine bekannte österreichische Schriftstellerin. Sie wurde 1950 in Baden bei Wien in eine bürgerlich-katholische Familie geboren. In Wien studiert sie Slawistik und Kunstgeschichte, wegen Heirat und der Geburt ihrer Töchter bricht sie das Studium ab. Bekannt wird sie zuerst als Hörbuchautorin. 1992 erfolgt ihr Durchbruch am Theater mit "Waikiki-Beach" und "Slone Square". Ihre Dramen werden an den wichtigen Bühnen in Deutschland und Österreich gespielt.

1996 erscheint ihr erster Roman "Verführungen". Weitere Romane: Jessica, 30., Partygirl, Kreuzungen, Die Schmerzmacherin, etc. Streeruwitz ist als freie Journalistin und Regisseurin tätig und mischt sich immer wieder mit Essays, die gedruckt erscheinen oder auf ihrer Website veröffentlicht werden, in tagesaktuelle Diskussionen ein. Streeruwitz lebt in Wien und London, sie hat zwei Töchter. Streeruwitz hat zahlreiche Auszeichnungen bekommen, zuletzt den Bremer Literaturpreis 2012.

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