Wie ein Wiener Start-up zum KI-Unternehmen wird

Ein Mechaniker inspiziert einen blauen Volvo C40 auf einer Hebebühne in einer Werkstatt.
Anyline hat rund 40 Prozent seiner Belegschaft abgebaut. Vieles wird jetzt von Künstlicher Intelligenz erledigt.

Das Wiener Start-up Anyline hat aufregende Monate hinter sich. Im Frühjahr kündigte das auf mobile Datenerfassung spezialisierte Unternehmen einen Mitarbeiterabbau an. Man wolle zum KI-Unternehmen werden, hieß es damals.

Noch stecke man mitten in dem Prozess, sagt Gründer Lukas Kinigadner zum KURIER. Mittlerweile ist Anyline von rund 100 auf knapp 60 Mitarbeiter geschrumpft. Gewachsen sind die Umsätze. Allerdings nicht mehr so stark wie früher, wie der Kinigadner einräumt. 

Neuanfang

Was kann man sich unter einem KI-Unternehmen konkret vorstellen? "Wir haben uns als Managementteam überlegt, was wäre, wenn wir heute komplett neu gründen würden", erzählt Kinigadner. Vieles könne bereits Künstliche Intelligenz erledigen: "Wir fragen zuerst, was KI bereits machen kann und probieren, alles mit der Technologie umzusetzen." 

In einigen Bereichen habe man sich mehr erwartet, in anderen funktioniere die Umstellung "echt gut", sagt der Gründer. Etwa bei Grafiken oder Videos, bei der Dokumentation, aber auch bei Recherchen oder bei einigen Bereichen im Software-Engineering. In der Kommunikation mit Kunden wolle man weiter auf persönlichen Austausch setzen, weil Vertrauen und Nähe entscheidend seien, sagt Kinigadner. Es  zeichne sich jedenfalls ab, dass die Neuorientierung gelingen könne.

Ein Mann mit Bart und Anzug vor einem blauen Hintergrund.

Anyline-Mitgründer Lukas Kinigadner.

Auf Unternehmenskunden fokussiert

Mit KI arbeitet Anyline auch bei seinen Produkten. Text- und Bilderkennungssoftware (OCR, Optical Character Recognition), die bei Unternehmen zum Einsatz kommt. Etwa zum Scannen von Reifenprofilen, Zählerständen, Barcodes oder Nummerntafeln. 

Dass ähnliche Lösungen, etwa die Umwandlung von Texten in Bildern oder gescannten Dokumenten in bearbeitbare, digitale Texte auch in KI-Programmen für Endkonsumenten bereits seit längerem verfügbar sind, hat das Geschäft des Start-ups nicht beeinträchtigt.  Man habe sich bereits früh auf sehr spezialisierte Anwendungsfälle für Unternehmen fokussiert und könne seinen Kunden deshalb auch auf längere Sicht weit bessere Qualität bieten als Lösungen für den Massenmarkt, sagt Kinigadner. 

Die Entwicklung zeige aber, wie schnell Unternehmen in Wettbewerbssituationen kommen können, mit denen sie nicht gerechnet haben. 

Wachstum, aber ...

Wachsen werde man trotz der Umbrüche auch heuer, sagt Kinigadner. Was sich geändert habe, sei die Erwartungshaltung. Bis vor zwei, drei Jahren sei  man von Wachstumsraten von 100 Prozent plus jährlich ausgegangen. Heute liege der Fokus auf der Profitabilität. "20 bis 30 Prozent Wachstum wollen wir nachhaltig in den nächsten Jahren aber schon liefern", sagt der Anyline-CEO.

Sein Unternehmen könne dabei auf eine breite Basis von mehr als 200 Kunden aufbauen.  Start-ups, die noch nicht so groß seien, würden sich hingegen schwerer tun. 

Start-up-Szene im Umbruch

Das Umdenken hat auch damit zu tun, dass die Investitionen in Start-ups in den vergangenen beiden Jahren eingebrochen sind. "Die Szene war überhitzt", sagt Kinigadner. "Das hat sich jetzt wieder normalisiert."

Eine Person betrachtet den Zustand eines Reifens auf einem Tablet, das niedrige Profiltiefe anzeigt.

Scann Reifenprofile: Software-Lösung von Anyline

Chance für Europa

Durch Künstliche Intelligenz könnten heute aber auch kleine Teams sehr viel schaffen und "Innovationen ohne viel Fremdkapital auf die Straße bringen". Junge Teams könnten schon nach kurzer Zeit selbst Geld verdienen und seien nicht mehr so stark auf Finanzierungen angewiesen. Das sei auch für Europa eine große Chance. Denn davon, dass die Verfügbarkeit von Risikokapital in sprunghaft ansteige, könne nicht ausgegangen werden.

Europa müsse jedenfalls umdenken, meint der Gründer. Anders als die USA sei die EU von einem wirklichen Binnenmarkt noch weit entfernt. Es brauche einheitliche Regeln in der gesamten EU. Auch einer einheitlichen europäischen Gesellschaftsform für Start-ups, wie sie von zahlreichen Gründerinnen und Gründern gefordert wird, kann Kinigadner viel abgewinnen. 

Spannende Zeiten

Die nächsten Jahre würden für Unternehmer sehr spannend, meint der Gründer. Jungen Leuten, die sich mit der Absicht tragen zu gründen, rät er, das jetzt zu tun. In Zeiten der starken Veränderung brauche es Innovationen

Worauf sollte man achten? Geld alleine dürfe nie der Antrieb sein, meint Kinigadner: "Es muss etwas sein, was einem wirklich am Herzen liegt."

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