ChatGPT macht Grazer Start-up zum Sanierungsfall

Das Grazer Start-up App Radar war eigentlich gut im Geschäft. Ende vergangenen Jahres erhielt das Unternehmen, das Entwicklern und Firmen bei der Vermarktung ihrer Apps hilft, eine Finanzspritze von zwei Millionen Euro. Im Jahr davor wurde ein spanischer Konkurrent übernommen, um die Position am europäischen Markt auszubauen. Knapp 1.000 Unternehmenskunden, darunter der Online-Wertpapierhändler Degiro oder die Abnehm-App arise, nehmen die Dienste des Unternehmens in Anspruch. Allein im vergangenen Jahr konnten laut Angaben des Start-ups 600 neue Kunden gewonnen werden. Mit einem Anteil von 35 Prozent kommt das Gros aus den USA oder Großbritannien. Vergangene Woche musste das 2015 gegründete Unternehmen, das zuletzt 37 Mitarbeiter zählte, Insolvenz anmelden und ein Sanierungsverfahren beantragen. Was ist passiert?
Neben dem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld gibt der Kredischutzverband von 1870 (KSV1870) auch "aktuelle Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (etwa ChatGPT)" als Insolvenzursache an. Die, heißt es in einer Aussendung , würden ähnliche Lösungen anbieten, jedoch zu einem Bruchteil der Kosten. Der Wettbewerb, so die Kreditschützer, habe sich "immens verschärft".
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Beim Alpenländischen Kreditorenverband (AKV) ist davon die Rede, dass das Unternehmen durch Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz einem erhöhten Preisdruck ausgesetzt sei. Ursprünglich prognostizierte Zahlen und Steigerungsraten hätten deshalb nicht mehr eingehalten werden können, sagt Insolvenzverwalter Norbert Scherbaum zum KURIER.
Verbindlichkeiten von 2,78 Millionen Euro, die sich großteils auf Förderstellen, Banken und Steuer- und Abgabenrückständen aufteilen, stehen Aktiva von 237.800 Euro gegenüber. Das Unternehmen soll weitergeführt werden, ein Sanierungsplan wird erarbeitet. Angepeilt wird eine Quote von 20 Prozent binnen 2 Jahren. Auf den operativen Betrieb und die Kunden habe dies vorerst keinen Einfluss, sagt Scherbaum. Ein Mitarbeiterabbau sei nicht geplant.
Sanierungsplan
Im Rahmen des Sanierungsplans soll auch nach Möglichkeiten gesucht werden, der Einführung neuer Technologien wie ChatGPT wirksam zu begegnen. Tatsächlich hatte das Start-up Künstliche-Intelligenz-Tools bereits in seine Dienstleistungen integriert. Seit kurzem bietet das Unternehmen seinen Kunden ein auf dem auch ChatGPT zugrundeliegenden Large Language Model GPT4 basierendes Tool an, mit dem Reviews von Nutzern im App Store von Apple und im Google Play Store in mehreren Sprachen rasch beantwortet werden können. Dadurch könne die Kundenzufriedenheit stark erhöht werden, heißt es in einem Blogeintrag des Start-ups.
App-Radar-Gründer und Co-Geschäftsführer Thomas Kriebernegg, der noch 12,63 Prozent an dem Unternehmen hält, wollte wegen des laufenden Sanierungsverfahrens gegenüber dem KURIER keine Stellungnahme abgeben. Größter Anteilseigner ist die Investmentgesellschaft Qventure mit 43,41 Prozent, Paysafecard-Gründer Michael Müller hält 23,56 Prozent, der aws Gründerfonds 14,56 Prozent und Co-Geschäftsführer Silvio Peruci 5,85 Prozent. In einer Aussendung des Start-ups ist davon die Rede, dass man bis zuletzt versucht habe, eine neue Finanzierungsrunde zu sichern. Auch von Gesprächen mit potenziellen Käufern ist die Rede.
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Schon heute übernehmen Systeme wie ChatGPT in vielen Bereichen, etwa dem Aufbereiten von Texten, Berichten oder Geschäftszahlen, Tätigkeiten von menschlichen Mitarbeitern. Auch beim Programmieren macht der Chatbot eine gute Figur. Dass künstliche Intelligenz menschliche Mitarbeiter bereits komplett ersetzen kann, glauben viele Experten nicht. Sie sprechen von einer "neuen Art von Werkzeug", das in Arbeitsabläufe integriert werden und die Effizienz steigern könne. Sie räumen aber auch ein, dass die Entwicklung erst am Anfang steht.
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